Oberlandesgericht Hamm, Beschluß vom 22.04.2016 (3 UF 262/15), PM
1. Ein mit der Beschwerde gerügter etwaiger Verstoß des erstinstanzlichen Scheidungsverbundbeschlusses gegen die §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 308 Abs. 1 ZPO wegen der Entscheidung über eine zu Protokoll der letzten mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragte Folgesache wird im Beschwerdeverfahren jedenfalls dadurch geheilt, dass der Beschwerdegegner die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und sich dadurch im Wege der – noch im Beschwerdeverfahren möglichen – Antragserweiterung den diesbezüg-lichen Inhalt der angefochtenen Entscheidung zu eigen macht.
2. Eine gegenüber Art. 8 a) Rom-III-Verordnung vorrangige Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-Verordnung liegt nicht in dem Abschluss eines Ehevertrages über Mor-gen- und Abendgabe vor einem libanesischen Scharia-Gericht aus Anlass der Eheschließung.
3. Vereinbaren Ehegatten anlässlich der Eheschließung durch islamisch-sunnitischen Ehevertrag zugunsten der Ehefrau die Zahlung eines – in eine bei Eheschließung fällige Morgengabe und eine im Falle der Ehescheidung fällige Abendgabe unterfallenden – „Mahr“, genügt dieser vor einem Scharia-Gericht ge-schlossene und protokollierte Vertrag der im deutschen Recht vorgesehenen notariellen Form des § 1410 BGB.
4. Während sich das international anzuwendende Recht für den Anspruch auf die Morgengabe vor Einge-hung der Ehe nach dem „Verlöbnisstatut“ und während des Bestehens der Ehe nach Art. 14 EGBGB richtet, bestimmt sich das auf die – erst anlässlich der Ehescheidung fällig werdende – Abendgabe anzuwendende Sachrecht wegen des unterhaltsähnlichen Versorgungscharakters zugunsten der Ehefrau nach Art. 3 Abs. 1 und den Art. 5, 6, 7 und 8 des Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (HUntProt).
5. Stellt die Ehefrau den Scheidungsantrag und beruft sich der Ehemann zur Verteidigung gegen die im Verbund mit der Ehescheidung geltend gemachte Zahlung der Abendgabe auf deren nach den Art. 80-90, 343 des Libanesischen Familiengesetzes vom 16.07.1962 nur bei Scheidungsverstoßung („talaq“) durch ihn eintretende Fälligkeit, verstößt dies gem. Art. 6 EGBGB sowie entsprechend den Art. 10, 12 Rom-III-Verordnung gegen den deutschen Ordre public und das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).
Die in einem islamisch-sunnitischen Ehevertrag für den Fall der Ehescheidung zugunsten der Ehefrau vereinbarte „Abendgabe“ schuldet der Ehemann auch dann, wenn die Ehefrau die Scheidung beantragt und dieser daher kein „talaq“ (Scheidungsverstoßung) des Ehemanns zugrunde liegt. Das hat der 3. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm am 22.04.2016 beschlossen und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Amtsgerichts – Familiengericht – Bochum bestätigt.
Der heute 31 Jahre alte Antragsgegner, deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung, lebt seit Mitte der 1980er Jahre in Deutschland. Im Jahre 2005 arrangierten die Eltern der Beteiligten seine Ehe mit der heute 27 Jahre alten Antragstellerin, einer seinerzeit im Libanon lebenden Libanesin. Zum Zwecke der Eheschließung flog der Antragsgegner in den Libanon. Dort heirateten die der muslimisch-sunnitischen Religion angehörenden Eheleute im Dezember 2005 nach islamisch-sunnitischen Recht vor dem Scharia-Gericht in Beirut. Dabei schlossen sie vor dem Gericht einen schriftlichen Ehevertrag mit der Vereinbarung eines vom Ehemann zu Gunsten der Ehefrau zu leistenden Brautgeldes. Dieses sollte aus einer „Morgengabe“ in Form einer Abschrift des heiligen Korans und einer englischen Goldlira sowie einer „Abendgabe“ von 15.000 US-Dollar bestehen. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. 2013 trennten sich die in Bochum lebenden Eheleute. 2014 beantragte die Antragstellerin die Scheidung und begehrte die Zahlung der „Abendgabe“ von 15.000 US-Dollar (umgerechnet 13.260 Euro). Mit Beschluss vom 17.11.2015 hat das Familiengericht u.a. die Scheidung ausgesprochen und den Antragsgegner aufgrund des abgeschlossenen Ehevertrages zur Zahlung der „Abendgabe“ verpflichtet.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Familiengerichts ist nach der Entscheidung des 3. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm erfolglos geblieben.
