Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 11.11.2016 (I-26 U 111/15):

Ist vor einer HWS-Operation eine neurologische Untersuchung geboten und unterbleibt diese, ist die Operation nicht indiziert.

Die Vornahme eines schwerwiegenden operativen Eingriffs ohne zuvor gesicherte Diagnose, kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein.

Aus den Gründen der Entscheidung des Landgerichts:

„Vor der Operation vom 11.03.2009 sei grob fehlerhaft eine weitere präoperative Befunderhebung unterlassen worden. Man hätte dem zwischenzeitlich bei der Klägerin  neu aufgetretenen neurologischen Befund unabdingbar durch erneute neurologische Untersuchung und ein weiteres MRT nachgehen müssen. Diese seien auch für die Stellung der Operationsindikation erforderlich gewesen. Gerade der Umstand, dass eine relativ rasche Befundverschlechterung eingetreten sei, habe für andere Ursachen als knöcherne Veränderungen gesprochen. Infolge der unterlassenen Befunderhebung habe es keine sichere Diagnose gegeben, weshalb der Sachverständige diesen Fehler für unverständlich gehalten habe. Auf etwaige Fehler bei der Durchführung des unter Wahrung des Facharztstandards vorgenommenen Eingriffs komme es danach nicht mehr an. Aus dem postoperativen CT lasse sich ein regelgerechter Sitz der eingebrachten Bandscheibenprothese, des Cages und der Platten erkennen. Ursache der postoperativen Komplikation sei eine Nachblutung, die nicht zuverlässig zu vermeiden sei. Angesichts der Erforderlichkeit eines CT sei die erste Nachoperation als zeitgerecht anzusehen. Insgesamt erlaube die Vielzahl der präoperativen Fehler im Bereich der Befunderhebung, Diagnostik und Operationsplanung die Annahme einer grob fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Die Klägerin habe nicht zu diesem Zeitpunkt und nicht in dieser Form operiert werden dürfen. Aufgrund des grob fehlerhaften Vorgehens der Beklagten greife zugunsten der Klägerin eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität, die durch die Beklagte nicht entkräftet worden sei. Durch die Operation sei es zu einer kompletten Querschnittslähmung unterhalb C3/4 gekommen mit der Folge, dass der Klägerin keine Willkürbewegungen der Arme und Beine mehr möglich seien und dass das sensible Empfinden im Bereich des Stammes und der Extremitäten einschließlich des sexuellen Empfindens fehle. Aufgrund einer Zwerchfellbeeinträchtigung sei auch eine eigenständige dauerhafte Atmung nicht mehr möglich, was eine Langzeitbeatmung zur Folge habe und zur Beeinträchtigung des Sprechvermögens geführt habe. Ferner bestehe eine Blasen- und Darmentleerungsstörung sowie eine Störung der Magen-Darm-Funktion. Auch eine psychische Belastung sei mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben. Aufgrund des dauerhaften und unabänderlichen Zustands und des Umstands, dass die Klägerin vollkommen auf fremde Hilfe angewiesen sei, sei ein Schmerzensgeld von 400.000,00 € gerechtfertigt.“