Sozialgericht Mainz, Beschluß vom 12.12.2014 (S 3 AS 130/14):

1. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

2. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die in Regelbedarfen (ggf. ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind, sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 135).

3. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen selbst zu treffen. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Bedarfsermittlung und zur tragfähigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat.

4. Die Frage, ob darüber hinaus die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

5. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

6. Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

vgl.: Sozialgericht Mainz, Vorlagebeschluß vom 12.12.2015 (S 3 AS 370/14), Sozialgericht Gotha, Vorlagebeschluß vom 26.05.2015 (S 15 AS 5157/14)