In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Kerpen ging es darum, daß die Kläger von den Beklagten – ihren Nachbarn – den Rückschnitt eines Wallnußbaumes forderten, damit keine Äste mehr in das Grundstück der Kläger ragten. Aufgrund der Größe des Baumes und seiner Nähe zur Grundstücksgrenze verstopften bzw. verunreinigten von dem Baum herabfallende Blätter und Zweige bzw. Äste die parallel zur Grundstücksgrenze verlaufende Dachrinne des klägerischen Hauses. Ein bereits durchgeführtes Schlichtungsverfahren war gescheitert.

Das Gericht befand, daß die Kläger mit diesem Begehr durchdringen mußten und erläuterte in seinem Urteil vom 12.04.2011 (110 C 140/10), daß auch die Baumschutzsatzung der Stadt dem Anspruch nicht entgegenstehen würde.

Das Gericht führte aus, daß den Klägern gegenüber den Beklagten ein Anspruch auf Entfernung der Äste und Zweige zustehe, welche von dem Grundstück der Beklagten über die Grundstücksgrenze auf das Grundstück der Kläger hinüber reichen würden. Dieser Anspruch folge aus § 910 Abs. 1 BGB. Danach könne der Eigentümer eines Grundstücks herüberragende Zweige abschneiden und behalten, wenn der Eigentümer (des gestörten Grundstücks) dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt habe und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolge.

Zu richten sei die Erklärung dabei einem denjenigen, der die tatsächliche Verfügungsbefugnis über den Grundstücksteil habe, aus dem das Gewächs an die Oberfläche trete. Die Beklagten als Grundstückseigentümer seien insofern richtige Adressaten.

Nachdem die Zweige bzw. Äste von den Beklagten nicht innerhalb der von den Klägern gesetzten Frist beseitigt worden seien, stehe den Klägern aus § 1004 BGB ein Anspruch auf Rückschnitt bis zur Grundstücksgrenze zu.

Der Anspruch sei auch nicht gemäß § 910 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Regelung stehe dem Eigentümer (des berechtigten Grundstücks) der Anspruch dann nicht zu, „wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen“. Davon könne hier keinesfalls ausgegangen werden.

Ein ordnungsgemäßer Abfluß von Regenwasser durch die Dachrinne des klägerischen Haueses sei aufgrund der erheblichen Laubmengen, welche unzweifelhaft von dem Walnussbaum herrühren würden, unmöglich, falls eine Reinigung der Rinne nicht in ganz regelmäßigen Abständen (oder auch bei Bedarf) vorgenommen werde. Von den über die Grundstücksgrenze reichenden Ästen und Zweigen ginge eine massive Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks aus.

Die Beklagten würden dem Anspruch auf Beseitigung dann auch letztlich nur entgegen halten, daß ihnen von der Stadt Kerpen nicht die aus Sicht der Beklagten erforderliche Genehmigung zum Rückschnitt des Baumes erteilt worden sei.

Unzweifelhaft sei, daß der Walnussbaum der Baumschutzsatzung der Stadt Kerpen vom 23.9.2005 unterfalle (vgl. dazu insbesondere die §§ 1-3 der Satzung). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Satzung ist es dabei verboten, „geschützte Bäume zu entfernen, zu zerstören, zu schädigen oder ihren Aufbau wesentlich zu verändern“. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 liegt eine wesentliche Veränderung des Aufbaus dann vor, „wenn an geschützten Bäumen Eingriffe vorgenommen werden, die auf das charakteristische Aussehen erheblich einwirken oder das weitere Wachstum beeinträchtigen“.

Ein Rückschnitt des Walnussbaumes bis zur Grundstücksgrenze würde ferner auch objektiv gegen die §§ 3 und 4 der Satzung verstoßen.

Gleichwohl hielt das Gericht die Verteidigung der Beklagten im Ergebnis nicht für erfolgreich.

Das Amtsgericht führte aus, daß die Rechte und Pflichten von Nachbarn in Bezug auf über die Grundstücksgrenze wachsenden Bäumen sich nach § 910 BGB bestimme. Überlagert werde die Vorschrift des § 910 BGB dabei durch Art. 111 EGBGB. Wörtlich laute diese Vorschrift:

„Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche im öffentlichen Interesse das Eigentum in Ansehung tatsächlicher Verfügungen beschränken.“

Die wohl absolut herrschende Meinung gehe dabei davon aus, daß unter landesgesetzliche Vorschriften im Sinne dieser Regelung auch Baumschutzsatzungen fallen würden. Dazu werde regelmäßig Bezug genommen auf einen Beschluß des BVerwG vom 1.2.1996 (- 4 B 303/95 -), der freilich zu der – besonderen – Rechtslage des Stadt-Staates Hamburg erlassen wurde. Das OLG Hamm habe unter Berufung auf diese Entscheidung in einem Beschluß vom 6.11.2007 (- 3 Ss OWi 494/07 -) wörtlich ausgeführt:

