In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Bonn

[Urteil vom 01.03.2011 (104 C 444/10)] begehrte die Klägerin von ihrer Schwester, der Beklagten, Schadensersatz aufgrund einer vermeintlichen Aufsichtspflichtverletzung gegenüber deren Kleinkind.

Am 04.04.2009 hatte die Beklagte zusammen mit ihrem, zu diesem Zeitpunkt dreijährigen, Sohn die Klägerin und deren zweijährigen Sohn besucht. Während sich die Parteien überwiegend im Wohnzimmer unterhalten hatten, hatten die beiden Kinder in der Wohnung gespielt und waren durch die Zimmer getobt. Die Parteien hatten ihre Kleinkinder nicht unter ständiger Beobachtung. Die Kinder kehrten jedoch immer wieder in das Wohnzimmer zurück, in welchem sich die Klägerin und die Beklagte unterhielten. Der Sohn der Klägerin kündigte dann in Gegenwart der Parteien an, auf die Toilette gehen zu müssen und der Sohn der Beklagten begleitete ihn hierbei. Während des Aufenthalts im Badezimmer warf der Sohn der Beklagten Schmuck der Klägerin, bestehend aus einem Set von einer Kette, einem Ring und Ohrringen, in die Toilette und spülte diesen hinunter. Auch nach Auseinandernehmen des WC und Aufschrauben der Rohre konnte der Schmuck, den die Klägerin im Schlafzimmer auf einer Kommode liegen hatte lassen, nicht mehr aufgefunden werden. Die Klägerin behauptete, der Schmuck habe einen Wert von 4.000,00 € gehabt und begehrte Ersatz hierfür. Sie war der Ansicht, die Beklagte habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, da sie ihr Kind nicht in ausreichendem Umfang innerhalb der Wohnung überwacht habe.

Das Amtsgericht wies die Klage ab mit der Beründung, daß eine Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten gegenüber ihrem dreijährigen Sohn nicht vorliege.

Das Maß der gebotenen Aufsicht in Form von Überwachung, Belehrung und erforderlichen Kontrollen, bestimme sich nach dem Alter, der Eigenart und dem Charakter des konkreten Kindes. Außerdem komme es entscheidend darauf an, ob ein schädigendes Verhalten des Aufsichtsbedürftigen voraussehbar sei und was verständigen Eltern in der konkreten Situation vernünftigerweise an erforderlichen Maßnahmen zugemutet werden könne, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Der Aufsichtspflichtige müsse alles tun, was zur Verhinderung einer Schädigung von einem Aufsichtspflichtigen in seiner Lage vernünftiger- und billigerweise erwartet werden könne. Dabei sei eine ständige Beaufsichtigung auf Schritt und Tritt nicht erforderlich, denn sie ist mit dem Zweck der Erziehung zur Selbständigkeit unvereinbar. Vielmehr genüge es, wenn sich die Eltern einen groben Überblick über das Tun des Kindes verschaffen würden. Die Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen richte sich nach dem Ausmaß der Gefahr, die unbeteiligten Dritten nach der Eigenart und dem Charakter des Kindes drohe.

Der aufsichtsbedürftige Sohn der Beklagten sei zum Zeitpunkt des Schadensfalles drei Jahre alt und ein lebhaftes Kleinkind gewesen. Das Kind habe in einer ihm bekannten Umgebung gespielt, nämlich in der Wohnung seiner Tante, welche er infolge mehrfacher Besuche mit seiner Mutter kannte. Das Geschehen habe sich innerhalb der geschlossenen Wohnung ereignet, so daß kein erhöhtes Gefahrenpotential für die Beklagte ersichtlich gewesen sei. Auch ein Kleinkind dürfe allein die Toilette aufsuchen, ohne daß der Aufsichtspflichtige dies kontrollieren müsse, denn es solle auch in diesem Bereich seine Eigenständigkeit ausüben dürfen und ein Badezimmer biete nicht grundsätzlich eine erhöhte Gefahrenlage.

Vorliegend sei es indes nicht der Sohn der Beklagten, sondern der zweijährige Sohn der Klägerin, gewesen, der die Toilette alleine aufgesucht habe, der Sohn der Beklagten habe ihn begleitet. Weder die Beklagte noch die Klägerin seien mitgekommen.

Das Erziehungsziel der Ausbildung von Fähigkeiten und Selbständigkeit dürfe durch eine ununterbrochene Kontrolle nicht behindert werden. Da der Sohn der Beklagten wie der der Klägerin sich beim Spielen immer wieder im selben Raum wie die Eltern befunden habe, sei einer regelmäßigen Überwachung genüge getan worden. Durch das vorherige Ankündigen des Toilettenbesuchs durch die Kinder, sei unmittelbar vor dem Vorfall offenkundig das notwendige Überwachungsintervall eingehalten worden. Eine darüber hinausgehende, durchgängige Überwachung sei, entgegen der Auffassung der Klägerin, weder erforderlich noch dem Aufsichtspflichtigem zumutbar.

Die Aufsichtspflicht sei auch nicht erhöht gewesen, denn es habe keine erkennbare Gefährdungslage für einen Dritten bestanden, welche aus dem Verhalten oder dem Charakter des Aufsichtbedürftigen erkennbar gewesen sei. Allein die Lebhaftigkeit des Kindes und das Zusammenspiel und Toben mit einem anderen Kleinkind änderten daran nichts. Daß der Sohn der Beklagten ein – über das bei einem dreijährigen Jungen übliche Maß hinausgehendes Zerstörungs- oder Vernichtungspotential gehabt hätte, habe die Klägerin schon nicht schlüssig vorgetragen. Das Gericht vermöge als Elternteil aus eigener Sachkunde beurteilen, daß ein Kratzer auf einem Fernseher und eine umgestoßene Vase als einzige von der Klägerin benannte Vorfälle nicht außerhalb des Bereichs des üblichen für dreijährige Jungen liegen würden. Hier sei es innerhalb einer geschlossenen Wohnung gerade nicht erforderlich, daß der Aufsichtspflichtige ein dreijähriges Kind unter ständiger Beobachtung halte. Denn ein Kind in diesem Alter müsse sich auch selbst beschäftigen können, damit der Raum für die persönliche Entfaltung und Entwicklung geschaffen werden könne. Eine unmittelbare und ununterbrochene Beaufsichtigung des Kindes an Ort und Stelle sei lediglich außerhalb der Wohnung erforderlich, nicht aber innerhalb eines gewohnten und räumlich abgeschlossenen Umfelds (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 12.03.2008 – 4 U 58/07 bzgl. eines Vierjährigen).

Die Beklagte habe sich zu jeder Zeit in der Reich- und Hörweite ihres Kindes befunden, so daß bei besonderen Anhaltspunkten oder drohenden Gefahren eine Eingriffsmöglichkeit bestanden habe. Eine weitergehende Beaufsichtigung, wie etwa die dauerhafte Kontrolle des Kindes oder eine Belehrung über die Art des Spiels sei nicht erforderlich und zumutbar gewesen.

Ohne daß es bei dieser Sach- und Rechtslage noch darauf ankomme, sei auf das erhebliche Mitverschulden der Klägerin hingewiesen, die allein für den vor Kindern ungesicherten Ablageort des Schmuckes verantwortlich gewesen sei und von dem Treiben der Kinder, dem Umfang der Beaufsichtigung sowie von dem Naturell ihres Neffen Kenntnis gehabt habe.