In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken befaßte sich das erkennende Gericht in seinem Urteil vom 10.1.2012 (4 U 480/10 – 145) mit den Voraussetzungen an die Verkehrssicherungspflicht öffentlicher Straßen. In dem konkreten Fall war eine aus einem Fahrzeug aussteigende Fußgängerin über eine Bordsteinkante, die 3 – 4 cm über die angrenzenden Bord- und Verbundsteine hinausragte, gestürzt.

Die Klägerin machte Schadensersatzansprüche geltend und behauptete, sie habe am Unfalltag gegen 7.30 Uhr den nahe der Unfallörtlichkeit befindlichen „A.Markt“ aufgesucht, um Zeitschriften zu kaufen. Der Zeuge H. habe sie dorthin gefahren und sein Fahrzeug am Straßenrand abgestellt. Die Klägerin sei auf dem Weg zu dem Geschäft an einem schadhaften Bordstein hängengeblieben und zu Fall gekommen.

Der Zustand der Bordsteine sei der Beklagten infolge einer Meldung der Zeugin G. schon längere Zeit vor dem Unfall der Klägerin bekannt gewesen. Infolge des Sturzes sei die Klägerin auf das Gesicht gefallen und habe eine Platzwunde an der Nasenwurzel erlitten. Deshalb sei sie ambulant chirurgisch behandelt worden. Hierdurch habe sie auch Attestkosten in Höhe von 8,– EUR aufwenden müssen.

Da infolge der Aufregung ihr Blutdruck entgleist sei, sei sie bis zum 13.11.2009 ambulant hausärztlich behandelt worden, was aus dem vorgelegten ärztlichen Zeugnis folge. Durch den Sturz sei die Brille der Klägerin irreparabel beschädigt worden. Für deren Ersatz müsse sie auf Grund eines Kostenvoranschlages 570,50 EUR netto aufwenden.

Die Klägerin war der Auffassung, daß die Beklagte die schadhafte Unfallstelle aufgrund der Meldung der Zeugin G. hätte beseitigen müssen und können.

Wegen der erlittenen Verletzungen sei ein Schmerzensgeld von 1.000,– EUR angemessen.

Die Beklagte hingegen vertrat die Auffassung, daß eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht schon deshalb nicht vorliege, weil die Klägerin im Hinblick auf die Fahrbahnbegrenzung durch Bordsteine einen Höhenunterschied habe überwinden müssen. Die Höhendifferenz der Bordsteine betrage auch nicht, wie von der Klägerin angegeben, 5 – 10 cm, sondern höchstens 3 cm. Auf die zur Unfallzeit herrschende Dunkelheit könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie aus diesem Grund zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen sei.

Das Oberlandesgericht erläuterte in seinen Entscheidungsgründen zunächst, daß die Verkehrssicherungspflicht der öffentlichen Hand bezüglich öffentlicher Wege und Plätze ihrem Wesen nach zwar keine Amtspflicht i. S. d. § 839 Abs. 1 BGB sei, sondern eine allgemeine zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht i. S. d. § 823 BGB. Als Haftungstatbestand komme daher grundsätzlich § 823 BGB i. V. m. §§ 89, 31 BGB in Betracht.

Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn das Land die Verkehrssicherungspflicht öffentlich-rechtlich geregelt habe. In diesem Fall habe es sich bei der Verkehrssicherungspflicht um eine hoheitliche Aufgabe gehandelt, also um eine Amtspflicht i. S. d. § 839 Abs. 1 BGB.

Im Saarland sei eine entsprechende Regelung getroffen worden durch § 9 Abs. 3a SaarlStrG, der ausdrücklich anordne, daß die Verkehrssicherung öffentlicher Straßen als Amtspflicht in hoheitlicher Tätigkeit wahrgenommen werde.

Diese obliege im Falle von Gemeindestraßen den Kommunen, vorliegend also der Beklagten.

Die hoheitlich ausgeübte Verkehrssicherungspflicht bezüglich öffentlicher Straßen entspreche dabei inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 BGB.

