Der Bundesgerichtshof entschied erstmals in seinem Urteil vom 19. Januar 2011 (IV ZR 7/10), daߠauch der Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch des Kindes nicht grundsätzlich unwirksam ist.
Dies war zuvor juristisch umstritten. Alle Testamente, die vor der Verkündung des Urteils verfaßt wurden, sollte daher insofern überprüft werden, ansonsten könnte der Pflichtteil dem behinderten Kind zufallen und der Sozialhilfeträger könnte den Pflichtteilsanspruch auch bei entgegenstehendem Willen des behinderten Kindes geltend machen. Bei dem sog. Behindertentestament wird das behinderte Kind als unfreier Vorerbe eingesetzt, lebenslange Testamentsvollstreckung angeordnet und ein Betreuer gewählt. Als unfreier Vorerbe hat das Kind zwar die Stellung eines Erben, kann aber Gegenstände der Erbmasse nicht veräußern. Nach und nach kann aber durch die Konstellation Testamentsvollstreckung/Betreuung das Vermögen für das Kind eingesetzt und aufgebraucht werden. Sinnvoll ist es aber in jedem Fall, sowohl die Testamentsvollstrecker- als auch die Betreuervergütung vorab zu regeln. Im Falle des Todes des behinderten Kindes erbt sodann der Nacherbe. Um nun auch den Pflichtteil auszuschließen, was mit dem Urteil des Bundesgerichtshof nun als zulässig geklärt ist, muß ein diesbezüglicher Verzicht erklärt und angenommen werden.
Dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der klagende Sozialhilfeträger verlangte aus übergeleitetem Pflichtteilsanspruch im Wege der Stufenklage vom Beklagten als Alleinerben seiner Ehefrau die Ermittlung des Werts eines zum Nachlaß gehörenden Hausanwesens und Zahlung eines entsprechenden Betrags.
Am 6. November 2006 hatten der Beklagte und seine Ehefrau ein notarielles gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin setzten sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein. Schlußerben sollten die drei gemeinsamen Kinder sein, von denen eine Tochter unter einer Lernbehinderung litt, jedoch nicht unter gerichtlicher Betreuung stand und auch nicht in der Geschäftsfähigkeit eingeschränkt war. Diese Tochter erhielt seit dem Jahr 1992 vom Kläger Eingliederungshilfe (jetzt §§ 53 ff. SGB XII), die seit Mai 2007 als erweiterte Hilfe gemäß § 19 Abs. 5 SGB – 3 -XII gezahlt wurde. Die Leistungsbezieherin wurde für den Schlußerbfall zu 34/200 als nicht befreite Vorerbin eingesetzt; ihre Geschwister wurden zu je 83/200 zu Voll-Miterben bestimmt. Über den Vorerbteil wurde Dau-ertestamentsvollstreckung angeordnet. Testamentsvollstrecker sollte der Bruder der Leistungsbezieherin, Nacherben sollten die beiden Geschwister sein. Der Testamentsvollstrecker wurde angewiesen, der Leistungsbezieherin zur Verbesserung ihrer Lebensqualität aus den ihr gebühren-den Reinerträgen des Nachlasses nach billigem Ermessen solche Geld- oder Sachleistungen zukommen zu lassen, auf die der Sozialhilfeträger nicht zugreifen könne und die auch nicht auf die gewährten Sozialleistungen anrechenbar seien.
Im Anschluß an die Beurkundung des Testaments verzichteten die drei Kinder in notarieller Form auf ihren jeweiligen Pflichtteil nach dem Erstversterbenden. Noch im Laufe des Abends des 6. November 2006 verstarb die Ehefrau des Beklagten.
Mit Bescheid vom 30. April 2008 leitete der Kläger gemäß § 93 SGB XII den Pflichtteilsanspruch der Leistungsbezieherin nach der Mutter sowie „das nach § 2314 BGB bestehende Auskunftsrecht“ auf sich über.
