Bundessozialgericht, Urteil vom 19.8.2015 (B 14 AS 1/15 R), PM

1. Die Unbilligkeitsverordnung regelt abschließend die Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen Leistungsberechtigte zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht verpflichtet sind.

2. Die Aufforderung an Leistungsberechtigte zur Beantragung einer vorrangigen Leistung steht im Ermessen der Jobcenter.

Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die angefochtene Aufforderung des Klägers zur Rentenantragstellung rechtmäßig ist.

Die angefochtene Aufforderung ist nicht bereits erledigt und die Anfechtungsklage nach wie vor zulässig, nachdem der Beklagte gegen den Bescheid des Rentenversicherungsträgers vom 8.9.2014 Widerspruch eingelegt hat. Solange das auf dem Antrag des Beklagten vom 8.7.2013 beruhende Rentenverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist, begründet die angefochtene Aufforderung die Verfahrensführungsbefugnis des Beklagten für den Kläger im Rentenverfahren und besteht das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die Anfechtungsklage fort.

Der Beklagte kann sich für die Aufforderung des Klägers zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente auf die gesetzliche Ermächtigung in § 5 Abs 3 Satz 1 iVm § 12a SGB II stützen. Danach kann der SGB II-Leistungsträger, kommt der Leistungsberechtigte seiner Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen eines anderen Trägers nicht nach, ihn zur Beantragung dieser Leistungen auffordern und bei unterbliebener Mitwirkung für den Leistungsberechtigten den Antrag stellen. Zu den vorrangigen Leistungen gehört grundsätzlich auch die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres trotz der mit ihr verbundenen dauerhaften Rentenabschläge.

Die Voraussetzungen dieser mit der Verfassung vereinbarten Ermächtigungsgrundlage sind erfüllt. Der Kläger ist nach § 12a SGB II zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente verpflichtet und der Beklagte hat das bereits im Rahmen der Aufforderung zur Antragstellung eingeräumte Ermessen erkannt und pflichtgemäß ausgeübt. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente durch den Kläger ist iS des § 12a Satz 1 SGB II erforderlich, weil dies unabhängig von der Höhe der Rente aufgrund des Leistungsausschlusses bei Bezug einer Rente wegen Alters durch § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II zur Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt. Eine Antragstellung durch den Kläger ist iS des § 12a Satz 1 SGB II erforderlich, weil Renten aus eigener Versicherung nur auf Antrag geleistet werden (§ 99 Abs 1 SGB VI). Der Verpflichtung des Klägers steht die Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente nicht entgegen, weil keiner der in der Unbilligkeitsverordnung abschließend geregelten Ausnahmetatbestände eingreift. Im Rahmen seiner Ermessensausübung hinsichtlich des Ob einer Aufforderung zur Antragstellung hat sich der Beklagte mit den vom Kläger gegen eine vorzeitige Renteninanspruchnahme vorgebrachten Argumenten auseinander gesetzt. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Andere Gründe, weshalb vom gesetzlichen Regelfall, der vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres den Vorrang vor dem Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II einzuräumen, abgewichen werden könnte, hat der Beklagte nicht erkennen können. Sie drängen sich auch dem Senat nicht auf, zumal die vorzeitige Altersrente trotz der mit ihr verbundenen Rentenabschläge erheblich höher als der Alg II-Bedarf des Klägers ist, weshalb er durch deren Bezug nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII würde. Auf eine etwaige künftige Hilfebedürftigkeit des Klägers und seiner Ehefrau bei Bezug von Regelaltersrenten kommt es im Zeitpunkt seiner Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente nicht an.

SG Duisburg – S 55 AS 4434/12 –
LSG Nordrhein-Westfalen – L 7 AS 886/14 –
Bundessozialgericht – B 14 AS 1/15 R –