Mit der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 05.06.2013 (7 U 11/12) begründet das Nichttragen eines Fahrradhelms als Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr im Falle eines Unfalls mit sturzbedingten – typischen – Kopfverletzungen ein Mitverschulden.

Das Nichttragen eines Schutzhelmes sei im zugrundeliegenden Fall kausal für das Ausmaß der Kopfverletzungen gewesen, die die Klägerin durch den Unfall vom 07.04.2011 erlitten habe. So sei schon mit der herrschenden Meinung (BGH, Urt. v. 25.01.1983, VI ZR 92/81, NJW 1983, 1380; OLG Stuttgart VRS 97, 15; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, § 21 a StVO, Rn 22 mwN) davon auszugehen, daß der Anscheinsbeweis für einen Kausalzusammenhang zwischen Nichtbenutzung des Helmes und der eingetretenen Kopfverletzung spreche, wenn ein Radfahrer bei einem Unfall – wie im vorliegenden Fall – Kopfverletzungen erleide, vor denen der Schutzhelm gerade schützen solle.

Zudem stehe der Kausalzusammenhang nach dem Ergebnis des vom Senat eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Neurologie Dr. G vom 26.11.2012 und seinen ergänzenden Erläuterungen vom 08.03.2013 fest.

Der Sachverständige habe nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, daß die Verletzungsfolgen mit Blutungen innerhalb und außerhalb des Schädels, sowie die Hirnverletzung des Scheitellappens und beider Schläfenlappen und insbesondere die Schädelbrüche auf eine massive Gewalteinwirkung auf den Kopf der Klägerin hindeuteten mit dem Ergebnis eines mittelschweren bis schweren Schädel-Hirn-Traumas. Das Verletzungsmuster spreche dabei für eine überwiegend lineare Akzeleration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entsprechenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrüchen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbeschleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die Helme hätten die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbierten. Die Kraft des Aufpralls würde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert.

Damit wäre die Wahrscheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns gebremst, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erführe (sog. Contre-coup-Verletzung). Da Fahrradhelme naturgemäß ihre größte Schutzwirkung bei leichten bis mittelgradigen Traumen entfalten würden und beim Fahrradsturz der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte ein Helm das Trauma zwar nicht verhindern, aber zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.

Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe NZV 1991, 25; OLG Nürnberg DAR 1991, 173; OLG Stuttgart VRS 97, 15, 18; OLG Nürnberg DAR 1999, 507; OLG Hamm NZV 2001, 86; OLG Hamm NZV 2002, 129, 131;OLG Düsseldorf NZV 2007, 619; OLG Saarbrücken NZV 2008, 202, 303) begründe nach Auffassung des Gerichts das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch Fahrradsturz auch den Vorwurf des Mitverschuldens eines Radfahrers, wenn er am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme.

Das Hauptargument derjenigen, die – zumindest bei Erwachsenen – ein Mitverschulden ablehnen würden, bestehe in dem Fehlen einer gesetzlichen Verpflichtung, da das Tragen eines Helmes bisher nach § 21 a Abs. 2 StVO nur für Fahrer von Krafträdern mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h vorgeschrieben ist. Dafür würden Gründe der Rechtssicherheit und Praktikabilität sprechen, die der Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 10.04.1979, VI ZR 146/78, NJW 1979, 1363-1366; ebenso Greger, Zivilrechtliche Haftung im Straßenverkehr, 1985, Band 2, § 9 Rn 37 f) für die Frage der Anschnallpflicht in Personenkraftwagen als entscheidend betrachtet habe (vgl. OLG Nürnberg DAR 1991, 173; OLG Stuttgart VRS 97, 15).

Dem ist entgegenzuhalten, daß der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden des Geschädigten auch ohne das Bestehen gesetzlicher Vorschriften angenommen habe, wenn dieser „diejenige Sorgfalt außer Acht läßt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt“ (BGH, Urt. v. 30.01.1979, VI ZR 144/77, NJW 1979, 980 mwN); er müsse sich insoweit „verkehrsrichtig“ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimme, sondern auch durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (BGH aaO.).

So hatte es für die Mithaftung eines geschädigten Motorradfahrers, der Kopfverletzungen erlitten und keinen Schutzhelm getragen hatte, lange vor Einführung der Helmpflicht im Januar 1976 ausgereicht, daß sich bereits zur Unfallzeit im Juli 1961 ein „allgemeines Verkehrsbewußtsein“ dahingehend gebildet hatte, daß dem Schutzhelm größte Bedeutung zur Abwehr und Minderung von Unfallverletzungen zukam (BGH, Urt. v. 09.02.1965, VI ZR 253/63, NJW 1965, 1075).

Diese Ansicht habe sich auch ganz überwiegend in der Literatur durchgesetzt, die es für sinnvoll erachte, den Fortschritt der Sicherheitstechnik bei § 254 BGB auch dann zu berücksichtigen, wenn der Gesetzgeber (noch) schweige (Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 254 Rn 51 mwN).

