Oberlandesgericht Hamm hatte sich in seinem Beschluß vom 14.08.2007 (3 Ss 259/07) mit dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft Essen zu befassen, die dem seinerzeitigen Angeklagten vorwarf, in der Zeit vom 24.06.2004 bis zum 24.09.2004 in F und anderen Orten in 16 Fällen als Halter eines Kraftfahrzeuges zugelassen zu haben, daß jemand das Fahrzeug geführt habe, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht gehabt hätte (Vergehen nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG).
Das Amtsgericht Essen hatte den Angeklagten mit Urteil vom 22. November 2005 von diesem Vorwurf freigesprochen. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hatte das Landgerichts Essen das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen vorsätzlichen Duldens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 14 Fällen schuldig gesprochen. Es hatte ihn deswegen verwarnt und die Verurteilung einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 300,- vorbehalten.
Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit der Revision (ersichtlich nur, soweit er verurteilt worden war), mit der er eine Verletzung materiellen Rechts rügte.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der sich im Jahre 2004 mit einer Fahrschule in F selbstständig gemacht hatte, mit der Firma „T“ zusammengearbeitet. Er war vertraglich an das Konzept dieser Firma gebunden, die Intensivfahrkurse anbot, in denen Fahrschüler innerhalb von 7 bis 10 Tagen ihre Fahrerlaubnis erwerben sollten. „T“ bewarb im Internet dieses Konzept. Es beinhaltete das Angebot von kostenlosen Probefahrten. Sich meldende Interessenten wurden dann an die angeschlossenen Partnerfahrschulen, u.a. an die des Angeklagten, verwiesen.
So traten zwischen dem 24.06.2004 und dem 24.09.2004 insgesamt 14 Personen, die über keine Fahrerlaubnis zum Führen eines PKWs verfügten, an die Fahrschule des Angeklagten heran. Sie wurden vom Angeklagten selbst oder seiner Ehefrau darauf hingewiesen, dass vor Durchführung einer Probefahrt ein „Ausbildungsvertrag“ geschlossen werden müsse. In § 20 der verwendeten AGB war geregelt, daß der Vertrag nach sechs Monaten aufgehoben wurde, wenn der Interessent die spätere Ausbildung nicht antrat, ohne daß dies mit Kosten für die Fahrschulinteressenten verbunden wäre. Hierauf wurden diese ausdrücklich hingewiesen. Sie schlossen sodann den „Ausbildungsvertrag“ ab.
Anschließend absolvierten sie mit dem Angeklagten in einem Fahrschulwagen, der mit einer Doppelpedalanlage und einem Doppelspiegel versehen war, eine etwa 10- bis 15-minütige Probefahrt. Diese diente der Einschätzung des fahrerischen Kenntnisstandes des jeweiligen Interessenten. Nach den Probefahrten wurde jeweils vom Angeklagten oder seiner Ehefrau die Einschätzung vom Kenntnisstand des Interessenten in den bereits unterzeichneten Ausbildungsvertrag eingetragen. Damit war eine Einschätzung des Angeklagten von den jeweils benötigten Fahrstunden verbunden, um den Interessenten ein konkretes Kostengerüst anbieten zu können. Sofern sich die hier in Frage stehenden Interessenten zu einem Intensivkurs entschlossen, begann dieser ca. vier bis sechs Wochen nach Durchführung der Probefahrten.
Die Probefahrten liefen so ab, daß je nach dem individuellen Kenntnisstand der Interessenten diese weitgehend selbstständig fahren oder auch nur lenken durften. Der Angeklagte gab die Fahrtrichtung vor, übernahm aber ansonsten keine Korrekturen bei auftretenden Fehlern und erteilte auch keine entsprechenden Hinweise. Es ging nur darum, sich einen Eindruck vom fahrerischen Können der Interessenten zu verschaffen, um die Geeignetheit für den angebotenen Intensivkurs und die Zahl der erforderlichen Fahrstunden abzuschätzen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hatte beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Das Oberlandesgericht hob das landgerichtliche Urteil auf und sprach den Angeklagten frei, da das dargestellte Verhalten des Angeklagten den Straftatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG nicht erfülle. Der Angeklagte sei daher aus Rechtsgründen freizusprechen.
