BGH, Urteil v. 31.10.2012 – XII ZR 129/10 –

Die Parteien streiten über nachehelichen Unterhalt.

Die 1949 geborene Ehefrau und der im selben Jahr geborene Ehemann heirateten 1977. Kurz vor der Eheschließung hatten sie einen notariell beurkundeten Ehevertrag geschlossen, durch den sie den Versorgungsausgleich ausschlossen, gleichwohl den Güterstand der Zugewinngemeinschaft vereinbarten und für den Fall der Scheidung wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt verzichteten. Aus der Ehe sind zwei mittlerweile volljährige, in den Jahren 1979 und 1982 geborene Kinder, hervorgegangen.

Der Ehemann befand sich im Zeitpunkt der Eheschließung noch als Rechtspraktikant in der einphasigen Juristenausbildung an der Universität. Die Ehefrau war seit 1973 als Stationsschwester in einem Krankenhaus vollschichtig beschäftigt.

Der Ehemann legte 1980 das juristische Staatsexamen ab und wurde im gleichen Jahr als Verwaltungsrat verbeamtet und nach Besoldungsstufe A 13 vergütet. Nach der Geburt des zweiten Kindes gab die Ehefrau ihre Vollzeitbeschäftigung auf und reduzierte auf eine Halbtagstätigkeit. Danach war sie nicht mehr als Stationsschwester tätig. In der Folgezeit versorgte sie den Haushalt und die Kinder weitgehend allein. Der Ehemann wechselte nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991 als Ministerialrat in den Dienst des Landes Sachsen-Anhalt und wurde dort nach B 2 besoldet.

Die Trennung der Parteien erfolgte 2005.Zu diesem Zeitpunkt übte die Ehefrau noch ihre Halbtagstätigkeit als einfache Krankenschwester aus. Im Jahr 2007 erkrankte sie und bezog in der Folgezeit eine Erwerbsminderungsrente.

Das Amtsgericht hat die Ehe im November 2009 geschieden und den Versorgungsausgleich in einem beschränkten Umfang durchgeführt. Den Antrag der Ehefrau auf Zahlung von nachehelichen Unterhalt wies es zurück. Gegen die Entscheidung zum Unterhalt legte die Ehefrau Berufung ein. Das OLG hat den Ehemann darauf hin zu nachehelichen Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 330,00 € verpflichtet. Hiergegen richtet sich die Revision des Ehemannes, auf die der BGH das Urteil aufhebt und an das OLG zurückverweist.

Die Entscheidung des BGH fasst noch einmal die Grundlagen der richterlichen Inhaltskontrolle für die Wirksamkeit von Eheverträgen zusammen. Darüber hinaus lässt sich der Entscheidung entnehmen, dass der BGH von der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages nur in gravierenden Ausnahmefällen ausgehen will und dem Ausgleich ehebedingter Nachteile bei Ausübungskontrolle eine verstärkte Bedeutung beimisst.

Zunächst prüft der BGH auf der ersten Stufe die Wirksamkeit des Ehevertrages gem. § 138 BGB. Dabei verweist er auf seine grundlegende Entscheidung aus dem Jahr 2004 (FamRZ 2004, 601 ff) und stellt darauf ab, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer einseitigen Lastenverteilung für den Scheidungsfall führt und deshalb sittenwidrig ist. Erforderlich ist eine Gesamtabwägung aller Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter Einbeziehung der geplanten zukünftigen Entwicklung.

Da die vorliegende vertragliche Regelung einen Verzicht auf Betreuungs-, Alters- und Krankenunterhalt sowie den VA vorsieht, greife sie in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts ein. Aufgrund der Lebenssituation der Eheleute im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses – die Ehefrau war vollschichtig berufstätig und der Ehemann noch in der Ausbildung, Kinder waren noch nicht geplant – erachtet der BGH weder den Verzicht der Ehefrau auf Unterhalt noch den Ausschluss des VA für sich genommen als sittenwidrig. Auch nach einer Gesamtwürdigung des Ehevertrages kann der BGH keine Sittenwidrigkeit feststellen. Dazu führt er aus, dass sich ein Ehevertrag nur dann als sittenwidrig und daher als insgesamt nichtig erweise, wenn konkrete Feststellungen zu einer unterlegenen Verhandlungsposition des benachteiligten Ehegatten getroffen worden sind. Allein aus der Unausgewogenheit des Vertragsinhalts ergebe sich noch keine Sittenwidrigkeit des gesamten Ehevertrages. Der BGH fordert also eine zusätzliche subjektive Komponente.

Hält der Ehevertrag der Wirksamkeitskontrolle stand, ist auf der zweiten Stufe die Ausübungskontrolle vorzunehmen.

Danach ist es einem Ehegatten nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB verwehrt, sich auf die ihn begünstigenden Regelungen zu berufen, wenn sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe aus dem vereinbarten Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige Lastenverteilung ergibt und die tatsächliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen Lebensplanung abweicht, wie sie die Eheleute bei Vertragsschluss zugrunde gelegt haben. Rechtsfolge sei dann nicht die automatische Anwendung der gesetzlichen Rechtslage, sondern die richterliche Anwendung der Rechtsfolge, die den Interessen beider Ehepartner angemessen Rechnung trage.

Eine grundlegende Abweichung der tatsächlichen Lebenssituation von den bei Vertragsabschluss zugrunde gelegten Lebensumständen hat der BGH im Hinblick auf die Geburt der beiden Kinder und die mit deren Betreuung einhergehende eingeschränkte Erwerbstätigkeit der Ehefrau bejaht. Das habe dazu geführt, dass die Ehefrau eine geringere Erwerbsminderungsrente erhält, als nach der ursprünglichen Lebensplanung – bei Vollzeittätigkeit – zu erwarten gewesen wäre. Der damit gebotene Nachteilsausgleich habe in ausgewogener Weise über den ursprünglich ausgeschlossenen Versorgungsausgleich zu erfolgen und zwar müssten der Ehefrau die Versorgungsanrechte zukommen, die ihr während der Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit entgangen seien. Da die erstinstanzliche Entscheidung zum VA durch die Ehefrau nicht angegriffen wurde, war eine Korrektur über den VA nicht möglich. Aus diesem Grunde hat ihr das OLG einen ergänzenden Krankheitsunterhalt gem. § 1572 BGB zugesprochen, um insofern die durch den erstinstanzlich angeordneten Versorgungsausgleich noch nicht vollständig kompensierten Rentennachteile auszugleichen.

Diese Ansicht teilt der BGH und stellt fest, dass ein ergänzender Unterhaltsanspruch wegen ehebedingter Nachteile in der Versorgungssituation nicht von vornherein ausgeschlossen ist, wenn der VA zwar bereits durchgeführt wurde, aber nicht zu einer Halbteilung der in der Ehe erworbenen Versorgungsanrecht geführt hat.

Erst bei der Berechnung der Höhe der fiktiven Erwerbsminderungsrente kippt der BGH die Entscheidung des OLG und verlangt die Angabe der tatsächlichen Grundlagen für die Schätzung. Hierfür seien die Entgelte maßgeblich, die die Ehefrau in den Jahren ihrer ehebedingten Berufsaufgabe bei fiktiver vollschichtiger Erwerbstätigkeit hätte erzielen können.