Im Bereich sportlicher Betätigungen wie Reiten oder Skifahren, wo es ebenfalls an einer gesetzlich geregelten Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms fehle, habe sich nach der Rechtsprechung dagegen seit langem eine Obliegenheit zum Tragen von Helmen im Sinne des § 254 BGB gebildet. Dies werde damit begründet, daß sich z.B. auf den Skipisten die Anzahl der Skifahrer und die dort gefahrenen Geschwindigkeiten stark erhöht hätten, so daß die Mehrzahl der Skifahrer inzwischen mit einem Helm unterwegs sei (OLG München DAR 2012, 205). Warum dies bei einem Radfahrer, der im Straßenverkehr einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt ist, anders sein solle, erschließe sich nicht.

Daß sich das „allgemeine Verkehrsbewusstsein“ in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren in den letzten Jahren ebenfalls stark gewandelt habe, dürfe außer Frage stehen. Dies werde auch vom OLG Düsseldorf (NZV 2007, 614), auf welches sich das Landgericht in seiner Entscheidung stütze, hervorgehoben.

Es habe – insbesondere bedingt durch die zunehmende Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen – einen differenzierten Standpunkt eingenommen und zwischen dem „normalen“ Freizeitfahrer, der sein Gefährt als normales Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr ohne sportliche Ambitionen einsetze und sportlich ambitionierteren Fahrern, wie etwa Rennradfahrern, unterschieden und nur bei letzteren eine Obliegenheitsverletzung beim Nichttragen von Schutzhelmen angenommen.

Der Bundesgerichtshof habe in seiner anschließenden Revisionsentscheidung (BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/07, VersR 2009, 234-236) diese Frage offen gelassen, da nach den Feststellungen des OLG Düsseldorf der Kläger keine Kopfverletzungen erlitten hatte, mithin das Tragen eines Fahrradhelms nicht den Eintritt seiner sturzbedingten Verletzungen hätte verhindern können.

Die Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten von Radfahrern, die gleichsam am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, sei wegen der durch sie aufgeworfenen Abgrenzungsschwierigkeiten nachvollziehbaren Bedenken ausgesetzt (Kettler NZV 2007, 603). Schon angesichts des Umstandes, daß die technische Entwicklung bei modernen Tourenfahrrädern heute derart fortgeschritten sei, daß man auch, wenn es sich nicht um spezielle Renn- oder Geländeräder handele, hohe Geschwindigkeiten erreichen und sein Fahrverhalten überaus flexibel gestalten könne, überzeuge diese Unterscheidung nicht.

Entscheidend sei vielmehr das besondere Verletzungsrisiko, dem Fahrradfahrer heutzutage im täglichen Straßenverkehr ausgesetzt seien, wie dieser Streitfall plastisch zeige. Der gegenwärtige Straßenverkehr sei besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden würden. Aufgrund der Fallhöhe, fehlender Möglichkeit, sich abzustützen (die Hände stützen sich auf den Lenker, der keinen Halt bietet) und ihrer höheren Geschwindigkeit, z.B. gegenüber Fußgängern, seien Radfahrer besonders gefährdet, Kopfverletzungen zu erleiden. Gerade dagegen solle der Helm schützen. Daß der Helm diesen Schutz auch bewirke, entspreche der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten und werde auch nicht ernsthaft angezweifelt. Die Anschaffung eines Schutzhelms sei darüber hinaus wirtschaftlich zumutbar. Daher können nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen werde, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem dargestellten besonderen Verletzungsrisiko begebe (Geigel, Haftpflichtprozess, 26. Auflage 2011, Rn 3).

Die immer größere Verbreitung des Tragens eines Sturzhelms sei im täglichen Straßenbild auch inzwischen so deutlich wahrzunehmen, daß man von einer allgemeinen Überzeugung im Sinne dieser von der Rechtsprechung gebrauchten Formel sprechen könne (Staudinger/Schiemann BGB § 254 Rn 51).

Da die Klägerin die im eigenen Interesse gebotene Umsicht nicht gewahrt und dem Risiko, beim Radfahren eine Kopfverletzung zu erleiden, nicht nach – zumutbarer – Möglichkeit vorgebeugt habe, sei ihr ein Mitverschulden an der Schadensentstehung anzulasten.

Den Mitverschuldensanteil der Klägerin bemesse der Senat mit 20 %. Dies berücksichtige zum einen, daß ein Helm nach den Feststellungen des Sachverständigen die Kopfverletzung der Klägerin zwar in einem gewissen Umfang hätte verringern, aber nicht verhindern können und zum anderen, daß das grob fahrlässige Verhalten der Beklagten zu 1) den Mitverschuldensanteil der Klägerin deutlich überwiege.