Der Bundesgerichtshof (2 StR 375/11; PM) hob in seiner Entscheidung vom 02.11.2011 die Verurteilung eines Mitgliedes der Hells Angels zu achteinhalb Jahren Haft wegen eine tödlichen Schusses auf einen Polizeibeamten durch das Landgericht Koblenz (Urteil vom 28. Februar 2011 – 3 Ks 2090 Js 16853/10) auf. Das Gericht befand, daß das Mitglied der Hells Angels auf den hinter einer Haustür verdeckt stehenden Polizeibeamten im März 2010 in irrtümlich angenommener Notwehr geschossen habe.

Das Landgericht Koblenz hatte Folgendes festgestellt:

Der Angeklagte, ein führendes Mitglied des Motorradclubs „Hell´s Angels“, hatte erfahren, daß er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs „Bandidos“ ermordet werden sollte. Zeitgleich erließ das Amtsgericht in einem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Wegen der zu befürchtenden Gewaltbereitschaft des Angeklagten und seiner polizeibekannten Bewaffnung wurde zur Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls ein Sondereinsatzkommando (SEK)der Polizei hinzugezogen.

Am Tattag versuchte das SEK gegen 6.00 Uhr morgens, die Tür des Wohnhauses des Angeklagten aufzubrechen, um ihn und seine Verlobte im Schlaf zu überraschen. Der Angeklagte erwachte durch die Geräusche an der Eingangstür, bewaffnete sich mit einer Pistole Kal. 45, die mit acht Patronen geladen war, und begab sich ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er erblickte von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen. Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der „Bandidos“, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: „Verpisst Euch!“ Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die vor der Tür befindlichen SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoß er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür, wobei er billigend in Kauf nahm, einen der Angreifer tödlich zu treffen. Das Geschoß durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten ein und tötete diesen.

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Koblenz hatte den Angeklagten wegen dieses Geschehens wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht hatte angenommen, der Angeklagte habe zwar irrtümlich die Voraussetzungen einer Notwehrlage angenommen, er habe aber auch unter diesen Voraussetzungen nicht ohne Vorwarnung die tödliche Waffe einsetzen dürfen.

Der 2. Strafsenat hob die Verurteilung auf und sprach den Angeklagten insoweit frei, weil auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen ein Fall strafloser Putativnotwehr gegeben gewesen sei. Nach ständiger Rechtsprechung sei die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr. Danach müsse der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und ggf. auch ein Warnschuß abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener müsse aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer Verteidigungshandlung eingehen. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten „Kampflage“ keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern würden, dürfe auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar eingesetzt werden. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Landgerichts sei hier ein solcher Fall gegeben gewesen. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr sei dem Angeklagten nicht zuzumuten gewesen, zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine „Kampf-Position“ unter Umständen zu schwächen.

Daß es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten gekommen sei, sei dem Angeklagten daher nicht anzulasten. Weil dieser seinen Irrtum auch nicht fahrlässig verursacht gehabt hätte, habe er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden können.