Das Oberlandesgericht Hamm befand in seinem Beschluß vom 12.10.2011 (I-20 W 29/11), daß in einem einstweiligen Verfügungsverfahren der Versicherer verpflichtet werden könne, vorab eine Kostenzusage zu erteilen, wenn ein schutzwürdiges Interesse des Versicherungsnehmers hieran bestehe. Eine Heilbehandlung liege auch dann vor, wenn zur Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit eine Überwachung zur Erhaltung der Vitalfunktionen rund um die Uhr erforderlich sei (hier: Absaugen von Schleim bei chronisch obstruktiver Bronchitis und schwerer Dysphagie). Eine Formularklausel in einem Krankheitskostenversicherungsvertrag, die nichtärztliche Leistungen, die zur Erhaltung der Vitalfunktionen des Versicherungsnehmers erforderlich seien, ausgrenzt, gefährde den Vertragszweck i.S.d. § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
Zum Sachverhalt:
Der Kläger war Richter im Ruhestand, nachdem er im Jahr 1999 einen hypoxischen Hirnschaden erlitten hatte. Er war in die Pflegestufe 3 eingruppiert und wurde zu Hause gepflegt.
Am 01.04.2011 verordnete der behandelnde Arzt, der eine chronische obstruktive Bronchitis und eine schwere Dysphagie diagnostizierte, eine häusliche medizinische Intensivpflege für die Zeit vom 01.04.2011 bis zum 30.04.2011 für die Nacht als dringend erforderlich, da eine Krankenschwester für den nächtlichen Dienst das Absaugen von Schleim übernehmen und dadurch die Atmung sicherstellen müsse. Mit Verordnung vom 01.05.2011 wiederholte der behandelnde Arzt diese Verordnung betreffend die Zeit vom 01.05.2011 bis zum 31.07.2011.
Mit Verordnung vom 07.07.2011 verordnete der behandelnde Arzt eine häusliche Intensivpflege für 24 Stunden als dringend erforderlich. Ganztägig sei eine Krankenschwester zur Übernahme des Absaugens von Schleim und zur Sicherstellung der Atmung erforderlich. Nach einem „ärztlichen Gutachten“ des behandelnden Arztes bestehe zur Zeit eine extrem starke Schleimproduktion, die durch akute Verlegung der Luftröhre zu einer lebensbedrohlichen Situation führen könnte. Deshalb müsse der Antragsteller ständig intensivmedizinisch beobachtet werden; Im Falle des Hochhustens des Schleims müsse dieser zur Vermeidung einer vitalen Gefährdung sofort abgesaugt oder manuell entfernt werden.
Gemäß Kostenvoranschlag der „K gmbH“ vom 19.07.2011 würden für diese außerklinische Intensivpflege monatliche Kosten von 21.600,00 EUR bei einem Stundensatz von 30,00 EUR entstehen.
Der Antragsteller hatte gegenüber dem Land C einen Beihilfeanspruch in Höhe von 70 %. Hinsichtlich der weiteren 30 % bestand mit der Antragsgegnerin ein Krankenversicherungsvertrag unter der Geltung der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Stand 1. Januar 2009“ sowie der „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Stand 1. Januar 2009 Teil II Tarife P und Z mit Tarifbedingungen Stand 1. Januar 2009“.
Mit Schreiben vom 05.04.2011 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, daß tarifliche Leistungen nicht erbracht werden könnten, weil bedingungsgemäß nur Aufwendungen für solche ärztliche Leistungen erstattungsfähig seien, die in der Gebührenordnung für Ärzte aufgeführt seien. Bei Leistungen der Behandlungspflege durch Angehörige von privaten Pflegediensten handele es sich nicht um ärztliche Leistungen.
Der Antragsteller hatte geltend gemacht, daß die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme daraus folge, daß die häusliche Intensivpflege ärztlich verordnet sei und damit eine Leistung darstelle, auch wenn die Leistung als solche nicht von einem Arzt, sondern von einer Krankenschwester übernommen würde.
Er hatte vorgetragen und durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner gesetzlichen Vertreterin glaubhaft gemacht, daß angefragte Pflegedienste zur Übernahme der verordneten Intensivpflege nur bereit seien, wenn auch die Antragsgegnerin eine Kostenzusageerklärung abgebe. Derzeit werde die Pflege durch die Ehefrau und deren Schwester durchgeführt, die jedoch beide ausweislich eines ärztlichen Attestes akut erkrankt seien.
Hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hatte der Antragsteller eine Lohnsteuerbescheinigung sowie eine eidesstattliche Versicherung seiner gesetzlichen Vertreterin vorgelegt.
Er hatte sich auf den Standpunkt gestellt, daß ihm durch die übermäßige Schleimproduktion Lebensgefahr drohe.
Der Antragsteller erhob am 20.07.2011 Klage in der Hauptsache erhoben.
Das Landgericht hatte den Antrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung durch den angefochtenen Beschluß zurückgewiesen. Die Erstattungsfähigkeit der streitgegenständlichen Pflegekosten im Rahmen eines Vertrages über eine private Krankenversicherung scheitere daran, daß diese Kosten nicht innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Krankenversicherers entstünden. Nach eigenem Vorbringen des Antragstellers sei eine Heilung oder Besserung nicht möglich; die benötigte und verordnete häusliche Intensivpflege diene nicht dem Zweck, den Zustand des Antragstellers zu verbessern oder seine Krankheit zu heilen, sondern solle verhindern, daß der Antragsteller an dem durch seinen Körper unkontrolliert produzierten Schleim ersticke. Ziel sei deshalb lediglich die Erhaltung des derzeitigen Zustands durch Verhinderung dessen, daß die vorhandene körperliche Störung zu einer Lebensgefahr bzw. zu einem Ersticken führe. Kosten könnten daher allenfalls aus der Pflegeversicherung verlangt werden.
Mit seiner sofortigen Beschwerde machte der Antragsteller geltend, daß die Schleimproduktion nicht mit seinem Hirnschaden, der zu seiner Pflegebedürftigkeit geführt habe, in Verbindung stehe. Ohnehin würde durch die Intensivpflege nicht nur der jetzige Zustand aufrechterhalten, sondern auch durch Beseitigung der mit der übermäßigen Schleimproduktion verbundenen ständigen Gefahr des Erstickens der Zustand gelindert und geheilt.
Die Beschwerde des Antragstellers hatte Erfolg. Im Wege der einstweiligen Verfügung wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller eine Kostenzusage bis zum rechtskräftigen Abschluß des bereits anhängigen Hauptsacheverfahrens für die ärztlich verordnete Intensivpflege zu erteilen.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom 13.01.2006 20 U 198/05 = NJOZ 2006, 1201) könne in Ausnahmefällen eine Kostenübernahmeerklärung des Versicherers im Wege der einstweiligen Verfügung zur Abwendung schwerwiegender Nachteile und Schäden für Gesundheit, Leib und Leben trotz des Befriedigungscharakters der damit begehrten Leistungsverfügungen verlangt werden. Dies sei hier der Fall. Denn der Antragsteller habe sowohl einen Verfügungsgrund als auch einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 13.01.2006 20 U 198/05 = NJOZ 2006, 1201) komme aus Treu und Glauben ein Anspruch des Versicherungsnehmers auf eine vorab vorzunehmende Überprüfung der Kostenübernahme und Erteilung einer Kostenübernahmeerklärung in Betracht, wenn in Ausnahmefällen ein schutzwürdiges Interesse des Versicherungsnehmers hieran bestehe. Dies sei hier der Fall, da der Antragsteller sowohl glaubhaft gemacht habe, daß er die nicht von seinem Beihilfeanspruch abgedeckten besonders gravierenden Kosten der Intensivpflege weder von seinem Einkommen noch seinem Vermögen abdecken könne als auch glaubhaft gemacht habe, daß die angefragten Dienstleister ihre Tätigkeit von dem Vorliegen einer Kostenzusage abhängig gemacht hätten.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der vereinbarten MB/KK 2009 biete die Antragsgegnerin Versicherungsschutz u.a. für Krankheiten und erbringe nach § 1 Abs. 1 Satz 3 lit a) im Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen. Nach § 1 Abs. 2 MB/KK 2009 sei Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person u.a. wegen Krankheit.