Der Beklagte behauptete, die Motivation für den Pflichtteilsverzicht habe darin bestanden, ihn nach dem Tode seiner Ehefrau finanziell abzusichern und insbesondere eine Verwertung des Hausgrundstücks, neben dem keine wesentlichen Vermögenswerte vorhanden seien, zu vermeiden. Die Eheleute und ihre Kinder seien sich einig gewesen, dass die Kinder den elterlichen Nachlaß erst nach dem Letztversterbenden erhalten sollten, weshalb nicht nur die Leistungsempfängerin, sondern alle drei Kinder auf ihren jeweiligen Pflichtteil verzichtet hätten.
Der Kläger hielt jedenfalls den Pflichtteilsverzicht der Leistungsbezieherin wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB für unwirksam, da dieser ausschließlich dazu diene, unter Verstoß gegen das sozialrechtliche Nachranggebot den Zugriff des Sozialversicherungsträgers wenigs-tens auf den Pflichtteilsanspruch der Leistungsempfängerin zu verhindern, und sich somit als Vertrag zu Lasten Dritter darstelle.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Begehren weiter.
Der Bundesgerichtshof befand, daß das Oberlandesgericht zu Recht weder hinsichtlich des gemeinschaftlichen Testaments noch hinsichtlich des Pflichtteilsverzichts einen Sittenverstoß angenommen habe. Die Überleitung nach § 93 SGB XII sei daher ins Leere gegangen, weshalb der Kläger nicht Inhaber der geltend gemachten Wertermittlungs- und Pflichtteilsansprüche geworden sei.
Nach der gefestigten Senatsrechtsprechung zum so genannten Behindertentestament seien Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlaßverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten würden, daß das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlaßvermögen erhalte, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen könne, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus (BGHZ 123, 368; 111, 36; Senatsurteile vom 8. Dezember 2004 – IV ZR 223/03, NJW-RR 2005, 369; vom 19. Oktober 2005 – IV ZR 235/03, NJW-RR 2006, 223).
Um ein solches Testament handele es sich auch im Streitfall. Da die lernbehinderte Tochter des Beklagten Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. SGB XII beziehe, die das Vorliegen einer Behinderung voraussetzen würden, sei es unerheblich, daß sie gleichwohl geschäftsfähig gewesen sei und nicht unter gerichtlicher Betreuung gestanden habe.
Auch der von der Leistungsbezieherin erklärte Pflichtteilsverzicht verstoße weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau mit dem elterlichen Testament gegen die guten Sitten und sei daher wirksam.
Die Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten, die von Sozialleistungsbeziehern erklärt würden, werde in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilt.
Ein Teil der Rechtsprechung und – überwiegend älteren – Literatur hielte insbesondere ohne Gegenleistung erklärte Verzichte für sittenwidrig und nichtig. Diese Ansicht stütze sich hauptsächlich auf eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Sittenwidrigkeit von Unterhaltsverzichten in Eheverträgen oder Scheidungsfolgevereinbarungen, die dazu führen, daß ein Ehegatte sozialhilfebedürftig werde (BGHZ 178, 322 Rn. 36; BGHZ 158, 81, 87; BGHZ 86, 82, 88; BGH, Urteile vom 25. Oktober 2006 – XII ZR 144/04; vom 24. April 1985 – IVb ZR 22/84).
Dagegen verneine die weit überwiegende Auffassung insbesondere im jüngeren Schrifttum die Sittenwidrigkeit des Verzichts.
Die letztgenannte Auffassung treffe zu; die Verneinung der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten behinderter Sozialleistungsbeziehern sei bereits in der Senatsrechtsprechung zum „Behindertentestament“ angelegt.
Mit diesem Verzicht mache die Leistungsbezieherin von ihrem Recht aus § 2346 Abs. 2 BGB Gebrauch – durch Rechtsgeschäft mit der Erblasserin – die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs auszuschließen (vgl. BGHZ 37, 319, 325). Nach dem Grundsatz der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) seien Rechtsgeschäfte, die das bürgerliche Recht vorsiehe, wirksam, solange sie nicht gegen entgegenstehende Gesetze verstoßen würden (§ 134 BGB). Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen könne ihnen gleichwohl die Wirksamkeit versagt werden, wenn dies aufgrund übergeordneter Wertungen, etwa infolge objektiver Wertentscheidungen der Grundrechte, die über Generalklauseln wie § 138 Abs. 1 BGB in das Zivilrecht hineinwirken würden, erforderlich sei. In solchen Fällen müsse jedoch stets die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, nicht etwa dessen Rechtfertigung konkret begründet werden. Grundsätzlich könnten demzufolge alle im Erbrecht vom Gesetz bereitgestellten Gestaltungsinstrumente einschließlich ihrer Kombinationsmöglichkeiten zunächst ausgeschöpft werden.
