Oberlandesgericht Hamm, Beschluß vom 17.06.2016 (3 UF 47/15):

1. Die sachrechtliche und prozessrechtliche Wirkung eines Prozessvergleichs tritt grundsätzlich nur dann ein, wenn er materiell-rechtlich und als Prozesshandlung ordnungsgemäß ist, sodass die erfolgreiche Anfechtung eines allein aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksamen Prozessvergleichs gleichzeitig dazu führt, dass diesem auch seine prozessuale verfahrensbeendende Wirkung fehlt und der Rechtsstreit in demselben Verfahren fortzuführen ist.

2. Gem. § 123 Abs. 1 BGB hat ein Anfechtungsrecht, wer vom Prozessgegner oder einem in seinem Verhalten dem Prozessgegner gem. § 166 BGB zuzurechnenden Dritten durch arglistige Täuschung zum Abschluss eines Prozessvergleichs bestimmt worden ist, wobei die zumindest bedingten Vorsatz erfordernde Täuschung durch positives Tun oder Unterlassen begangen werden kann.

3. Bei Vertragsverhandlungen – auch bei prozessualen Vergleichsverhandlungen – besteht ausnahmsweise eine ungefragte Aufklärungs- und Offenbarungspflicht gegenüber dem Vertragspartner über die ihm erkennbar nicht bekannten besonders wichtigen Tatsachen, die für dessen Willensbildung erkennbar von ausschlaggebender Bedeutung sind, weil sie den Vertragszweck vereiteln bzw. erheblich gefährden können oder geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

4. Demgegenüber hat ein reiner Rechtsirrtum der Parteien ohne jeden Irrtum über Tatsachen bzw. die mangelnde Aufklärung über einen solchen Rechtsirrtum nicht die Unwirksamkeit eines Vergleichs wegen Anfechtung nach § 119 BGB oder § 123 BGB zur Folge.

5. Gehen beide Ehegatten im Zugewinnausgleichsverfahren ursprünglich irrtümlich davon aus, dass eine von ihnen während der Ehe auf einem allein dem Antragsgegner gehörenden Erbbaugrundstück gemeinschaftlich errichtete Immobilie – über deren tatsächlichen Wert sie zudem streiten – in ihrem hälftigen Miteigentum stehe, besteht für den Antragsgegner, wenn er während des Verfahrens – ebenso wie sein Bevollmächtigter – Kenntnis von seinem tatsächlichen Alleineigentum an der Immobilie erlangt, eine Aufklärungspflicht gegenüber der Antragstellerin über diese Tatsache.

6. Ein wirtschaftlich auf der unrichtigen Grundlage der jeweils hälftigen Bewertung der Immobilie im Endvermögen beider Beteiligten stehender Teilvergleich zum Zugewinnausgleich kann in diesem Falle von der Antragstellerin mit Erfolg wegen arglistiger Täuschung durch Unterlassen des sie in der mündlichen Verhandlung nicht aufklärenden Antragsgegners angefochten werden, soweit sich unter Anlegung der zutreffenden Eigentumsverhältnisse eine um ein mehrfaches höhere Zugewinnausgleichsforderung ergeben würde.

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