In dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm

[Urteil vom 29.10.1998 (6 U 208/96)] ging es um einen Fenstersturz eines zum Vorfallzeitpunkt 4 3/4 Jahre alten Kindes und um den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens, den der Junge erlitten hatte.

Zusammen mit seiner damals etwa 2 Jahre älteren Schwester hatte Junge die im ersten Obergeschoß eines Nachbarhauses gelegene Wohnung der Beklagten aufgesucht, um mit deren 4jährigen Sohn zu spielen.

Die Beklagte hatte in der Küche das Essen vorbereitet; die Kinder spielten im Flur und im Kinderzimmer. Die Fensterbank des Kinderzimmers war 71 cm hoch und innen 25 cm und außen 41 cm breit; das Fenster stand 20-30 cm weit offen. Der Kläger kletterte auf die Fensterbank, um Nachbarkindern zuzuwinken. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte 3,60 m tief auf ein Verbundsteinpflaster hinab. Dabei erlitt er lebensgefährliche Kopfverletzungen, die schwere Seh- und Hörstörungen zur Folge hatten.

Das Landgericht sprach dem Kläger 100.000,00 DM als Schmerzensgeld und 17.651,30 DM als Ersatz materiellen Schadens (jeweils nebst Zinsen) zu und traf die Feststellung, daß die Beklagte dem Jungen vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen hätten.

Gegen die Entscheidung richtete sich die Berufung der Bekalgten und Anschlußberufung des Klägers.

Das Oberlandesgericht Hamm wies beide Rechtsmittel als unbegründet zurück.

Die Beklagte habe es in vorwerfbarer Weise zugelassen, daß der Kläger unbeobachtet in dem Kinderzimmer ihres Sohnes habe spielen können,  obwohl dort der Fensterflügel nicht geschlossen gewesen sei. Diese Verletzung ihrer Verkehrssicherungs- und Aufsichtspflicht sei ursächlich geworden für den Fenstersturz des Klägers.

Es komme nicht darauf an, ob die Beklagte die Aufsicht über den Kläger stillschweigend vertraglich übernommen habe. Die Aufsichtspflicht sei ihr jedenfalls tatsächlich zugefallen, weil sie den Besuch des Klägers bei ihrem Sohn in ihrer Wohnung geduldet habe.

Sie hätte ihn deswegen wirksam vor den Gefahren schützen müssen, die das geöffnete Fenster mit sich gebracht habe. Dazu hätte sie entweder das Fenster schließen oder den Kläger intensiver beaufsichtigen müssen.

Zwar sei auch für Kinder im Kindergartenalter eine ständige Überwachung „auf Schritt und Tritt“ im Regelfall nicht erforderlich und eine jedes Risiko ausschließende Überwachung nicht möglich. Außerdem müsse nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden; eine absolute Sicherheit könne und müsse nicht gewährleistet werden. Es bedürfe nur solcher Sicherungsmaßnahmen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten dürfe, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zumutbar seien.

Das gelte grundsätzlich auch für den Schutz von Kindern. Freilich sei bei ihnen im besonderen Maße auf diejenigen Gefahren Bedacht zu nehmen, die ihnen aufgrund ihrer Unerfahrenheit, ihres Leichtsinns und ihres Spieltriebs drohten. Ebenso wie ein Grundstückseigentümer müsse deswegen auch ein Wohnungsinhaber wirksame Schutzmaßnahme ergreifen, um Kinder vor Unfällen als Folge ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen, wenn ihm bekannt sei, daß sie die Wohnung zum Spielen benutzen würden, und die Gefahr bestehe, daß sie sich dort an gefährlichen Gegenständen zu schaffen machen und dabei Schaden erleiden könnten.

Wenngleich die Kinder zunächst auf dem Flur mit einer Eisenbahn gespielt hätten, habe  die Beklagte, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Küche befunden habe, nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, daß die Kinder im Flur bleiben würden, selbst wenn das daneben liegende Kinderzimmer für alle drei zusammen zum Spielen zu klein gewesen sein sollte. Ebensowenig habe sie darauf vertrauen dürfen, daß der Kläger sich von dem Fenster des Kinderzimmers fernhalten würde. Sie habe vielmehr außer seiner kindlichen Unerfahrenheit auch seine Neugier in Rechnung stellen müssen, zumal er viel lebhafter war der Sohn der Beklagten.

Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 100.000,00 DM erweise sich unter Berücksichtigung der gesamten Umstände, insbesondere des Ergebnisses der eingeholten Gutachten, als erforderlich und angemessen, aber auch als ausreichend.