Bundessozialgericht, Urteil vom 29.06.2016 (B 12 KR 23/14 R):

Die Anfechtung eines Versicherungsvertrags durch ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung wegen arglistiger Täuschung lässt die Wirksamkeit der zuvor vom Versicherten erklärten Kündigung seiner freiwilligen Mitgliedschaft bei einer gesetzlichen Krankenkasse und das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinn der Regelungen über die Auffang-Pflichtversicherung unberührt.

Pressemitteilung:

Die Revision der Klägerin blieb ohne Erfolg. Sie ist seit 1.6.2011 nicht mehr bei der beklagten Krankenkasse versichert. Die später erklärte Anfechtung des nachfolgenden Versicherungsvertrages durch das private Versicherungsunternehmen nach § 22 VVG iVm § 123 Abs 1 BGB ließ die zuvor erklärte Beendigung der Mitgliedschaft aufgrund freiwilliger Versicherung in der GKV unberührt. § 175 Abs 4 S 4 SGB V setzt für die Wirksamkeit der Kündigung einer freiwilligen Mitgliedschaft zunächst nur den innerhalb der Kündigungsfrist zu erbringenden Nachweis voraus, dass in der Folge eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse oder zumindest eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall bestehen wird. Eine abschließende Klärung des rechtlichen Bestehens der weiteren Versicherung bzw Absicherung ist damit innerhalb dieses Zeitraums noch nicht gefordert (zu einer schon vor Beginn der Versicherungspflicht ausgestellten Mitgliedbescheinigung und der daraus folgenden nur eingeschränkten Aussagekraft gerade bei erstmaliger Krankenkassenwahl vgl BSG SozR 4-2500 § 175 Nr 4 RdNr 24). Auch hat das Gesetz an anderer Stelle Regelungen für den Fall getroffen, dass der Wechsel eines in der GKV Versicherten in die PKV fehlschlägt oder (umgekehrt) eine Versicherung in der GKV ‑ entgegen der Erwartung bei Kündigung eines privaten Versicherungsvertrages ‑ nicht zu Stande kommt, während es hier an einer vergleichbaren Bestimmung fehlt (vgl zur Unwirksamkeit der Kündigung einer freiwilligen Mitgliedschaft § 175 Abs 4 S 10 SGB V idF bis zum 31.12.2014 und zum umgekehrten Fall eines fehlgeschlagenen Wechsels von der PKV in die GKV § 5 Abs 9 SGB V). Aus dem Regelungszweck des § 175 Abs 4 S 4 SGB V ergibt sich nichts anderes. Die Klägerin ist als Versicherte insoweit auch nicht schutzlos: Nach einer Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung durch ihren Vertragspartner hatte sie jedenfalls gegen ein anderes Unternehmen der PKV Anspruch auf Abschluss eines (neuen) Versicherungsvertrags im Basistarif. Dieser Fall ist in § 193 Abs 5 S 4 Nr 1 VVG ausdrücklich geregelt.

Die Klägerin ist nach dem 31.5.2011 auch nicht pflichtversichertes Mitglied der Beklagten geworden, weil sie iS des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V durch die von ihr gewollte Einbeziehung in die PKV einen „anderweitigen“ Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatte. Die Klägerin hatte bis zur Anfechtung des Vertrages nämlich ‑ was insoweit ausreicht ‑ tatsächlich Versicherungsschutz, der die Absicherung im Krankheitsfall im System der PKV umfasste. Dafür spielt es keine Rolle, dass ggf nach den Umständen des Einzelfalls im System Leistungen ‑ hier wegen arglistiger Täuschung ‑ ausgeschlossen sein können, oder ob Leistungen zu Unrecht erbracht wurden und im Nachhinein wieder ‑ etwa nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen ‑ erstattet werden müssen. Diese Auslegung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V ist vor allem im Hinblick auf den mit der Einführung dieser Versicherungspflicht verfolgten Zweck als (subsidiäre) Auffang-Versicherungspflicht geboten und entspricht der Systematik des Gesetzes. Nach der Anfechtung des Versicherungsvertrages durch ein Unternehmen der PKV wegen arglistiger Täuschung nach § 22 VVG iVm § 123 Abs 1 BGB hat der Versicherte einen Anspruch auf Abschluss einer Krankenversicherung im Basistarif (vgl erneut § 193 Abs 5 S 4 Nr 1 VVG). Damit gilt die Zuordnung zur PKV unverändert fort.

SG Köln – S 29 KR 446/13 –
LSG Nordrhein-Westfalen – L 16 KR 735/13 –
Bundessozialgericht – B 12 KR 23/14 R –