Mit dem Urteil des Oberlandesgericht Koblenz vom 07.11.2005 (12 U 1240/04), auf welches u. a. die Berliner Zeitung hinweist, darf ein Kraftfahrer nicht in einer unübersichtlichen Kurve an einem liegen gebliebenen Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn überholen.

In dem Verfahren hatte die Klägerin, die an dem liegengebliebenen Fahrzeug vorbeigefahren war, von dem entgegenkommenden Unfallgegner vollen Schadensersatz verlangt, da dieser nach Ansicht der Klägerin zu schnell gefahren sei und dadurch den Unfall verursacht habe.

Es traf zwar zu, daß der Unfallgegner zu schnell gewesen war, aber gleichwohl erhielt die Klägerin nur Schadenersatz nach 50% zugesprochen, da die Richter der Auffassung waren, daß die Klägerin eine Mithaftung treffe.

Die Klägerin habe nämlich nicht angemessen reagiert, als das entgegenkommende Auto für sie sichtbar geworden sei. Wer an unübersichtlichen Stellen an einem Hindernis vorbeifahren wolle, müsse jederzeit mit Gegenverkehr rechnen und sich darauf einstellen, sofort anhalten, ausweichen oder die Gegenfahrbahn räumen zu können. Das habe die Klägerin nicht beachtet. Sie habe nach dem ersten Sichtkontakt mit dem entgegenkommenden Auto nicht gebremst. Bei einem unverzüglichen Abbremsen hätte sie den Unfall vermeiden können.

Das Gericht erläuterte, daß ein Kraftfahrer allerdings auch in einer unübersichtlichen Kurve an einem dort haltenden Fahrzeug unter Benützung der Gegenfahrbahn vorbeifahren dürfe, jedoch nur dann, wenn er dabei die nach den gegebenen Umständen gebotene besondere Vorsicht beachte. Je langsamer er an dem Pannenfahrzeug vorbeifahrte, desto länger blockiere er die linke Fahrbahnseite. Dieses Gefahrenpotenzial sei hier dadurch vergrößert worden, daß die Klägerin bereits mit einem deutlichen Abstand hinter dem Pannenfahrzeug von über 18 m auf die Gegenfahrbahn ausgeschert sei. Die Klägerin sei dann nicht nur aus der Sicht des Zeugen T… auffällig langsam gefahren, was für sich genommen beim Vorbeifahren an einem Hindernis nicht zu beanstanden wäre. Sie habe aber – möglicherweise durch Blickzuwendung auf den Fahrer des liegen gebliebenen Pkws – nicht angemessen reagiert, sobald das Fahrzeug des Erstbeklagten für sie sichtbar geworden sei. Wer an unübersichtlichen Stellen an einem Hindernis vorbeifahren wolle, müsse jederzeit mit Gegenverkehr rechnen und sich darauf einstellen, sofort anhalten, ausweichen oder die Gegenfahrbahn räumen zu können. Das habe die Klägerin nicht beachtet. Bei einem unverzüglichen Abbremsen auf den ersten Sichtkontakt hätte sie nach dem Gutachten des Sachverständigen den Unfall verhindern können. Das habe sie aber nicht getan. Außerdem habe sie kein Ausweichmanöver durchgeführt.

Der Erstbeklagte sei zwar zu schnell gefahren. Unbeschadet des außerorts gelegenen Kollisionspunktes sei seine Fahrgeschwindigkeit, die nach dem Gutachten des Sachverständigen vor dem Abbremsen 69 bis 78 km/h, nach dem Gutachten des weitren Sachverständigen 80 bis 90 km/h betragen habe, situationsbezogen überhöht. Dafür komme es nicht darauf an, daß an der eigentlichen Unfallstelle keine besondere Geschwindigkeitsbegrenzung gegolten habe, zumal der Erstbeklagte bereits im Bereich der geschlossenen Ortslage für den innerörtlichen Verkehr zuviel Geschwindigkeit aufgebaut gehabt hätte. Der Erstbeklagte habe aber unverzüglich beim Erkennen der Gefahrenlage durch Bremsen reagiert. Das sei nach den Feststellungen des Sachverständigen bereits etwa 50 m vom Kollisionspunkt entfernt geschehen und nach den Sichtverhältnissen ohne schuldhaftes Zögern. Sein Bremsweg bis zum Kollisionspunkt habe nach den Bremsspuren rund 30 m betragen. Vom Einsetzen seiner Reaktion auf den ersten Sichtkontakt mit dem Fahrzeug der Klägerin bis zur Kollision seien etwa 3,5 Sekunden vergangen. In derselben Zeitspanne hätte auch die langsamer in Fahrbahnmitte dicht neben dem Pannenfahrzeug fahrende Klägerin ausweichen oder bremsen können. Das hätte den Unfall verhindert. Beim Aufprall auf das Fahrzeug der Klägerin habe sich der Pkw des Erstbeklagten infolge seines Ausweichmanövers fast vollständig auf der für ihn linken Fahrspur und damit nahezu vor dem Pannenfahrzeug befunden. Das Fahrzeug der Klägerin hingegen sei dicht neben dem Pannenfahrzeug etwa in der Mitte der beiden Fahrspuren und damit direkt auf das ausgewichene Fahrzeug des Erstbeklagten zugefahren. Nach den Gesamtumständen, die insbesondere von der langsamen Fahrweise der Klägerin gekennzeichnet seien, sei anzunehmen, daß die Klägerin weder durch Bremsen noch durch Ausweichen reagiert habe, obwohl ihr gerade wegen ihrer langsamen Fahrgeschwindigkeit diese Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. Das langsame Vorbeifahren hätte gerade Gelegenheit zur rechtzeitigen Reaktion bieten sollen, die indes ausgeblieben sei. Damit könne in dem langsamen Fahren allein keine sachgerechte Verhaltensweise gesehen werden, die schon für sich genommen ein Mitverschulden ausschlösse. Bei dieser Sachlage treffe die Klägerin vielmehr ein Mitverschulden, das auch ins Gewicht falle, weil sie sich in der uneinsehbaren Kurve auf der Gegenfahrspur bewegt habe.

In der Gesamtschau sei die Annahme gerechtfertigt, daß die Klägerin für die Unfallfolgen jedenfalls zur Hälfte mithafte. Die mit der Berufung verfolgte Mehrforderung sei insoweit nicht gerechtfertigt.