In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln ging es in dem Beschluß vom 27.03.2012 (2 Ws223/12) um einen ehemaligen Chefarzt, der die Operationswunden seiner Patienten u. a. mit Zitronensaft behandelt hatte, und nun die vorzeitige Haftentlassung begehrte.

Nach dem  auf Absprache beruhenden Urteil galten von der Strafe elf Monate wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt.

Die Hälfte der Strafe war – unter Anrechnung von Untersuchungshaft in der Zeit vom 19.03.2008 bis zum 22.10.2008 – am 27.12.2011 verbüßt, zwei Drittel der Strafe würden am 28.08.2012 vollstreckt sein; das Strafende ist auf den 28.12.2013 vorgemerkt. Mit dem angefochtenen Beschluß hatte die Strafvollstreckungskammer nach Einholung einer Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Euskirchen und mündlicher Anhörung des Verurteilten auf dessen Antrag vom 01.09.2011 hin nach Verbüßung der Hälfte der Strafe die Vollstreckung des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt.

Gegen diese Entscheidung wandte sich die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach.

Das Oberlandesgericht befand die Beschwerde als begründet und befand, daß die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrestes bereits nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gem. § 57 Abs.2 Nr.2 StGB nicht vorliegen würden.

Besondere Umstände im Sinne der Vorschrift seien nur solche, die im Vergleich zu gewöhnlichen Milderungsgründen von besonderem Gewicht seien und eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts – und Schuldgehalts der Tat, wie sich dieser in der Höhe der Strafe widerspiegele, als nicht unangebracht und den strafrechtlichen geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen würden.

Anders als bei einer Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs.1 Satz 1 StGB) würden in die Bewertung auch Gesichtspunkte der Schuldschwere, der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung fließen.

Gemessen an diesen Grundsätzen könne die Vollstreckung der Halbstrafe hier nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Die nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB gebotene Gesamtwürdigung rechtfertige nicht eine Entlassung schon nach der Verbüßung der Hälfte der Strafe.

Die von der Strafvollstreckungskammer dem Verurteilten gestellte, vom Senat geteilte günstige Sozialprognose gehe über die für eine Strafaussetzung ohnehin erforderliche günstige Prognose nicht in einem Maße hinaus, daß eine Halbstrafenaussetzung gerechtfertigt wäre. Den von der Strafvollstreckungskammer für maßgeblich gehaltenen Gesichtspunkten :

– das in vollem Umfang eingeräumte Tatgeschehen habe den Verurteilten aus der Bahn geworfen, er habe stets in heilender Absicht gehandelt und umstrittene Behandlungsmethoden nicht aus wirtschaftlichen Gründen angewendet, er habe aus der von ihm akzeptierten Verurteilung für sein Leben tiefgreifende Konsequenzen gezogen und werde sich nicht mehr als Arzt beruflich betätigen, sondern sehe seine Zukunft in seiner Tätigkeit als Ingenieur im familieneigenen Betrieb

– die günstige Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Euskirchen

sei in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen im wesentlichen folgendes entgegenzuhalten :

Die beanstandungsfreie Führung im offenen Vollzug sei angesichts des sozialen Status, der Herkunft und des Bildungsstandes des Beschwerdeführers erwartbar und falle im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht maßgeblich ins Gewicht. Zu der Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Euskirchen vom 06.10.2011 sei überdies kritisch anzumerken, daß sie Gesichtspunkte aus dem Urteil aufgreife (nämlich die in allen Fällen gegebene heilende Absicht), die über die gebotenen Ausführungen zum Vollzugsverhalten sowie zum sozialen Empfangsraum hinausgehen würden.

Was die im Urteil zugunsten des Beschwerdeführers angenommene „heilende Absicht“ angehe, reiche dieser Umstand nicht ansatzweise an Rechtfertigungs- oder Schuldmilderungsgründe heran, die bei der Abwägung eine Rolle spielen könnten. Der Beschwerdeführer habe in einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Überforderung und Blindheit gegenüber den Belangen seiner Patienten gehandelt. Die auch im Strafmaß zum Ausdruck kommende Schwere der Schuld könne mit „heilender Absicht“ nicht relativiert werden.