Daher sei auch in Fällen etwaiger nachteiliger Wirkungen zu Lasten der Allgemeinheit nicht die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch besondere Gründe im Einzelfall zu rechtfertigen, sondern positiv festzustellen und zu begründen, gegen welche übergeordneten Wertungen das Rechtsgeschäft verstoße und weshalb seine Wirksamkeit nicht hingenommen werden könne.
Dem entspreche beim „Behindertentestament“, daß nicht etwa die Testierfreiheit einen sonst gegebenen Sittenverstoß ausschließe, sondern der von der Testierfreiheit getragenen letztwilligen Verfügung wegen der von den Eltern über ihren Tod hinaus getroffenen Fürsorge für das behinderte Kind die sittliche Anerkennung gebühre (vgl. BGHZ 111, 36, 42).
Die gegen die Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichts angeführten Gründe würden dessen Sittenwidrigkeit nicht zu rechtfertigen vermögen.
Beim Pflichtteilsverzicht eines Leistungsbeziehers handele es sich schon deswegen nicht um einen unzulässigen „Vertrag zu Lasten Dritter“ – wie der Kläger meine -, weil dem Sozialversicherungsträger durch den Verzicht keinerlei vertragliche Pflichten auferlegt würden. Der Nachteil der öffentlichen Hand entstehe vielmehr nur als Reflex durch Aufrechterhaltung der Bedürftigkeit. Für Dritte lediglich mittelbar durch das Rechtsgeschäft verursachte nachteilige Wirkungen seien von diesen jedoch grundsätzlich hinzunehmen und berührten die Wirksamkeit des Geschäfts im Regelfall nicht. Es bedürfe – hier nicht vorliegender – gesetzlicher Regelungen, wenn Nachteile Dritter im konkreten Fall beseitigt oder ausgeglichen werden sollten (z.B. durch Schadensersatz-, Bereiche-rungs- oder Wertausgleichansprüche; Möglichkeiten einer Anfechtung; Wegfall oder Beschränkung von Ansprüchen gegen den Dritten, etc.).
Das Sozialhilferecht sei zwar von dem Grundsatz durchzogen, daß jeder nur insoweit staatliche Hilfe beanspruchen könne, als er die betreffenden Aufwendungen (insbesondere den Lebensunterhalt) nicht durch den Einsatz eigener Einkünfte und eigenen Vermögens bestreiten könne, er somit bedürftig sei (Nachranggrundsatz, Subsidiaritätsprinzip). Zivilrechtliche Gestaltungen könnten mit diesem Grundsatz in Konflikt geraten, wenn sie darauf gerichtet seien, die Bedürftigkeit einer Person gezielt herbeizuführen.
