Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.04.2022 (VI ZR 1321/20)


(…)

a) Die in § 833 Satz 1 BGB geregelte Gefährdungshaftung des Tierhalters setzt voraus, dass durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird und sich in dem Schadensereignis eine „spezifische“ oder „typische“ Tiergefahr desjenigen Tieres verwirklicht hat, dessen Halter in Anspruch genommen werden soll.
Letzteres ist dann der Fall, wenn ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten des betreffenden Tieres für den Eintritt der Rechtsgutsverletzung adäquat ursächlich geworden ist, wobei Mitursächlichkeit – wie sonst auch – ausreicht (vgl. Senatsurteile vom 24. April 2018 – VI ZR 25/17, VersR 2018, 1013 Rn. 9; vom 25. März 2014 – VI ZR 372/13, VersR 2014, 640 Rn. 5, jeweils mwN).

b) Diese Voraussetzungen sind auf der Grundlage des vom Berufungsgericht angenommen Sachverhalts zu bejahen. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung den Vortrag des Klägers, wonach er von der Katze der Beklagten bei einem Besuch in deren Wohnung gebissen worden sei, als unstreitig zugrunde gelegt; es hat eine Haftung der Beklagten nur deshalb verneint, weil der Kläger den exakten Hergang des Unfalls nicht bewiesen habe. Denn es hat die vom Kläger zum Beweis des Schadenshergangs beantragte Vernehmung der Mutter der Beklagten als Zeugin und der Beklagten als Partei mit der Begründung abgelehnt, streitig sei nicht die Frage, ob der Kläger von der Katze der Beklagten gebissen worden sei, sondern wie sich der Biss im Einzelnen ereignet habe.
Das ist rechtsfehlerhaft. Steht fest, dass der Kläger von der allein von der Beklagten gehaltenen Katze gebissen worden ist, so sind die Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB erfüllt. Ob die Katze unter dem Tisch oder unter dem Sofa lag und ob der Kläger das Sofa angehoben hat oder lediglich anheben wollte, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Entscheidend ist, dass der Kläger durch den Katzenbiss, in dem sich die typische Tiergefahr der Katze verwirklicht hat (vgl. zum Hundebiss: Senatsurteil vom 25. März 2014 – VI ZR 372/13, VersR 2014, 640 Rn. 5 a.E.), verletzt worden ist. Die Einzelheiten des Schadenshergangs könnten lediglich bei der Frage Bedeutung erlangen, ob die Tierhalterhaftung wegen Mitverschuldens – oder ganz ausnahmsweise wegen rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung – beschränkt oder ausgeschlossen ist (vgl. Senatsurteile vom 25. März 2014 – VI ZR 372/13, VersR 2014, 640 Rn. 7; vom 20. Dezember 2005 – VI ZR 225/04, VersR 2006, 416 Rn. 14 ff.). Auf eine Haftungsbeschränkung oder einen Haftungsausschluss, deren Annahme überdies konkrete Feststellungen voraussetzte, hat das Berufungsgericht die Zurück-weisung der Berufung des Klägers aber nicht gestützt. (…)