„Durch höchstrichterliche Entscheidungen ist geklärt, dass die Vorschriften des BGB den Regelungen einer Baumschutzsatzung nicht vorgehen. Nach Art. 111 EGBGB bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, die im öffentlichen Interesse das Eigentum in Ansehung tatsächlicher Verfügungen beschränken und zu denen insbesondere auch das Naturschutzrecht gehört, unberührt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.02.1996; BGH, Beschluss vom 26.11.2004). Bei den Regelungen einer Baumschutzsatzung handele es sich um öffentlich-rechtliche Beschränkungen von nachbarrechtlichen Ansprüchen. Die in einer solchen Satzung enthaltenen Gebote und Verbote würden sich nicht nur gegen den Eigentümer eines Grundstücks richten, sondern würden für jedermann gelten und würden sich daher auf das (privatrechtliche) Nachbarrechtsverhältnis auswirken (vgl. OLG Hamm, 5. Zivilsenat, Beschluß vom 28.09.1998 und Beschluss vom 20.05.1999; OLG Köln, Beschluß vom 03.09.2003; OLG Frankfurt, Beschluß vom 13.06.1991; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.04.1988 u. w.).

Wenn eine Vorschrift der Baumschutzsatzung also jedermann verbiete, geschützte Bäume zu entfernen, zu zerstören, zu schädigen oder ihren Aufbau wesentlich zu verändern, so schränke diese Vorschrift die aus § 910 BGB folgende Befugnis ein, von einem Nachbargrundstück über die Grundstücksgrenze herüberragende Zweige eines geschützten Baumes abzuschneiden.

Dem vermöge sich das Gericht nicht anzuschließen.

Nach Auffassung des Gerichts könnten unter dem Begriff der „landesgesetzlichen Vorschriften“ vielmehr nur solche Regelungen subsumiert werden, welche Geltung in einem gesamten Bundesland für sich beanspruchen können.

Für ein solches Verständnis spreche schon der Wortlaut der Vorschrift, wonach es sich um eine „landesgesetzliche“ Vorschrift handeln müsse. Von einer „landesgesetzlichen“ Vorschrift können aber dann nicht mehr die Rede sein, wenn es um die Anwendung von bloß kommunalem Satzungsrecht gehe. Würde man die Vorschrift anders verstehen, so würde dies auch auf der Ebene eines Bundeslandes (wenn es sich dabei nicht zugleich um einen sog. Stadtstaat – wie Hamburg – handelt) zu einer Zersplitterung des Rechts führen, welche kaum von dem Willen des (Bundes-)Gesetzgebers gedeckt sein könne. Folge einer solchen Betrachtung wäre dann auch, daß in den Kommunen von Nordrhein-Westfalen jeweils unterschiedliche Satzungen die Befugnis von Nachbarn zum Rückschnitt von über die Grenze wachsenen Baumen regeln könnten (was ja auch heute weithin der Fall sei). Mit „Landesrecht“ hätte (bzw. habe) dies nach dem Verständnis des Gerichts nichts mehr zu tun.

Unerheblich sei dabei, daß sich die kommunalen Baumschutzsatzungen jeweils auf eine vom Landesgesetzgeber erlassene Ermächtigungsnorm (hier: § 45 Landschaftsgesetz NRW: „Die Gemeinden können durch Satzung den Schutz des Baumbestandes innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile und des Geltungsbereichs der Bebauungspläne regeln.“) zurückführen ließen. Denn der bloße Umstand, daß die Kommunen vom Landesgesetzgeber ermächtigt worden seien, entsprechende Satzungen zu erlassen, mache die Satzungen selbst nicht zu Landesrecht im Sinne von Art. 111 EGBGB.

Da somit die kommunale Baumschutzsatzung nicht als Landesrecht im Sinne von Art. 111 EGBGB angesehen werden könne, könne die Vorschrift auch nicht dem Beseitigungsbegehren der Kläger entgegengehalten werden. Insofern habe es nämlich bei dem Grundsatz zu verbleiben, daß das Bundesrecht höherrangig sei als das kommunale Satzungsrecht. Eine kommunale Baumschutzsatzung könne daher – soweit sie nicht als Landesgesetz in dem ganzen Bundesland gelte (was etwa in Berlin, Bremen oder Hamburg der Fall sein mag) – nicht dem auf § 910 BGB gestützten Anspruch auf Beseitigung der Störung entgegengehalten werden (vgl. Art. 31 GG; a.A. VG Wiesbaden, Urteil vom 14.1.2009 – 4 K 1180/08.WI; danach solle eine Genehmigung sogar noch versagt werden können, wenn der Nachbar zur Beseitigung von überhängenden Ästen verurteilt wurde).