Der Nachranggrundsatz sei indessen schon im Sozialhilferecht selbst in erheblichem Maße durchbrochen (BGHZ 111, 36, 42), vom Gesetzgeber für die unterschiedlichen Leistungsarten differenziert ausgestaltet und nicht überall beibehalten worden, weshalb dem Subsidiaritäts-prinzip als Grundsatz die Prägekraft weitgehend genommen worden sei (BGHZ 123, 368, 376). Der Gesetzgeber respektiere bei allen Leistungs-arten Schonvermögen des Leistungsempfängers, seines Ehegatten und seiner Eltern. Bei Leistungen für behinderte Menschen sei der Einsatz eigenen Vermögens zudem auf das Zumutbare begrenzt und vor allem die Überleitung von Unterhaltsansprüchen – insbesondere gegenüber den Eltern des Behinderten – nur in sehr beschränktem Umfang möglich (§§ 19 Abs. 3, 92, 94 Abs. 2 SGB XII). Gerade darin zeige sich das gegenläufige Prinzip des Familienlastenausgleichs, nach welchem die mit der Versorgung, Erziehung und Betreuung von Kindern verbundenen wirtschaftlichen Lasten, die im Falle behinderter Kinder besonders groß ausfallen würden, zu einem gewissen Teil endgültig von der Allgemeinheit getragen werden sollten, da nur Kinder die weitere Existenz der Gesellschaft sicherten (BGHZ 123, 368, 376). Insbesondere bei Hilfebeziehern mit Behinderungen lasse sich somit keine hinreichend konsequente Durchführung des Nachrangs der öffentlichen Hilfe entnehmen, die – bezogen auf die Er-richtung eines Behindertentestaments wie auch für den hier in Rede stehenden Pflichtteilsverzicht – die Einschränkung der Privatautonomie über § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen würde.
In diesem Sinn habe der Bundesgerichtshof ferner entschieden (Urteil vom 6. Februar 2009 – V ZR 130/08), daß es nicht ohne weiteres gegen die guten Sitten verstoße, ein Hausgrund-stück, das im Wesentlichen das gesamte Vermögen darstelle, gegen das Versprechen von Versorgungsleistungen zu übertragen, die nur so lange geschuldet sein sollten, wie sie von dem Verpflichteten auf dem übernommenen Anwesen selbst erbracht werden könnten und bei einer späteren Heimunterbringung ersatzlos wegfallen sollten. Dies gelte selbst dann, wenn für die Heimunterbringung die Sozialhilfe aufkommen müsse und deren Träger – wegen der lebzeitigen Übertragung – nicht im Regreßwege auf das Hausgrundstück zugreifen könne. Den Übergebenden treffe keine Pflicht, über die Leistungen an die gesetzliche Rentenversicherung hinaus für sein Alter vorzusorgen (BGH aaO Rn. 15). Anders als in den Fällen von Unterhaltsverzichten in Scheidungsfolgenvereinbarungen würden keine gesetzlichen Ansprüche abbedungen und es werde auch nicht in ein gesetzliches Konzept zum Nachteil des Sozialversicherungsträgers eingegriffen, weshalb der Nachranggrundsatz der öffentlichen Hilfe nicht berührt sei (BGH aaO Rn. 18).
Die Maßgeblichkeit dieser Wertungen auch im Streitfall werde nicht dadurch in Frage gestellt, daß beim Pflichtteilsverzicht der Leistungsbezieher selbst handele, während er bei der Errichtung eines Behindertentestaments nur von der Regelung des Nachlasses betroffen, nicht aber selbst als Handelnder daran beteiligt sei. Allerdings treffe es zu, daß sich der Verzichtende nicht wie der Erblasser auf die Testierfreiheit im eigentlichen Sinn berufen könne. Insofern sei der Pflichtteilsverzicht eher mit dem Fall der Ausschlagung einer bereits angefallenen Erbschaft vergleichbar.
Zwar habe das Oberlandesgericht Stuttgart in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit hierzu entschieden, daß eine (vom Betreuer erklärte) Ausschlagung der Erbschaft eines behinderten Kindes nicht vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden könne, insbesondere auch deswegen, weil eine solche Ausschlagung nicht mit dem sozialhilferechtlichen Nachrangprinzip zu vereinbaren sei. Der Behinderte entziehe durch die Ausschlagung bereits angefallenes Vermögen dem Zugriff des Sozialhilfeträgers und treffe daher eine sittenwidrige (§ 138 Abs. 1 BGB) Disposition zu Lasten der Hilfe leistenden Allgemeinheit. Diesem Ergebnis stehe die Senatsrechtsprechung zum Behindertentestament deswegen nicht entgegen, weil die Entscheidung über die Ausschlagung nicht Ausfluss der Testierfreiheit sei. Dem habe sich das Oberlandesgericht Hamm – ebenfalls in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – insoweit angeschlossen, als der Ausschlagende eigennützige und nicht wie der Erblasser eines Behindertentestaments altruistische Ziele verfolge.