Ihr Umfang werde von der Art und Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfasse die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Benutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes, wobei jedoch absolute Gefahrlosigkeit nicht gefordert werden könne. Diese könne in der Regel nicht erwartet werden und sei auch unter Einsatz zumutbarer Mittel nicht zu erreichen. Vielmehr seien die öffentlichen Verkehrswege grundsätzlich in dem Zustand hinzunehmen, wie sie sich dem Benutzer erkennbar darbieten würden, wobei sich der Benutzer den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen müsse.

Der Verkehrssicherungspflichtige müsse daher in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lasse, nicht erkennbar seien und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermöge. Die Verkehrssicherungspflicht diene nicht dazu, das allgemeine Lebensrisiko auf den Sicherungspflichtigen abzuwälzen. Eine haftungsbegründende Verkehrssicherungspflicht beginne grundsätzlich erst dort, wo auch für den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer eine Gefahrenlage überraschend eintrete und nicht rechtzeitig erkennbar sei.

Unebenheiten und Niveauunterschiede auf Straßen, Plätzen und Gehwegen müßten Fußgänger daher in gewissem Umfang hinnehmen. Eine Verkehrssicherungspflicht sei in der Regel erst dann gegeben, wenn auch für den aufmerksamen Fußgänger eine Gefahrenlage völlig überraschend eintrete und nicht ohne weiteres erkennbar sei.

Das Landgericht sei zutreffend davon ausgegangen, daß die Rechtsprechung eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bei Niveauunterschieden in der Größenordnung von 4 – 5 cm verneint, wenn diese für den Fußgänger bei der gebotenen Aufmerksamkeit erkennbar waren .

Im streitgegenständlichen Fall sah das Oberlandesgericht die Voraussetzungen einer Haftung nicht gegeben.

Zunächst habe das Landgericht fehlerhaft darauf abgestellt, daß die Beklagte dadurch, daß sie die Unfallstelle nachträglich abgesichert habe, diese als gefährlich eingestuft habe. Dies mag zwar zutreffen. Jedoch seien, wovon das Landgericht ebenfalls ausgegangen sei, Handlungen des Verkehrssicherungspflichtigen nach einem Schadensereignis mit dem Ziel, vor einer tatsächlichen oder vermeintlichen Gefahr zu warnen, nicht geeignet, die Frage zu beantworten, ob objektiv eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu bejahen ist. Die Beklagte habe zutreffend darauf hingewiesen, daß es nicht auf ihre subjektive Einschätzung ankomme, zumal Fälle wie der vorliegende für den Verkehrssicherungspflichtigen nicht nur das Risiko mit sich bringen, unberechtigt in Anspruch genommen zu werden, sondern auch mit zahlreichen Unannehmlichkeiten verbunden seien, so daß sich der Verkehrssicherungspflichtige zu vorbeugenden Sicherungsmaßnahmen über das eigentlich geschuldete Maß hinaus veranlaßt sehen könne.

Auch sei es unerheblich, daß die Zeugin G. ausgesagt habe, daß sie die Beklagte Wochen vor dem Unfallereignis über die schadhafte Stelle im Bordstein informiert habe. Aus dieser ebenfalls subjektiven Einschätzung der Zeugin, es handle sich um eine „Stolperfalle“, die sie aus Eigeninteresse als Inhaberin eines Geschäfts im Bereich des schadhaften Bordsteins geäußert hat, folge ebenfalls nicht, daß es sich bei der Stelle um eine solche gehandelt habe, deren Zustand Abhilfe oder zumindest deutlich sichtbare Warnhinweise erforderlich gemacht hätte. Etwas anderes folge auch nicht aus der unbestimmt weiten Zusage des Mitarbeiters F. der Beklagten, er werde sich um die Angelegenheit „kümmern“.

Auch wenn man davon ausgehe, daß die Klägerin genau an der durch Lichtbilder dokumentierten Bordsteinkante zu Fall gekommen sei, weil sie an der Beifahrerseite aus dem Fahrzeug ausgestiegen sei, nachdem der Zeuge H. in der Parkbucht geparkt hatte, folge hieraus nicht, daß es sich bei der schadhaften Stelle um einen auf Grund der Verkehrssicherungspflicht warn- oder beseitigungspflichtigen Zustand gehandelt habe.

