Oberlandesgericht Frankfurt a. Main (22 U 10/11):
Tritt ein Fußgänger aus einem Hofeingang auf einen gemeinsamen Geh- und Radweg gemäß Zeichen 240 zu § 41 StVO, muß er nicht mit einem nah an der Fassade entlangfahrenden Radfahrer rechnen. Er haftet deshalb nicht für Schäden, die durch eine Kollision in dieser Situation entstehen.
Im vorliegenden Fall könne der Beklagten ein fahrlässiges Fehlverhalten beim Heraustreten auf den Bürgersteig nicht vorgeworfen werden. Bei einem gemeinsamen Fuß- und Radweg gemäß Zeichen 240 zu § 41 StVO träfen den Radfahrer höhere Sorgfaltspflichten als den Fußgänger. Diese könnten ihn zur Herstellung von Blickkontakt, Verständigung und notfalls Schrittgeschwindigkeit zwingen. Radfahrer hätten auf kombinierten Geh- und Radwegen keinen Vorrang, Fußgänger müßten sie aber vorbeifahren lassen. Dabei müßten die Radfahrer jede Gefährdung vermeiden. Fußgänger dürften den gemeinsamen Fuß- und Radweg auf der ganzen Breite benutzen und dort auch stehenbleiben. Sie bräuchten, da dort Radfahrer keinen Vorrang haben würden, nicht fortwährend nach Radfahrern, die etwa von hinten herankommen könnten, Umschau zu halten. Sie dürften darauf vertrauen, daß Radfahrer rechtzeitig durch Glockenzeichen auf sich aufmerksam machen würden, um dann aber ein Passage freizugeben (KG VersR 1977, Seite 770). Radfahrer hätten demnach die Belange der Fußgänger auf solchen Wegen besonders zu berücksichtigen und insbesondere bei unklaren Verkehrslagen gegebenenfalls Schrittgeschwindigkeit zu fahren, um ein sofortiges Anhalten zu ermöglichen. Auf betagte oder unachtsame Fußgänger müsse der Radfahrer besondere Rücksicht nehmen; mit Unaufmerksamkeiten oder Schreckreaktionen müsse er rechnen (OLG Oldenburg, NZV 2004, 360 m. w. N.). Für die Geschwindigkeit von Radfahrern gelte zusätzlich § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO. Ein Radfahrer müsse innerhalb der übersehbaren Strecke halten können. Dazu gehöre allerdings auch, daß er damit rechne, daß aus Eingängen oder Ausfahrten Personen oder Fahrzeuge auf den Gehweg gelangen könnten.
Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte und der konkreten Örtlichkeit könne der Senat keine Unachtsamkeit der Beklagten erkennen, die zu einer entsprechenden Haftung führen könnte. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß die Beklagte nicht etwa auf dem Bürgersteig gelaufen sei, wie dies in der Entscheidung des BGH vom 27.06.1961 (MDR 61, 926) der Fall war. Sie sei vielmehr lediglich einen Schritt auf den Gehweg getreten, als es auch bereits zur Kollision mit dem Fahrrad des Klägers gekommen sei. Dies hätten die Zeugen Z1 und Z2 eindringlich und übereinstimmend bekundet. Wie schnell das Fahrrad des Klägers gewesen sei und wie nah er an der Hecke vorbeigefahren sei, könne im Ergebnis dahinstehen. Jedenfalls habe sich der Kläger nicht so verhalten, daß er vor der Beklagten rechtzeitig habe anhalten oder ihr ausweichen können. Es wäre angesichts der Verhältnisse ohne weiteres möglich gewesen, etwas weiter links zu fahren, um der Beklagten die Möglichkeit zu geben, gefahrlos aus dem Eingang herauszutreten. Die Beklagte habe sich auch darauf verlassen können, daß Fahrradfahrer, die den Gehweg benutzten würden, sich so verhalten würden, daß ein Heraustreten auf den Gehsteig in einem vertretbaren Maß möglich gewesen wäre. Das Landgericht habe zutreffend ausgeführt, daß es völlig realitätsfern wäre, von einem Fußgänger zu verlangen, daß er vor Betreten des Gehsteigs mit dem Kopf aus dem Eingang herausschauen und auf zu nah heranfahrende Fahrradfahrer achten müßte.