Das Oberlandesgericht Celle sprach durch Urteil vom 18.09.2011 (16 U 135/96) einem ExamenskandidatenVerdienstausfall und Schmerzensgeld zu, da dieser infolge rechtswidrig fehlerhafter Bewertung der Prüfungsarbeiten das erste juristische Staatsexamen nicht erlangt hatte.
Die Prüfer des Landesjustizprüfungsamtes hatten in der Hausarbeit sowie in einer Klauser des Jurastudenten vertretbare Lösungsansätze als nicht vertretbar angesehen. So hatten der Erst- und Zweitkorrektur die Klausur im öffentlichen Recht mit ungenügend bewertet, der Sachverständigen sowie das Oberlandesgericht Celle hielten hingegen ein befriedigend für die richtige Bewertung.
Der Sachverständige stellte in seinem Gutachten weiter fest, daß der Erstgutachter des Landesjustizprüfungsamtes fünf Punkte falsch bewertet hatte. Der Zweitprüfer beschränkte sich auf die nichtssagende Beurteilung, er folge der Bewertung des Erstgutachters.
Das Oberlandesgericht selbst prüfte ebenfalls die Arbeiten im Rahmen des Rechtsstreites und schloß sich dem Sachverstängigen an und urteilte, daß das Landesjustizprüfungsamt aufgrund der schweren Beurteilungsfehler seiner Prüfer dem Kläger den Verdienstausfall zu ersetzen habe, den dieser erlitten hatte, da er das 1. Staatsexamen nicht erlangen konnte. Für die darauf hervorgerufene Erkrankung des Klägers sprach das Gericht dem Kläger des weiteren ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 DM zu.
Der Senat führte in seinen Entscheidungsgründen aus, daß Anspruchsgrundlage für die vom Kläger verfolgten Ansprüche auf Ersatz von Verdienstausfall und Schmerzensgeld infolge von Amtspflichtverletzungen von Amtsträgern der Beklagten (Prüfer des Landesjustizprüfungsamtes) bei der Bewertung der schriftlichen Examensarbeiten §§ 839, 847 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG. seien.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei mit dem ausführlichen Gutachten des Sachverständigen und seiner ergänzenden mündlichen Erläuterung davon auszugehen, daß die Bewertung der vom Kläger angefertigten Hausarbeit durch den Erstkorrektor mit ungenügend (0 Punkten) und die Bewertung der Klausur im öffentlichen Recht durch die Prüfer mit jeweils ungenügend (0 Punkten) objektiv amtspflichtwidrig gewesen sei.
Der Senat sei, was die Frage der Überprüfung der Bewertungen von Hausarbeit und Klausur anbetreffe, nicht an die (rechtskräftige) Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover gebunden.
Die für die Frage der gerichtlichen Kontrolle von Prüfungsentscheidungen maßgeblichen Grundsätze ergäben sich aus zwei Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. April 1991. Diese Grundsätze würden auch für die Beurteilung von Amtspflichten bei Prüfungsentscheidungen gelten. Sie würden gleichermaßen auch für die hier vorzunehmende Beurteilung von Prüferentscheidungen, die – wie hier – bereits lange vor den genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts getroffen worden seien, gelten.
Der den Prüfungsbehörden zur Verfügung stehende Bewertungsspielraum sei dann überschritten, wenn Verfahrensfehler begangen worden seien, anzuwendendes Recht verkannt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt worden seien oder die Bewertung von sachfremden Erwägungen beeinflusst worden sei. Daraus folge u. a., daß zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden dürften.
Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar seien, die Beurteilung vielmehr unterschiedlichen Antworten Raum lasse, gebühre zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, andererseits müsse aber auch dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung dürfe nicht als falsch gewertet werden. Dabei dürfe sich die gerichtliche Kontrolle der Prüfungsentscheidung nicht darauf beschränken, zu kontrollieren, ob sich die Fehlerhaftigkeit einer wissenschaftlichen Annahme des Prüfers dem Richter als gänzlich unhaltbar aufdränge. Eine Fehleinschätzung sei vielmehr schon dann anzunehmen, wenn sie Fachkundigen als unhaltbar erscheinen müsse. Diese prüfungsrechtlichen Grundsätze, die vom Bundesverfassungsgericht in den genannten Beschlüssen zusammengefasst worden seien, hätten auch bereits im Jahr 1979/1980 zum Zeitpunkt der hier streitigen Bewertungen der Hausarbeit und der Klausur des Klägers gegolten; eingeschränkt sei lediglich die gerichtliche Kontrolle von Prüferentscheidungen gewesen.