Der Angeklagte habe zwar dem Wortlaut nach die Voraussetzungen einer Strafbarkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG erfüllt. Indes sei der Anwendungsbereich des § 21 Abs. 1 Nr. 2 StVG in Fällen wie dem vorliegenden aufgrund einer teleologischen Reduktion einzuschränken.
Der Angeklagte habe es als Halter zugelassen, dass die 14 Fahrschulinteressenten jeweils während der Probefahrt das Fahrschulfahrzeug geführt hätten, ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen.
Er gelte auch nicht selbst gemäß § 2 Abs. 15 S. 2 StVG als Führer des Kraftfahrzeuges, weil er Fahrlehrer sei. Dies käme hier nur in Betracht, wenn die „Probefahrten“ zur Ausbildung, zur Ablegung der Prüfung oder zur Begutachtung der Eignung oder Befähigung oder bei der Hin- und Rückfahrt zu oder von einer Prüfung oder einer Begutachtung durchgeführt worden wären. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
Insbesondere hätten die Probefahrten nicht „zur Ausbildung“ (§ 2 Abs. 15 S. 1 StVG) stattgefunden. Ausbilden bedeute, einen Fahrschüler durch theoretische Unterrichtung und/oder durch praktische Anleitung zum Führen eines Kraftfahrzeuges gezielt auf den Erwerb einer Fahrerlaubnis vorzubereiten. Nach § 1 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung sei Ziel der Ausbildung die Befähigung zum sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmer.
Wie das Landgericht zutreffend ausführe, habe eine Ausbildung in diesem Sinne bei den hier in Frage stehenden Probefahrten nicht stattgefunden.
Maßgeblich bei der Beurteilung einer Fahrt mit einem Kraftfahrzeug im Hinblick auf die Strafbarkeit nach § 21 StVG sowie im Hinblick auf § 2 Abs. 15 StVG sei, ob bei dieser eine Ausbildung stattgefunden habe. Der vorhergehende Abschluß eines Ausbildungsvertrages könne ein wesentlicher Anhaltspunkt dafür sein. Aus ihm lasse sich aber nicht zwingend auf den Charakter einer Ausbildungsfahrt schließen. Zum einen seien auch nach abgeschlossenem Ausbildungsvertrag Fahrten des Fahrlehrers mit einem Fahrschüler denkbar, die keine Ausbildungszwecke verfolgen würden, zum anderen seien vertragliche Konstruktionen – wie hier – möglich, die letztlich die Durchführung der Ausbildung in das Ermessen jeweils einer Vertragspartei legen würden, und damit de facto keinen bindenden Vertrag darstellen würden. Nach Durchführung der Probefahrt hätten hier nämlich sowohl der Angeklagte als auch die jeweiligen Fahrschulinteressenten die Möglichkeit gehabt, durch einfaches Nichtstun über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg, die Durchführung des Ausbildungsvertrages zu verhindern.
Auch in der Sache läge hier – wie das Landgericht zutreffend feststelle – keine Ausbildungsfahrt vor. Diese scheiterte zwar noch nicht daran, daß hier keine nach § 5 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung erforderliche Verzahnung von praktischem und theoretischem Unterricht stattgefunden habe. Das würde zunächst einmal nur auf eine schlechte Ausbildung, nicht aber auf eine völlig fehlende Ausbildung hindeuten. Auch erscheine es nicht zwingend, daß für die Anerkennung einer Fahrt als „Ausbildung“, dieser eine theoretische Ausbildung vorangegangen sein müsse. Das gelte um so mehr, wenn wie z. T. hier Personen, die bereits einmal eine Fahrerlaubnis gehabt hätten und die nach deren Verlust erneut ausgebildet werden sollten.
Hier sei es aber so gewesen, daß die „Probefahrten“ allein zum Zwecke der Abschätzung der Vorkenntnisse der Interessenten und zur Erstellung eines „Kostenvoranschlages“ auf dieser Basis gedient hätten. Ein weitergehender Zweck sei damit nicht verfolgt worden. Die Probefahrten hätten gerade nicht dem Zweck gedient, gezielt die Stärken und Schwächen eines Fahrschülers herauszufinden, um insoweit individuelle Schulungsmaßnahmen durchführen zu können. Der Angeklagte habe während oder nach der Probefahrt keine Fehlerkorrektur oder -besprechung vorgenommen. Einzig die Geeignetheit für den Intensivkurs und die Feststellung der auf den Fahrschüler zukommenden Kosten sei Zweck der Probefahrt gewesen.
