Das Oberlandesgericht Hamm beschäftigte sich in seinem Beschluß vom 30.09.2010 (III-3 RVs 72/10) mit einer Entscheidung des Amtsgerichts, wonach die Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,00 € verurteilt worden. Außerdem wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihr Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von noch sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nach den Urteilsfeststellungen stieß die Angeklagte am Tattag mit dem von ihr geführten PKW rückwärts aus einer Einfahrt fahrend gegen den hinteren linken Kotflügel eines anderen PKW. Der Kotflügel des Ford wurde hierdurch beschädigt. Die Angeklagte entfernte sich mit ihrem Fahrzeug von der Unfallstelle, ohne zuvor die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, obwohl sie den Unfall bemerkt hatte. Nach dem von dem Amtsgericht herangezogenen Sachverständigengutachten beliefen sich die Reparaturkosten für das beschädigte Fahrzeug auf 2.647,40 € einschließlich Mehrwertsteuer, beträge der Wiederbeschaffungswert 1.150,- € und habe das beschädigte Fahrzeug einen Restwert von 50,- €.

Das Amtsgericht hatte die Ansicht vertreten, daß unter dem Begriff „Schaden“ auch dann die Reparaturkosten zu verstehen seien, wenn der Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert geringer sei als die Reparaturkosten. Im Gegensatz zu § 315 c StGB stelle § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auf den Begriff des Schadens ab und nicht wie in § 59 c StGB auf den Verkehrswert der gefährdeten Sache. Die Auslegung des Wortlauts und die Auslegung aus der Gesetzessystematik ergeben daher, dass „Schaden“ i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB den Wiederherstellungsaufwand bedeute. Daher lag nach Ansicht des Amtsgerichts auch in diesem Fall ein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor. Eine Sperrfrist von noch sieben Monaten war nach Ansicht des Amtsgerichts unter Berücksichtigung der bisher verstrichenen Zeit seit Beschlußfassung angemessen.

Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wurde, und die teilweise Erfolg hatte.

Die Entscheidung des Amtsgerichts über die Entziehung der Fahrerlaubnis der Angeklagten und die Einziehung des Führerscheins sowie die Anordnung einer Sperre von noch sieben Monaten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis würden – so das Oberlandesgericht Hamm – einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand halten. Die getroffenen Feststellungen würden nicht die Annahme eines bedeutenden Schadens im i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB tragen.

Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB bestehe die Vermutung der mangelnden Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges bei einem Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort , wie es hier der Angeklagten zur Last gelegt werde, nur dann, wenn bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht nur unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden sei, und der Täter von den Unfallfolgen bei der Tatbegehung wusste oder wissen konnte, d.h. sie vorwerfbar nicht kannte. Ob ein bedeutender Schaden vorliege, bemesse sich nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteile sich auf jedenfalls nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert werde.

Die Grenze, wann von einem erheblichen Sachschaden im vorgenannten Sinne auszugehen sei, sei derzeit bei etwa 1.300,- € anzusetzen.

Schon weil von einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auszugehen sei, könnten bei der Prüfung der Frage, ob die Höhe des eingetretenen Fremdschadens i. S. des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB als bedeutend anzusehen sei, nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig seien.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze könnten nicht die berechneten Reparaturkosten von 2.647,40 € einschließlich Mehrwertsteuer zugrundegelegt werden, da die kalkulierten Reparaturkosten und den Wiederbeschaffungswert um 30 % übersteige, so daß ein wirtschaftlicher Totalschaden gegeben sei.

Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung des Integritätsinteresses des Geschädigten. Dem Geschädigten, der eine Reparatur nachweislich durchführe, könnten zwar die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen würden. Allerdings könne ein solcher Integritätszuschlag bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt würde, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht habe.

Hinzu komme, daß der Integritätszuschlag von 30 % eine zumindest sechsmonatige Weiternutzung des Fahrzeugs voraussetze.

Im Übrigen ist zu berücksichtigen, daß nicht schon die Tatsache, daß ein beschädigtes Kraftfahrzeug überhaupt repariert werde, zur Folge habe, daß die dadurch verursachten Kosten bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert als „erforderlicher” Betrag i. S. von § BGB § 249 S. 2 BGB anzusehen seien; ein den Wiederbeschaffungswert übersteigender „Integritätszuschlag” stehe dem Geschädigten vielmehr nur dann zu, wenn die von ihm veranlaßte Instandsetzung wirtschaftlich sinnvoll sei.

Der durch das Amtsgericht am 27.01.2010 ergangene Beschluß, mit dem der Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden sei, sei damit hinfällig.