Zwar treffe im Ausgangspunkt die Annahme des Landgerichts zu, daß Heilbehandlung jede auf Heilung oder Linderung einer Krankheit zielende Tätigkeit sei. Allerdings seien nach ganz einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur gleichgestellt solche Tätigkeiten, die auf die Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet seien. Dies sei hier nach dem durch Vorlage der ärztlichen Atteste glaubhaft gemachten medizinischen Befund gegeben. Denn danach produziere der Körper des Antragstellers, der an einer chronisch obstruktiven Bronchitis leide, unkontrolliert und übermäßig Schleim, der wegen einer schweren Dysphagie ständig abgesaugt werden müsse, wobei der Antragsteller bei Unterlassen des Absaugens in die Gefahr des Erstickens geriete. Ferner sei anerkannt, daß auch Überwachungsmaßnahmen als medizinisch notwendige Heilbehandlung einzuordnen seien. Die vom Landgericht für seinen gegenteiligen Standpunkt herangezogene Entscheidung des KG (Beschluß vom 18.06.2002 6 W 82/02), in der es um Kosten für Rollstuhl, Brustpellote, Sitzhose, Inkontinenzartikel und künstliche Ernährung gegangen sei, betreffe ersichtlich eine gänzlich andere Fallgestaltung.
Die dem Antragsteller verordnete Intensivpflege diene somit der Verhinderung der konkret ständig gegebenen Gefahr des Erstickens. Der Charakter der verordneten Intensivpflege als einer Heilbehandlung könne deshalb nicht zweifelhaft sein.
Der Erstattungsfähigkeit der Kosten für die häusliche Intensivpflege stehe auch nicht entgegen, daß diese Leistung nicht von einem Arzt, sondern einer Krankenschwester erbracht werde.
Zwar seien nach der „Anmerkung zu A. und B.“ zu den Versicherungsleistungen in der ambulanten Krankenhilfe erstattungsfähig nur ärztliche Aufwendungen für solche Leistungen, die in der Gebührenordnung für Ärzte aufgeführt seien; eine Erstattungsfähigkeit nicht ärztlicher Leistungen sei nur in den unter A. beschriebenen, vorliegend jedoch nicht einschlägigen Fallkonstellationen vorgesehen.
Eine solche Einschränkung des Leistungsversprechens des Versicherers in einer Krankheitskostenversicherung halte jedoch einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB nicht stand, weil sie den Vertragszweck der Krankheitskostenversicherung gefährde, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien Tarifbedingungen als das Hauptleistungsversprechen einschränkende Regelungen inhaltlich zu kontrollieren (vgl. BGH VersR 2004, 1035). Eine Vertragszweckgefährdung sei anzunehmen, wenn mit der Einschränkung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt werden könne und damit in Bezug auf das versicherte Risiko zwecklos werde (BGH a.a.O.). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer einer Krankheitskostenversicherung bezwecke in erster Linie eine Abdeckung des Kostenrisikos, welches durch die notwendige Behandlung von Krankheiten entstehe. Bei den Kosten nichtärztlicher Leistungen, die der Erhaltung grundlegender Vitalfunktionen des Versicherungsnehmers dienten, handele es sich gerade um den Kernbereich des Risikos, dessen Abdeckung typischerweise mittels des Krankheitskostenversicherungsvertrages erfolgen solle.
Aus dem Vorstehenden folge zugleich, daß die Kosten der Intensivpflege nicht etwa, wie das Landgericht gemeint habe, allenfalls der Pflegeversicherung unterfielen. Vielmehr liege ein Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung vor.
Die Höhe des seitens des Dienstleisters verlangten Stundensatzes unterliege keinen Bedenken; solche seien seitens der Antragsgegnerin vorprozessual auch nicht erhoben worden. Vielmehr habe sich die Antragsgegnerin aus Kulanz für eine begrenzte Zeit bereit erklärt, die in dieser Höhe entstehenden Kosten zu tragen.
Der Kläger habe eine existentielle Notlage als Verfügungsgrund für die von ihm begehrte Leistungsverfügung dargelegt und glaubhaft gemacht. Dies folge aus den durch Vorlage einer Lohnsteuerbescheinigung und einer eidesstattlichen Versicherung seiner gesetzlichen Vertreterin glaubhaft gemachten Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Antragstellers.
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