Das Oberlandesgericht Hamm befand in seinem Beschluß vom 30.09.2010 (III-3 RBs 336/09), daß ein durch Baum- und Buschbewuchs objektiv nicht mehr erkennbares Verkehrszeichen 274.1 (30er Zone) keine Rechtswirkungen mehr entfalte.

Das Amtsgericht als Vorsinstanz hatte den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,– Euro verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts hatte der Betroffene, der als Taxifahrer tätig war, am Vorfallstage gegen 11:10 Uhr innerorts mit dem von ihm geführten Fahrzeug die durch Verkehrszeichen 274.1 (Beginn einer Tempo 30-Zone) angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h überschritten.

Die mit einem Messgerät des Typs Multanova VR 6F durchgeführte Messung hatte eine Geschwindigkeit von 73 km/h ergeben, hiervon erfolgte ein Toleranzabzug in Höhe von 3 km/h. Das Verkehrszeichen 274.1 befand sich auf der M-Straße, in die der Betroffene von der X-Straße aus kommend nach rechts abgebogen war. Das Schild war zum Tatzeitpunkt durch Baum- und Buschbewuchs für den Betroffenen nicht erkennbar.

Nach den Urteilsgründen sei die gesamte von dem Betroffenen zurückgelegte Fahrtstrecke bis zur Messstelle durch das Gericht gemeinsam mit dem Betroffenen und seinem Verteidiger abgefahren worden. Das Ergebnis dieser Ortsbesichtigung habe seinen Niederschlag in den weiteren Urteilsfeststellungen gefunden, die die jeweiligen örtlichen Verhältnisse detailliert darlegen würden.

Aufgrund der festgestellten örtlichen Verhältnisse – u.a. mehrfacher Fahrbahnerhöhungen, eine Fahrbahnverengung, die Geltung der Regelung „rechts vor links“ an nahezu allen Einmündungen, neben einer Schule und einem Kindergarten an der I-Straße fast ausschließlich vorhandene Wohnbebauung – war das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, der Betroffene hätte erkennen können und müssen, daß er sich in einer Tempo 30-Zone befunden habe und hatte ihn einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 40 km/h für schuldig befunden.

Bei der Bußgeldzumessung war das Amtsgericht von der in der Bußgeldkatalogverordnung für einen solchen Verstoß vorgesehenen Regelgeldbuße von 100,- € ausgegangen und hatte diese unter Berücksichtigung von vier Voreintragungen des Betroffenen die Regelgelbuße auf 200,- € erhöht. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hatte das Amtsgericht abgesehen.

Eine fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h sei nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden.

Nach den Urteilsfeststellungen habe der Betroffene das Verkehrszeichen 274.1, das den Beginn der Tempo 30-Zone anzeigte, wegen des zum Tatzeitpunkt vorhandenen Baum- und Buschbewuchses nicht erkennen können. Dieser Umstand habe zur Folge gehabt, daß das Verkehrszeichen für den Betroffenen keine Verbindlichkeit entfaltet habe.

Für die Wirksamkeit von Verkehrszeichen gelte der Sichtbarkeitsgrundsatz. Nach diesem Grundsatz sind Verkehrszeichen so aufzustellen oder anzubringen, daß sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhalten der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen könne. Unter diesen Voraussetzungen äußerten sie Rechtswirkung gegen jeden von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnehme oder nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.03.2008 – 3 C 18.07 -). Der Verkehrsteilnehmer müsse die Anordnung des Verkehrszeichens ohne weitere Überlegung eindeutig erfassen können. Dieses Erfordernis gelte nicht nur bei der erstmaligen Anbringung, sondern damit die Gebote und Verbote fortdauernd die ihnen zugedachte Wirkung haben würden, müsse ihre ausreichende Erkennbarkeit gewahrt und erhalten werden. Würden Verkehrsregelungen aufgrund von Abnutzung oder Witterungsbedingungen derart unkenntlich, daß die Erkennbarkeit im o.g. Sinne nicht mehr vorhanden sei, so würden sie ihre Wirksamkeit verlieren. Dies gelte gleichermaßen, etwa wenn eine Markierung abgenutzt sei oder ein Schild völlig verschneit sei oder wenn aufgrund von Zweigen bzw. Gebüsch in der Nähe des Verkehrszeichens eine Wahrnehmbarkeit im o.g. Sinne nicht mehr gegeben sei.

Eine solche Fallgestaltung sei hier nach den Urteilsfeststellungen gegeben gewesen, so daß das Verkehrszeichen 274.1. mangels ausreichender Sichtbarkeit Rechtswirkungen für den Betroffenen nicht habe entfalten können. Unverbindliche Verkehrszeichen müßten aber durch den Verkehrsteilnehmer nicht beachtet werden mit der Folge, daß die Missachtung eines nicht sichtbaren Verkehrsschildes auch keine Ordnungswidrigkeit darstelle. Ob möglicherweise dann eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könne, wenn der Verkehrsteilnehmer mit dem nicht mehr erkennbaren Verkehrszeichen bereits zuvor als Verkehrsteilnehmer in Berührung gekommen sei und er sich daran auch noch erinnere, könne hier dahingestellt bleiben. Denn nach den Urteilsfeststellungen ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß diese Voraussetzungen hier vorgelegen hätten. Vielmehr werde in den Urteilsgründen ausgeführt, daß der Betroffene zur Tatzeit ortsunkundig gewesen sei, womit ersichtlich zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß ihm die Anordnung der Tempo 30-Zone zuvor nicht bekannt gewesen sei.

Mangels einer zur Tatzeit wirksamen Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h habe als Anknüpfungspunkt für ein Fehlverhalten des Betroffenen daher nicht auf den Gesichtspunkt abgestellt werden können, ob sich dem Betroffenen eine solche Regelung hätte aufdrängen müssen, da eine verbindliche Regelung dieses Inhalts tatsächlich nicht bestanden habe.

Ergänzend merkte der Senat zur Klarstellung an, daß der Umstand, daß hinsichtlich Verkehrszeichens 274.1 der Sichtbarkeitsgrundsatz eingeschränkt gewesen sei, keinen Anlaß für eine andere Beurteilung gebe. Die Einschränkung beziehe sich nämlich darauf, dasß das (selbstverständlich objektiv sichtbar aufgestellte) Zeichen 274.1 nur zu Beginn einer sich in der Regel über mehrere Straßenzüge erstreckenden Tempo 30-Zone anzubringen sei und für die gesamte Zone Wirksamkeit entfaltet, ohne daß es wie andere Streckenanordnungen an Einmündungen bzw. Kreuzungen zu wiederholen sei. Diese Einschränkung des Sichtbarkeitsgrundsatzes spiele aber für die Frage, welche Rechtswirkungen von einem nicht mehr erkennbaren Verkehrszeichen, das eine Zonenanordnung beinhalte, ausgehe, keine Rolle.

Das Amtsgericht dem Betroffenen lediglich die Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorwerfen dürfen.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Höhe der von dem Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit seien rechtsfehlerfrei getroffen worden und entsprächen den Anforderungen, die nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bei einer Geschwindigkeitsmessung mittels eines standardisierten Meßverfahrens, wie es hier zur Anwendung gekommen sei, gestellt würden.

Für eine Erhöhung dieser Regelgeldbuße von 35,00 € sei mit Rücksicht auf Voreintragungen des Betroffenen kein Raum mehr gewesen, da hinsichtlich der Voreintragungen zum Zeitpunkt der (Sach-)Entscheidung des Senats aufgrund des zwischenzeitlichen Verstreichens der zweijährigen Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StVG bereits Tilgungsreife eingetreten sei.