Die Ehe der Beteiligten sei vom Familiengericht zu Recht, so der Senat, nach deutschem Recht geschieden worden. Maßgeblich sei insoweit der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten bei der Einleitung des Scheidungsverfahrens im Jahre 2014, der in der Bundesrepublik Deutschland gelegen habe und hier noch liege. Das islamische Scheidungsrecht sei von den Beteiligten für den Fall einer Scheidung nicht vereinbart worden.
Der geltend gemachten Abfindungsbetrag, die „Abendgabe“, stehe der Antragstellerin zu. Die Beteiligten hätten in dem Ehevertrag aus dem Jahre 2005 einen sog. „Mahr“, eine vom Ehemann zu erbringende Brautgabe, wirksam vereinbart. Diese bestehe aus der bei Eheschließung fälligen „Morgengabe“ und der bei der Scheidung fälligen „Abendgabe“.
Für den Abschluss des Ehevertrages gelte das islamisch-sunnitische Recht. Nach diesem Recht sei der Vertrag vor dem Scharia-Gericht unter Beteiligung von Zeugen durch die Beteiligten wirksam abgeschlossen worden.
Für den weiteren Vollzug des Vertrages gelte allerdings deutsches Recht. Durch die „Abendgabe“ habe die Ehefrau nach einer Scheidung eine gewisse Absicherung erhalten sollen. Das sei mit nachehelichen Unterhaltspflichten vergleichbar. Für diese sei das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person, vorliegend die Antragstellerin, ihren gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe, nach der Trennung und bei der Einleitung des Scheidungsverfahrens gehabt habe. Diese Orte lägen im zu entscheidenden Fall in Deutschland.
Nach den Vereinbarungen im Ehevertrag schulde der Antragsgegner der Antragstellerin im Fall der Scheidung die vereinbarte „Abendgabe“. Die weitere Voraussetzung des islamischem Rechts, nach der ein Ehemann die „Abendgabe“ nur im Falle eines von ihm ausgehenden „talaq“ zu zahlen habe, nicht aber, wenn – wie vorliegend – die Auflösung der Ehe von der Ehefrau ausgehe, könne dagegen nicht auf das deutsche Recht übertragen werden. Das folge aus dem kollisionsrechtlichen Prinzip des Ordre Public. Die in Frage stehende Einschränkung des islamischen Rechts sei mit wesentlichen Grundgedanken des deutschen Ehescheidungs- und Nachscheidungsunterhaltsrechts nicht zu vereinbaren. Im deutschen Recht sei, anders als nach islamischem Recht, nachehelicher Unterhalt grundsätzlich unabhängig vom Trennungsgrund und auch verschuldensunabhängig zu leisten.
Rechtskräftiger Beschluss des 3. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 22.04.2016 (3 UF 262/15)
Schlagworte:
Normen: FamFG § 65 Abs. 4, § 69 Abs. 1 S. 3, § 113 Abs. 1 S. 2, § 117 Abs. 2; ZPO § 308 Abs. 1 S. 1, § 538 Abs.2 S. 1 Nr. 1; Brüssel-IIa-Verordnung Art. 3 a); Rom-III-Verordnung Art. 1 Abs. 2, Art. 2, Art. 5, Art. 7 Abs. 1c), Art. 8a), Art. 10, Art. 12, Art. 18 Abs. 1; BGB § 242, § 1410, § 1564, § 1565 Abs. 1 , Abs. 2, 1566 Abs. 1, § 1567, § 1570 ff., § 1579, § 1609 Nr. 1; EGBGB Art. 6, Art. 14 Abs. 1 Nr. 2, Art. 17 Abs. 3 S. 1, S. 2; VersAusglG § 3 Abs. 1, § 10 Abs. 1, § 18 Abs. 1, 2, 3; libanesisches Familiengesetz von 1917, geändert durch Familiengesetz vom 16.07.1962, Art. 33-37, Art. 80-90, Art. 102-109, Art. 343, Art. 349 a), c), d), e), HUntProt, Art. 3 Abs. 1, Art. 5, Art. 6, Art. 7, Art. 8 Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Scheidung nach islamisch-sunnitischem Recht; Anzuwendendes Ehescheidungsrecht nach der für seit dem 21.06.2012 anhängige Verfahren allein maß-geblichen Rom-III-Verordnung: Recht des gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 8 a) oder Rechtswahl nach Art. 5, international anzuwendendes Scheidungsrecht, Versorgungsausgleichsrecht und Scheidungsfolgen-recht,Wirksamkeit eines vor dem Scharia-Richter im Libanon anlässlich der Eheschließung abgeschlosse-nen Ehevertrages mit der Vereinbarung eines „Mahr“ (Morgen- und Abendgabe); Recht der Ehefrau auf Einforderung der Abendgabe trotz eigenen Stellens des Scheidungsantrags im Rahmen des Ordre Public.
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