Das Landgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, daß die Niveauunterschiede unstreitig nur 3 – 4 cm betragen hätten, was auch durch die zur Akte gereichten Lichtbilder hinreichend dokumentiert werde und so auch vom Landgericht festgestellt worden sei. Zwar seien die Bordsteine, wie das Landgericht auf nicht zu beanstandende Weise festgestellt habe, im Bereich des Eingangs zum Geschäft der Zeugin G. aus dem Verbund mit den übrigen Bordsteinen und Verbundsteinen der Parkbucht herausgelöst gewesen.

Bezüglich des Höhenunterschieds und des Zustands der Gehweg- und Straßenoberfläche sei keine schematische Betrachtung angezeigt. Vielmehr müsse im Einzelfall geprüft werden, ob es sich um einen pflichtwidrigen Zustand gehandelt habe. Hieraus folge im vorliegenden Fall nicht, daß es sich um einen Zustand gehandelt habe, der für einen objektiven Verkehrsteilnehmer überraschend aufgetreten wäre und auf den er sich nicht rechtzeitig hätte einstellen können. Die Niveauunterschiede träten zum einen nicht unvermittelt mitten auf dem ansonsten ebenen Bürgersteig auf, wo niemand mit solchen rechne, sondern an der Bordsteinkante, wo stets mit Unebenheiten zu rechnen sei und die daher von Fußgängern nur unter Beachtung erhöhter Sorgfalt überschritten werden dürften, insbesondere durch Richten des Blicks auf den entsprechenden Bereich des Bodens. Dabei müsse mit unterschiedlichem Setzungsverhalten gerechnet werden. Zwar stehe nicht fest, auf welche Weise die Klägerin genau zu Fall gekommen sei. Das habe sie selbst nicht mehr angeben können. Jedoch spiele es keine Rolle, ob sie direkt an der Bordsteinkante ausgestiegen oder zunächst einige Zeit entlang des Bordsteins gegangen und dann zu Fall gekommen sei. In jedem Fall habe sie beim Aussteigen in einer Parkbucht damit rechnen müssen, daß in deren unmittelbarem Bereich eine Bordsteinkante vorhanden war, die Unebenheiten aufwies, weil einzelne Steine weiter aus dem übrigen Niveau herausragten als andere. Gleich ob sie den Bordstein überquert habe oder parallel hierzu gegangen sei, habe sie also besonders aufmerksam sein müssen.

Dies sei für die Klägerin bei zielgerichteter Aufmerksamkeit auch ohne Weiteres erkennbar gewesen, ohne daß es – wie das Landgericht gemeint habe – einer besonderen farblichen Hervorhebung des Bordsteins bedurft hätte. Zum einen sei fraglich, ob aufgrund einer solchen Hervorhebung die hochstehenden Steine besser erkennbar gewesen wären als ohne eine solche und zum anderen sei der Zustand des Bordsteins jedenfalls auch ohne eine solche hinreichend erkennbar gewesen, so daß sich die Klägerin hierauf hätte einstellen können. Daran ändere auch die zum Unfallzeitpunkt unstreitig bestehende Dämmerung nichts.

Daß die Klägerin sich dem Geschäft der Zeugin G. normalerweise aus der anderen Richtung nähere, spiele keine Rolle, da sie sich auf die Bordsteinsituation unabhängig von der Kenntnis auf Grund früherer Besuche habe einstellen können und nicht völlig überraschtworden sei.

Daher könne es dahinstehen, ob und aufgrund welches Mechanismus die Klägerin gerade im Bereich der hochstehenden Bordsteine zu Fall gekommen sei und was die Beklagte hätte unternehmen können, um den Zustand des Bordsteins zu kontrollieren und die Unebenheiten zu beseitigen oder vor ihnen zu warnen. Denn auch wenn man hiervon ausgehe, führe dies aus Rechtsgründen nicht zur Bejahung einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten. Ebenso könne es dahinstehen, welche Verletzungen bei der Klägerin durch den Sturz entstanden seien und welche Schäden in welcher Höhe hieraus resultierten.

Schließlich sei der Klägerin aufgrund ihrer unachtsamen Gehweise jedenfalls ein Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB anzulasten, das derart schwer wiege, daß sich eine eventuelle Haftung der Beklagten nicht nur reduziere, sondern ganz hinter das Mitverschulden der Klägerin zurücktrete. In diesem Zusammenhang spiele es keine Rolle, daß sich der Sturz nur kurze Zeit nach dem Aussteigen ereignet habe.