Dies überzeuge indes nicht. Die Wertungen der Senatsrechtsprechung zum Behindertentestament müßten auch bei erbrechtlich relevantem Handeln Behinderter selbst zum Tragen kommen. Die Entscheidung darüber, ob sie die Erbschaft bzw. den Pflichtteil erhalten wollen, werde zunächst durch die Privatautonomie gedeckt. Grundsätzlich sei jeder frei in seiner Entscheidung, ob er Erbe eines anderen werden oder auf andere Art etwas aus dessen Nachlass bekommen wolle. Vor diesem Hintergrund sei der Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 GG auch ein Gegenstück im Sinne einer „negativen Erbfreiheit“ zu entnehmen. Wenn einerseits Erblasser frei darin seien, andere zu ihren Erben einzusetzen, sei dies andererseits nur insofern zu billigen, als die Betroffenen damit einverstanden seien. Es gebe keine Pflicht zu erben oder sonst etwas aus einem Nachlass anzunehmen. Wenigstens müsse den Betreffenden das Recht zur Ausschlagung zustehen, um sich gegen den vom Gesetz vorgesehenen Von-selbst-Erwerb (§§ 1922, 1942 BGB) wehren zu können.
Die grundsätzliche Ablehnungsmöglichkeit gegenüber Zuwendungen sei notwendiger Widerpart, der einen unmittelbar wirksamen Vermögensübergang ohne eigenes Zutun erst rechtfertige. Insoweit könne für einen erbrechtlichen Erwerb von Vermächtnis- oder Pflichtteilsansprüchen im Grundsatz nichts anders gelten als für die Erbenstellung selbst. In diesem Sinn stehe Pflichtteilsberechtigten für einen Verzicht nicht nur die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Privatautonomie, sondern auch der Grundgedanke der Erbfreiheit zur Seite.
Dies gelte unabhängig davon, daß Gläubiger von einem erbrechtlichen Erwerb des Betroffenen profitieren würden (vgl. zum Insolvenzrecht § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO; ferner BGH, Urteil vom 25. Juni 2009 – IX ZB 196/08). Auch gegenüber der Freiheit potentieller Erben und Pflichtteilsberechtigter gelte daher die Feststellung des Senats, daß der im Sozialhilferecht nur höchst unvollkommen ausgestaltete Nachranggrundsatz keine hinreichende Prägekraft aufweise, um eine Einschränkung der Privatautonomie bzw. der negativen Erbfreiheit im dargelegten Sinn über § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen zu können.
Weiter sei anzuerkennen, daß Behinderte mit dem Pflichtteilsverzicht typischerweise einer Erwartungshaltung der Eltern nachkommen, die sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hätten und sicherstellen wollten, daß die Nachkommen nicht bereits beim Tode des Erstversterbenden Nachlasswerte für sich beanspruchten. Dieses Ergebnis könne nicht in gleicher Weise etwa durch eine Pflichtteilssanktionsklausel erreicht werden, da diese die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen letztlich nicht unterbinden könne (vgl. dazu die Senatsurteile vom 8. Dezember 2004 aaO und vom 19. Oktober 2005 aaO). Verzichte ein nicht behinderter Abkömmling ohne Sozialleistungsbezug in dieser Situation auf seinen Pflichtteil, sei dies sittlich anzuerkennen. Widersetze er sich – trotz Berücksichtigung im Schlußerbfall – einem solchen Wunsch der Eltern, sehe er sich dem Vorwurf des Undanks und der Illoyalität gegenüber der Familie ausgesetzt. Verzichte ein Behinderter mit Rücksicht auf die gegenläufigen Interessen des Sozialhilfeträgers nicht auf den Pflichtteilsanspruch, setze er sich zugleich in einen Gegensatz zu den Wünschen und Vorstellungen seiner Familie, die über Art. 6 Abs. 1 GG (Recht zur freien Gestaltung der Gemeinschaft in ehelicher und familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht, vgl. BVerfGE 103, 89, 101) ihrerseits verfassungsrechtlichen Schutz genießen würden. Dasselbe Verhalten, das bei einem nicht behinderten Nachkommen als sittlich billigenswert gälte, stelle sich mithin bei einem behinderten Kind als sittenwidrig dar.
