Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 23.11.2011 (IV ZR 70/11) hat der Unfallversicherer den Vollbeweis i.S. von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO dafür zu erbringen, daß Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen (hier dem Tod des Versicherungsnehmers) zu mindestens 25% mitgewirkt haben.
In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte der Versicherungsnehmer bei Arbeiten einen Stromschlag erlitten und war verstorben. Die Unfallversicherung verweigerte die Entschädigungszahlung mit der Begründung, es habe sich herausgestellt, daß der Versicherte schwer krank gewesen sei und er ohne diese Erkrankung den Stromschlag überlebt hätte. Ein eingeholtes Sachverständigengutachten hielt dies für möglich, aber nicht sicher. Der Bundesgerichtshof befand, daß das nicht genüge. Das Gutachten müsse vielmehr konkret nachweisen, daß die Vorerkrankung den Tod beeinflußt habe.
Im einzelnen:
Die Klägerin begehrte als Bezugsberechtigte von der beklagten Unfallversicherung die Todesfallleistung, die ihr am 6. Februar 2004 verstorbener Ehemann in Verbindung mit einer Risikolebens-versicherung abgeschlossen hatte. Dem Versicherungsvertrag lagen die Bedingungen der Beklagten für die Unfallzusatzversicherung mit Leistung bei Erwerbsunfähigkeit oder Todesfall zugrunde (BB-UZV). Diese bestimmen in § 4:
„Haben zur Herbeiführung des Todes bzw. der Erwerbsunfähigkeit neben dem Unfall Krankheiten oder Gebrechen zu mindestens 25 Prozent mitgewirkt, so vermindert sich unsere Leistung entsprechend dem Anteil der Mitwirkung.“
Am 26. Januar 2004 führte der Ehemann der Klägerin in einem Betrieb Elektroarbeiten aus. Die Klägerin behauptete, ihr Ehemann habe während der Montage aus einem Schaltschrank ein Kabel heruntergezogen und sei damit an mindestens eine Phase gelangt, wodurch ein Kurzschluß ausgelöst worden sei. Der dabei erlittene Stromschlag sei Ursache für den Tod ihres Ehemannes gewesen, dessen Gesundheitszustand sich nach dem Stromunfall erheblich verschlechtert habe.
In einem für die Berufsgenossenschaft erstellten pathologischen Gutachten vom 21. Juni 2004 wurden aufgrund einer Obduktion vom 9. Februar 2004 eine hochgradig stenosierende Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße als Grundleiden und frische subendokardiale Myocardinfarkte der Hinterwand und der Seitenwand des linken Ventrikels beschrieben; als Todesursache wurde ein protrahiertes Herz-Kreislauf-Versagen bei Koronarinsuffizienz angegeben.
Die Beklagte lehnte Leistungen aus der Unfallzusatzversicherung ab, weil der Tod des Ehemannes der Klägerin nicht auf einen Unfall, sondern auf die bestehende schwere Herzkrankheit zurückzuführen sei.
Das Landgericht hatte nach Vernehmung verschiedener Zeugen, Einholung mehrerer medizinischer Sachverständigengutachten und mündlicher Anhörung der Sachverständigen der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung der Todesfallleistung in Höhe von 231.183 verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hatte das Oberlandesgericht nach ergänzender Beweisaufnahme die Verurteilung dahin geändert, daß es der Klägerin nur die Hälfte der Klageforderung zuerkannte. Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihren restlichen Zahlungsanspruch weiter.
Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Zugunsten der Klägerin sei – so der BGH – die Feststellung des Berufungsgerichts zugrundezulegen, daß ihr Ehemann am 26. Januar 2004 einen Stromschlag erlitten habe, der zu einer Gesundheitsbeschädigung in Form einer Herzrhythmusstörung geführt habe, die den Tod des Versicherungsnehmers zumindest mitverursacht habe.
Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin eine Koronararteriosklerose aller drei Herzgefäße habe zu 50% an seinem Tod mitgewirkt, beruht auf einem fehlerhaften Ausgangspunkt. Das Berufungsgericht hat das Beweismaß für das Leistungskürzungsrecht des Unfallversicherers bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen verkannt.
Im Ansatz zutreffend sei das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Beweislast für die Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen bei dem Unfallversicherer liege (OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2010 10 U 1014/09, die Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Parallelverfahren wurde durch Senatsbeschluss vom 14. September 2010 IV ZR 156/10 – zurückgewiesen). Dies sei bislang schon einhellige Auffassung gewesen und sei nunmehr in § 182 VVG gesetzlich normiert worden(Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Bundes-regierung zum Versicherungsvertragsreformgesetz, BT-Drucks. 16/3945 S. 108). Nicht nur nach der Intention des Reformgesetzgebers (aaO), sondern auch nach bislang unangefochtener Ansicht erstrecke sich die Beweislast des Versicherers auf den Nachweis, daß der Mitwirkungsanteil mindestens 25% entspreche. Liege der Mitwirkungsanteil darunter, so unterbleibt eine Minderung.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts halte die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit i.S. von § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO für ausreichend, um einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% nachzuweisen. Vielmehr werde allgemein sowohl für die Prüfung, ob überhaupt unfallabhängige Faktoren mitgewirkt haben, als auch für die Frage, ob der Mitwirkungsanteil mindestens 25% beträgt, das strenge Beweismaß des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO angewandt. Bleibe unklar, ob der Anteil der Mitwirkung 25% oder mehr betrage, so komme eine Leistungskürzung nicht in Betracht. Erst wenn dieser Nachweis erbracht sei, obliege es der freien tatrichterlichen Würdigung, die Höhe des anzurechnenden Mitwirkungsanteils gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu schätzen. Demgemäß sei in den im Berufungsurteil zitierten Entscheidungen zunächst festgestellt worden, daß der Mitwirkungsanteil der jeweiligen Vorerkrankung mehr als 25% betragen habe, und erst bei der Gewichtung im Verhältnis zu dem Unfall eine Schätzung nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgenommen worden.
Der BGH teilte die herrschende Auffassung, daß der Versicherer für einen Mitwirkungsanteil von mindestens 25% den Vollbeweis gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erbringen habe. Bei der Prüfung, ob Krankheiten oder Gebrechen bei der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen zu mindestens 25% mitgewirkt hätten, gehe es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um die Unfallfolgen und damit um die haftungsausfüllende Kausalität wie bei der vom Versicherungsnehmer nach dem Beweismaß des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu beweisenden Tatsache, daß die unfallbedingte Gesundheitsschädigung für die Invalidität oder den Tod des Versicherten (mit-) ursächlich gewesen sei. (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Oktober 2001 – IV ZR 205/00). Vielmehr betreffe die Mitursächlichkeit von Vorerkrankungen eine Leistungseinschränkung, für die grundsätzlich der Versicherer die volle Beweislast trage. Für diesen Beweis genüge nicht eine überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit. Vielmehr müsse ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit erreicht werden, der den Zweifeln Schweigen gebiete, ohne sie völlig auszuschließen.
Das Berufungsgericht werde nunmehr unter Anwendung des Beweismaßes gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO erneut zu prüfen haben, ob die Beklagte den ihr obliegenden Nachweis erbringen könne, daß die Vorerkrankung des Ehemannes der Klägerin zu mindestens 25% an seinem Tod mitgewirkt habe.
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