Das Oberlandesgericht hätte mithin zu überprüfen gehabt, ob die Bewertungen der Prüfer sich in dem Rahmen des grundsätzlich der gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt unterliegenden prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraums hielten oder ob diese – ggf. in einzelnen Beziehungen – Bewertungsfehler nach den oben dargestellten Kriterien enthielten, die sich auf die Notengebung zu Lasten des Klägers ausgewirkt hätten. Dabei hätte der Senat nicht eine komplette Neubewertung der schriftlichen Arbeiten des Klägers vorzunehmen, sondern allein – sachverständig beraten – die Prüferbewertungen auf ihre eventuelle Fehlerhaftigkeit und ihre Auswirkungen auf die Notenfindung zu untersuchen.
Der Erstkorrektor der öffentlich-rechtlichen Hausarbeit aus dem Baurecht habe die Arbeit in der Beurteilung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen werde, im Ergebnis mit ungenügend bewertet. Dies beruhe nach den überzeugenden und in der mündlichen Verhandlung ergänzten Ausführungen des Sachverständigen, denen sich der Senat nach eigener kritischer Würdigung anschloß, jedenfalls in Teilen auf 5 Beurteilungsfehlern des Prüfers.
Die festgestellten Beurteilungsfehler durch den Erstprüfer der Hausarbeit seien als objektiv amtspflichtwidrig anzusehen, weil sie im wesentlichen vertretbare Lösungsansätze als nicht vertretbar abwerten würde. Diese Beurteilungsfehler hätten sich auch ersichtlich auf die Notenfindung entsprechend negativ ausgewirkt. Ohne diese Fehler hätte der Erstprüfer mithin notwendig zu einer besseren Bewertung kommen müssen. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß die Note ungenügend, also eine völlig unbrauchbare Leistung angesichts der vom Sachverständigen (und Zweitprüfer) aufgezeigten durchaus brauchbaren Ansätze als nicht mehr vertretbar zu bezeichnen seo. Der Senat folge dem Sachverständigen auch in dessen eigener Beurteilung der Hausarbeit unter Berücksichtigung der Beurteilungsfehler, daß jedenfalls eine Bewertung der Hausarbeit mit wenigstens 2 Punkten (mangelhaft nach § 21 NJAO 1972) als gerechtfertigt angesehen werden müsse.
Insgesamt sei damit festzustellen, daß die Beurteilung der Hausarbeit durch den Erstprüfer mit 0 Punkten amtspflichtwidrig gewesen sei.
Ob eine noch bessere Bewertung der Hausarbeit in Betracht gekommen wäre (wie dies die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen verschiedener Professoren belegten), brauchte der Senat nicht zu entscheiden, denn dies dürfte dem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Entscheidungsspielraum des Prüfers unterliegen. Hier reiche dagegen die Feststellung aus, daß die Bewertung der Arbeit mit ungenügend und damit 0 Punkten amtspflichtwidrig gewesen sei und jedenfalls eine Bewertung mit wenigstens 2 Punkten und damit immerhin noch mangelhaft geboten gewesen wäre.
Die Klausur aus dem öffentlichen Recht sei von beiden Prüfern mit ungenügend (0 Punkte) bewertet worden. Auch diese Bewertung beruhe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auf erheblichen Bewertungsfehlern und sei deshalb als amtspflichtwidrig zu bezeichnen.
Der Sachverständige sei bei der Überprüfung der Bewertung der Klausur unter Beachtung der oben zur Hausarbeit aufgezeigten Bewertungskriterien überzeugend und nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Bewertung der Klausur mit ungenügend unhaltbar gewesen sei. Der Sachverständige habe dazu in seinem schriftlichen Gutachten, aufgezeigt, daß der Erstprüfer – das Votum des Zweitprüfers beschränke sich ohnehin auf die nichtssagende Feststellung, er folge den Gründen des Erstvotums – in fünf Kritikpunkten der Bewertung vertretbare Lösungsansätze als nicht vertretbar angesehen habe.
Eine ohne Fehler vorzunehmende Bewertung der Klausur hätte sich auf die Note positiv auswirken müssen, weil wesentliche Teile der Kritik nicht tragfähig seien und ohne diese eine wesentlich bessere Beurteilung angemessen gewesen wäre. Der Sachverständige halte ohne die dargestellten Beurteilungsfehler bei der in ihrem ersten Teil als sehr schwierig einzustufenden Aufgabenstellung eine Bewertung der Arbeit mit ungenügend oder mangelhaft für sicher unvertretbar. Bei einer Neubewertung sei nach den damals in Niedersachsen angelegten Maßstäben eine Note von befriedigend (5 Punkte) gerechtfertigt.
Auch dieser im einzelnen begründeten Auffassung des Sachverständigen schloß sich der Senat an.
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