Zudem führe das Handeln des behinderten Pflichtteilsberechtigten nur eine Situation herbei, die in vergleichbarer Weise durch eine testamentarische Gestaltung der Eltern hätte erreicht werden können. Hätten diese sich nicht gegenseitig als Alleinerben eingesetzt, sondern – einer oft gegebenen Empfehlung folgend – dem behinderten Nachkommen bereits beim ersten Erbfall eine Miterbenstellung eingeräumt, hätte der Sozialhilfeträger nur bei einer Ausschlagung auf den Pflichtteilsanspruch zugreifen können. Nach heute einhelliger und überzeugender Auffassung könne der Sozialhilfeträger indes nicht das Ausschlagungsrecht auf sich überleiten und ausüben, um den Pflichtteilsanspruch nach § 2306 Abs. 1 BGB geltend zu machen.
Andernfalls erhielte der Sozialhilfeträger die Möglichkeit, auf die Erbfolge Einfluß zu nehmen, was generell nicht dem Erblasserwillen entspricht (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005) und nach dem Gesetz den Bedachten selbst vorbehalten sei. Der Zugriff auf den Pflichtteil des Behinderten wäre danach dem Sozialhilfeträger bei einer entsprechenden testamentarischen Gestaltung in vergleichbarer Weise verwehrt gewesen wie bei Wirksamkeit des Pflichtteilsverzichts. Deshalb könne weder das Vorgehen des Behinderten als solches sittlich mißbilligt werden noch habe dieses ein missbilligenswertes Ergebnis zur Folge.
Ebenso wenig überzeuge es schließlich, die Sittenwidrigkeit zivilrechtlicher Rechtsgeschäfte mit dem – wie bereits ausgeführt – nur schwach ausgestalteten sozialrechtlichen Nachranggrundsatz zu begründen. Der Verzicht auf eine Erwerbsquelle ändere nichts an der Verpflichtung, vorhandenes Vermögen und vorhandene Einkünfte einzusetzen. Die pflichtwidrige Herbeiführung der eigenen Bedürftigkeit könne innerhalb des sozialrechtlichen Regelungssystems mit Leistungskürzungen sanktioniert werden (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII). Für das Hineinwirken eines solchen öffentlich-rechtlichen Regelungsprinzips in die Zivilrechtsordnung über § 138 Abs. 1 BGB, um Behinderten die erbrechtlichen Instrumente zu beschneiden, fehle dagegen eine tragfähige Grundlage.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit von Unterhaltsverzichten in Eheverträgen und Scheidungsfolgenvereinbarungen, die den Sozialhilfeträger benachteiligten, sei auf Pflichtteilsverzichtsverträge nicht übertragbar.
Dabei brauche der umstrittenen Frage, ob und in welchem Umfang der Pflichtteil (noch) eine Unterhaltsfunktion habe, er etwa ein funktionelles Korrelat zur Unterhaltspflicht des Erblassers darstelle, nicht weiter nachgegangen zu werden. Das Bundesverfassungsgericht habe bei seiner Entscheidung zur Bestandsgarantie des Pflichtteilsrechts darauf jedenfalls nicht abgestellt.
Ebenso wenig komme es darauf an, ob der Gesetzgeber in § 2346 BGB eine dem Unterhaltsverzichtsverbot des § 1614 Abs. 1 BGB vorgehende spezialgesetzliche Wertung getroffen habe und ob der Pflichtteilsberechtigte im konkreten Fall seine Stellung als Unterhaltsgläubiger durch den Verzicht verschlechtern würde.
Dahinstehen könne schließlich, ob die Begründung des Berufungsgerichts letztlich trage, das Pflichtteilsrecht stelle im Gegensatz zum Unterhaltsanspruch noch keine sichere – bereits bestehende – Erwerbsquelle dar.