Das habe das Landgericht an anderer Stelle im Urteil auch mit aller Deutlichkeit damit ausgedrückt, daß der Angeklagte bei allen Taten unter grober Verletzung seiner ärztlichen Berufspflichten gehandelt habe. Soweit die Verteidigung im Schriftsatz vom 23.03.2012 meine, darauf hinzuweisen zu müssen, daß „in der Mehrheit eine Verurteilung zu Körperverletzungsdelikten“ erfolgt sei, stimme diese Sichtweise angesichts der strafrechtlichen Verantwortung des Beschwerdeführers für den Tod von vier Menschen bedenklich.

Soweit die Verteidigung auf Entschädigungsleistungen verweise, liege darin ein besonderer Umstand schon deswegen nicht, weil nach den vorgelegten Unterlagen bisher lediglich ein einziger Fall durch die Haftpflichtversicherung reguliert worden sei und wegen Ansprüche weiterer Geschädigter noch Regulierungsverhandlungen laufen sollen. Ein berücksichtigungswürdiger persönlicher Beitrag des Beschwerdeführers sei dem nicht zu entnehmen.

Die Entscheidung des Beschwerdeführers, auch nach Ablauf des Berufsverbots in den Arztberuf nicht zurückzukehren, vermöge der Senat nicht ausschließlich als persönliche Läuterung zu werten. Bei realistischer Einschätzung sei dem Beschwerdeführer schon aufgrund seiner Verurteilung und der mit dem Verfahren verbundenen Berichterstattung in den Medien die Rückkehr in den Arztberuf faktisch verwehrt.

Der Senat erkenne an, daß der Beschwerdeführer sich als Ingenieur im familieneigenen Betrieb mit Erfindungsreichtum und Tatkraft eine neue Lebensgrundlage schaffe, worin auch die Verantwortung gegenüber seiner Familie zum Ausdruck komme. Die neue Aufgabe habe er allerdings bereits aus dem offenen Vollzug heraus angehen können, wobei er die damit verbundenen Erschwernisse als Folge seiner Straftaten tragen müsse. Für eine Halbstrafenaussetzung biete der berufliche Neuanfang – auch in Verbindung mit den übrigen für ihn sprechenden Umständen – aber keine ausreichende Rechtfertigung.

Die von der Verteidigung angeführte überlange Verfahrensdauer sei durch den Vollstreckungsabschlag von elf Monaten angemessen kompensiert worden, womit es sein Bewenden haben müsse. Ähnliches gelte für die auf die Strafe anzurechnende Untersuchungshaft, auch wenn diese nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht gerechtfertigt gewesen sei. Soweit der Beschwerdeführer die Haftbedingungen während der Untersuchungshaft kritisiere, sei nicht ersichtlich, daß er insoweit Abhilfe verlangt habe.

Die mit dem Strafverfahren verbundene negative Berichterstattung in den Medien, die sicherlich auch die Familie des Beschwerdeführers beeinträchtigt habe, sei im Urteil – neben der verbüßten 6-monatigen Untersuchungshaft – als strafmildernd berücksichtigt worden. Ein besonderer Grund im Sinne von § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB liege darin nicht. Der Beschwerdeführer habe sich das Medieninteresse mit allen nachteiligen Auswirkungen als Folge seines Fehlverhaltens letztlich auch selbst zuzuschreiben.

Der Halbstrafenaussetzung stünden aus Sicht des Senats entscheidend die Gesichtspunkte der Generalprävention und der Verteidigung der Rechtsordnung entgegen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf habe mit Recht darauf hingewiesen, daß Gegenstand des Strafverfahrens nicht lediglich ein einmaliges Versagen eines ansonsten zuverlässigen und untadeligen Arztes gewesen sei, sondern es sich um eine Vielzahl innerhalb weniger Monate begangener Taten gehandelt habe, durch die in vier Fällen der Tod von Patienten verursacht worden sei, die sich dem Beschwerdeführer – einem Chefarzt in herausgehobener Position – anvertraut hätten. Dieser habe seine ärztlichen Berufspflichten in vielfacher Hinsicht grob verletzt. Sein Verhalten sei geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität des Arztberufes ernstlich zu beschädigen.

Von der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Haft bereits nach der Hälfte der Strafverbüßung würde für die Allgemeinheit ein unverständliches Signal ausgehen. Die Vollstreckungsgerichte hätten deutlich zu machen, daß grobe Verletzungen der ärztlichen Berufspflichten, durch die Leib und Leben von Patienten aufs Spiel gesetzt würden, von der Rechtsordnung mißbilligt würden.

Der Senat halte daher eine Halbstrafenaussetzung nicht für vertretbar.