Die Fahrt zur Feststellung, welcher Ausbildungstyp für einen Fahrschulinteressenten geeignet sei und welche Kosten hierdurch auf ihn zukommen würden, bei völliger Ungewißheit, ob es jemals zu dieser Ausbildung komme, könne nicht unter (einem ggf. erweitert auszulegenden) Begriff der „Ausbildung“ i.S.v. § 2 Abs. 15 S. 1 StVG gefaßt werden. Dem Gesetz liege – wie bereits aus dem Wortlaut erkennbar werde – ein enges Verständnis des Ausbildungsbegriffes zugrunde. Das zeige sich u.a. daran, daß Fahrten zur Ablegung der Prüfung oder bei der Hin- und Rückfahrt zu oder von einer Prüfung ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden seien. Auch bei einer Prüfungsfahrt könnte man ansonsten bei einem weiten Verständnis des Ausbildungsbegriffes noch von einem Teil der Ausbildung, nämlich ihrem formellen Abschluß, ansonsten ausgehen. Das enge Verständnis des Ausbildungsbegriffes komme auch in der Begründung zum Entwurf des 2. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze (VKBl 2005, S. 432, 435) zum Ausdruck. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde die Hin- und Rückfahrt zu oder von einer Prüfung oder einer Begutachtung ausdrücklich in § 2 Abs. 15 StVG aufgenommen. Zweck sei eine Klarstellung gewesen, daß der Fahrlehrer auch hierbei der verantwortliche Fahrzeugführer sei.
Dementsprechend würden derartige „Probefahrten“ in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur auch nicht als Teil der Ausbildung angesehen.
Schließlich sei der Angeklagte auch keinem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen. Der Angeklagte habe um die rechtliche Problematik der Probefahrten gewußt und hierzu gerade die Konstruktion über den sog. „Ausbildungsvertrag“ gewählt. Bei gehöriger Gewissensanspannung, insbesondere bei vorheriger Einholung von Rechtsrat aus fachkundigen Kreisen, hätte er das Verbotensein seines Tuns erkennen können. Der Umstand, daß nach den Taten die Staatsanwaltschaft zunächst von der fehlenden Strafbarkeit seines Verhaltens ausgegangen sei, ändere daran nichts.
Indes sei hier eine Einschränkung der Strafbarkeit im Rahmen einer teleologischen Reduktion geboten. Strafvorschriften müßten verhältnismäßig, insbesondere angemessen, sein. Bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere des staatlichen Eingriffs durch Verhängung einer Strafe und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe müsse die Grenze der Zumutbarkeit für den Adressat dieses Verbots gewahrt sein (BVerfG NJW 1994, 1577, 1579). Der Gesetzgeber habe mit der Einführung der (heutigen) Strafvorschrift des § 21 StVG den Zweck verfolgt, den Gefahren, die von Kraftfahrern ohne Fahrerlaubnis, insbesondere bei ständiger Zunahme der Verkehrsdichte, ausgehen, zu begegnen (BT-Drs. IV/651 S. 38). Einer Durchsetzung dieser Zielsetzung mit Mitteln des Strafrechts bedürfe es in Fällen wie dem vorliegenden nicht. Führe ein Fahrlehrer mit einem Fahrschulinteressenten eine Probefahrt durch, bei der er willens und in der Lage sei, in gleicher Weise in das Verkehrsgeschehen einzugreifen, wie bei einer späteren Fahrausbildung, um so Gefahren, die durch die Ungeübtheit des Fahrschulinteressenten auftreten könnten, zu begegnen, so entstehe für den öffentlichen Straßenverkehr hierdurch keine größere Gefahr, als durch die spätere Ausbildungsfahrt selbst. Diese habe der Gesetzgeber aber ausdrücklich durch die Regelung des § 2 Abs. 15 StVG straflos gestellt. Er habe damit gezeigt, daß zur Abwehr solcher Gefahren nicht zu den Mitteln des Strafrechts gegriffen werden müsse.
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