Entscheidend sei insoweit, daß das Pflichtteilsrecht der Leistungsbezieherin allenfalls ein Korrelat zu ihren Unterhaltsansprüchen gegenüber ihren Eltern sein und der Sozialhilfeträger gerade diese Unterhaltsansprüche wegen des hier eingreifenden Grundsatzes des Familienlastenausgleichs nur in sehr eingeschränktem Maße auf sich überleiten könne (§§ 19 Abs. 3, 92, 94 Abs. 2 SGB XII). Dabei bestehe kein Anhalt dafür, daß der Grundsatz des Familienlastenausgleichs das „Familienvermögen“ der Eltern nur zu deren Lebzeiten schützen sollte. Eine solche Begrenzung ergebe sich weder aus dem Erb- noch aus dem Sozialrecht. So bestehe die Beschränkung des Anspruchsübergangs nach § 92 Abs. 2 SGB XII unabhängig davon, ob die Eltern durch eine höhere Inanspruchnahme unbillig in ihrer Lebensführung beeinträchtigt würden. Letzteres begründe bei Vorliegen einer „unbilligen Härte“ vielmehr eine eigenständige Beschränkung (§ 92 Abs. 3 SGB XII). Auch werde die Hilfe, die über die Grenzen des § 92 Abs. 2 SGB XII hinausgehe, nicht etwa nur als Darlehen gewährt, obwohl das SGB XII diese Form der Hilfeleistung durchaus kenne (vgl. § 91 SGB XII). Das alles spreche entscheidend dafür, daß den Familien behinderter Leistungsbezieher das über die Grenzen des § 92 Abs. 2 SGB XII hinausgehende Einkommen und Vermögen auf Dauer und nicht nur zu Lebzeiten der Eltern belassen werden solle.
Wäre der Pflichtteilsverzicht unwirksam, könnte der Sozialhilfeträger nach dem Erbfall dagegen über den Pflichtteil – als Korrelat des Unterhaltsanspruchs begriffen – in weiterem Umfang gegen den Unterhaltsschuldner vorgehen als zuvor. Dies sei in sich widersprüchlich und mit dem Grundsatz des Familienlastenausgleichs nicht zu vereinbaren.
In diesem Zusammenhang zeige sich auch der Unterschied zum Familienrecht. Während Unterhaltsverzichte in Eheverträgen ehebedingte Nachteile, für deren Verteilung ein gesetzliches System bestehe, unter dessen Umgehung auf die Allgemeinheit verteilen sollen, gebe es für die Tragung der besonderen Lasten, die mit der Erziehung und Betreuung behinderter Kinder verbunden seien, ein gesetzliches System im Sozialrecht, das den Zugriff auf die Eltern als Unterhaltsschuldner weitgehend ausschließe und diese Lasten der Allgemeinheit aufbürde.
Gegen die Annahme sittenwidriger Anwendung erbrechtlicher Gestaltungsinstrumente spreche letztlich das „beredte“ Schweigen des Gesetzgebers. Das Regelungssystem im Sozialrecht, das die gegenläufigen Grundsätze der Subsidiarität und des Familienlastenausgleichs gegeneinander abgrenzen müsse, enthalte keine Vorschrift, die es dem Sozi-alhilfeträger ermögliche, in jedem Fall mindestens auf den Pflichtteil des Leistungsbeziehers zugreifen zu können.
Obwohl die Diskussion über Behindertentestamente seit langem geführt werde und seit dem ersten Senatsurteil zum Behindertentestament (BGHZ 111, 36) zwei Jahrzehnte vergangen seien, habe der Gesetzgeber – trotz entsprechender Vorschläge – die betreffenden Vorschriften des Sozialrechts nicht geändert. Der Sozialhilfeträger werde im Verhältnis zu anderen Gläubigern lediglich durch die Regelung in § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB XII gegenüber § 852 Abs. 1 ZPO privilegiert (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Dezember 2004 – IV ZR 223/03).
Daher bestehe kein Anlaß oder Grund, die bislang unterbliebene Erweiterung von Zugriffsmöglichkeiten gegenüber Eltern und Familien behinderter Kinder im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB richterrechtlich nachzuholen. Dies sei dem Gesetzgeber vorbehalten.
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