Das Kammergericht Berlin entschied in seinem Beschluß vom 01.04.2011 (3 Ws 153/11), daß die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO als prozessuale Zwangsmaßnahme den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung des Beschleunigungsgebots unterliege. Sie sei daher nicht mehr rechtlich vertretbar, wenn die Tat über zwei Jahre zurückliege, der diesbezügliche Antrag erst mit Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft gestellt werde und das Gericht bis zu seiner Entscheidung weitere fünf Monate vergehen lasse.

In dem Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft Berlin mit der am 05.08.2010 erhobenen Anklage dem Angeklagten zur Last gelegt, sich – letztmalig am – 17.09.2008  in sechs Fällen wegen Versicherungsbetruges aufgrund vorsätzlich verursachter Verkehrsunfälle strafbar gemacht zu haben.

Das Kammergericht führte aus, daß die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als prozessuale Zwangsmaßnahme den verfassungsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet sei, insbesondere demjenigen der Verhältnismäßigkeit und der Beachtung des Beschleunigungsgebotes. Wenngleich eine Fahrerlaubnis auch noch mit Erhebung der Anklage oder später vorläufig entzogen werden könne, seien mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen. Bleibe dieser nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitze seiner Fahrerlaubnis und nehme beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil, wachse sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach § 111a StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verlieren würden. Wann letztere nicht mehr in Betracht komme, werde von der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet und hänge wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Hier liege die letzte Tat nach § 315b Abs. 1 StGB über zwei Jahre zurück. Spätestens mit dem Bericht des LKA vom 25. Mai 2009 seien Anzahl, Art und Umfang der einzelnen Taten bekannt und im Wesentlichen ausermittelt gewesen. Dem Angeklagten sei unter Hinweis auf den Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr rechtliches Gehör gewährt worden und es hätte nahegelegen, bereits zu diesem Zeitpunkt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu beantragen. Tatsächlich sei dies jedoch erst mit Erhebung der Anklage Anfang August 2010 geschehen, ohne daß ersichtlich sei, welche Umstände der früheren Antragstellung entgegenstanden hätten. Hinzu komme, daß auch nach Eingang der Anklage am 5. August 2010 über fünf Monate bis zum Erlaß des nunmehr angefochtenen Beschlusses nach § 111a StPO vergangen seien. Angesichts dieser erheblichen Verzögerung erweise sich der erst im Januar 2011 erfolgte vorläufige Entzug der Fahrerlaubnis als rechtlich nicht mehr vertretbar. Durch diese Vorgehensweise habe das Vertrauen des Angeklagten in den vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis in einem Umfang an Gewicht gewonnen, daß es das von den Ermittlungsbehörden nunmehr erstmals betonte Sicherungsinteresse der Allgemeinheit überwiege.