In dem Verfahren vor dem Sozialgericht Aachen – Urteil vom 30.11.2007 (S 6 R 129/06) – stritte die Beteiligten über einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Die 1965 geborene Klägerin war am 07.12.2002 Opfer einer Vergewaltigung geworden. Mit (inzwischen) bestandskräftigem Bescheid vom 10.07.2006 hatte der Gemeindeunfallversicherungsverband eine Entschädigung aus diesem Ereignis abgelehnt, weil das Vorliegen eines Unfallereignisses nicht bewiesen sei.

Am 05.03.2003 wurde die Klägerin sodann Opfer eines Raubüberfalles. Dieser Überfall ereignete sich während einer Busfahrt auf dem Weg von ihrer Arbeitsstelle nach Hause. Mit Bescheid vom 10.07.2006 erkannte der Gemeindeversicherungs-verband den Überfall als Arbeitsunfall nach § 8 SGB VII an und gewährte der Klägerin eine Unfallrente.

Am 03.11.2005 stellte die Klägerin einen Rentenantrag.

Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei seit dem 18.09.2004 voll erwerbsgemindert. Unter Zugrundelegung des Eintritts der vollen Erwerbsminderung am 18.09.2004 aber fehle es am Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente, weil in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung keine 3 Jahre mit Pflichtbeiträgen vorhanden seien. Die Klägerin legte am 24.03.2006 Widerspruch ein, den die Beklagte unter Vertiefung ihrer bisherigen Ausführungen mit Widerspruchsbescheid vom 04.07.2006 zurückwies.

Hiergegen richtete sich die am 20.07.2006 erhobene Klage mit der die Klägerin ausführte, die Vergewaltigung am 07.12.2002 sei als Arbeitsunfall einzustufen. Deshalb lägen die Voraussetzungen für die begehrte Rente vor.

Das Gericht holte von Amts wegen Gutachten ein, in dem die Sachverstänidge zu dem Ergebnis gelangte, daß das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter 3 Stunden herabgesunken sei. Dieser Zustand bestehe bereits seit der Vergewaltigung im Dezember 2002.

Das Gericht wies die Klage ab, da sie keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit habe.

Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bestehe für Versicherte, die erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr.1 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) seien und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Zwar ist die Klägerin voll erwerbsgemindert, weil ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben unstreitig auf unter 3 Stunden herabgesunken sei. Sie erfülle jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht.

Hiernach müßten die Versicherten vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben.

Zwar wären die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr.2 SGB VI erfüllt, wenn die Klägerin erst seit dem 03.11.2005, dem Datum ihres Rentenantrags, erwerbsgemindert wäre. Denn ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 29.08.2006 wären im dann maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 03.11.2000 bis 02.11.2005 mindestens 36 Monate mit Pflichtbeitragszeiten belegt gewesen.

Indessen steht zur Überzeugung der Kammer nicht fest, daß die Erwerbsminderung der Klägerin erst am 03.11.2005 eingetreten sei. Vielmehr spreche im vorliegenden Fall alles dafür, daß die Klägerin bereits seit der Vergewaltigung am 07.12.2002 voll erwerbsgemindert sei.

Ds Gericht verkenne hierbei nicht, daß die Klägerin nach der Vergewaltigung am 07.12.2002 noch einer Pflegetätigkeit nachgegangen sei und daß einer tatsächlichen Berufsausübung ein stärkerer Beweiswert zukommen könne, als medizinischen Befunden. Insbesondere könne eine tatsächliche Arbeitsleistung den Eintritt einer von einem medizinischen Sachverständigen festgestellten Erwerbsminderung unter Umständen widerlegen.

Im vorliegenden Fall sei indessen zu berücksichtigen, daß die Klägerin selbst nach dem zweiten traumatisierenden Ereignis, dem Raubüberfall am 05.03.2003, nicht nur einer Beschäftigung nachgegangen sei, sondern sogar eine neue Tätigkeit noch aufgenommen habe. Denn sie sei seit dem 01.08.2003 als Stationsgehilfin beschäftigt gewesen. Aus diesem Grund gehe das Gericht mit der Sachverständigen davon aus, daß die Tätigkeit als Pflegeperson, die die Klägerin vom 01.09.2002 bis 31.07.2003 ausgeübt habe, nur auf Kosten ihrer Gesundheit und mit großer Anstrengung möglich gewesen sei. Dies wiederum lasse den Eintritt einer vollen Erwerbsminderung mit der Vergewaltigung am 07.12.2002 plausibel erscheinen.

Sei eine volle Erwerbsminderung der Klägerin aber bereits am 07.12.2002 eingetreten, seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 29.08.2006 seien im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung keine 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Verlängerungstatbestände nach § 43 Abs. 4 SGB VI seien weder ersichtlich, noch vorgetragen.

Das Erfordernis von 3 Jahren mit Pflichtbeiträgen im Fünfjahreszeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung am 07.12.2002 sei auch nicht nach § 43 Abs. 5 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB VI entbehrlich. Insbesondere sei die Klägerin nicht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI wegen eines Arbeitsunfalls vermindert erwerbsfähig geworden. Zwar sei der am Raubüberfall am 05.03.2003 vom Gemeindeunfallversicherungsverband als Arbeits- bzw. Wegeunfall anerkannt worden. Allerdings sei die volle Erwerbsminderung der Klägerin nicht durch das Ereignis am 05.03.2003 eingetreten, sondern bereits durch die Vergwaltigung im Dezember 2002. Auch lasse der Umstand der tatsächlichen Ausübung einer Pflegetätigkeit der Klägerin nach dem 07.12.2002 – wie dargelegt – nicht an den Ausführungen der Sachverständigen . Aus diesen Gründen gehe die Kammer nicht davon aus, daß die Klägerin durch den Raubüberfall am 05.03.2003 voll erwerbsgemindert geworden ist.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr.2 SGB VI seien auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Klägerin durch die Vergewaltigung am 07.12.2002 voll erwerbsgemindert geworden ist. Denn die Voraussetzungen des § 43 Abs. 5 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI lägen nicht vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin erfülle das Ereignis am 07.12.2002 nicht die Voraussetzungen eines Arbeits- bzw. Wegeunfalls nach § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicheruung (SGB VII).

Die Kammer könne hierbei offen lassen, ob es am sog. inneren Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Ereignis (vgl. für den Fall einer Vergewaltigung BSG, Urteil vom 26.06.2001, B 2 U 25/00 R m.w.N.) bereits deshalb fehlt, weil nicht ersichtlich sei, daß die Beweggründe des Täters am 07.12.2002 in Umständen zu suchen seien, die in Verbindung mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin gestanden hätten. Denn selbst wenn man davon ausgehen wollte, daß der innere Zusammenhang deshalb bestehe, weil sich die Vergewaltigung auf dem Weg von dem Ort der Pflegetätigkeit der Klägerin ereignet habe, erfülle das Ereignis vom 07.12.2002 nicht die Voraussetzungen eines Arbeits- bzw. Wegeunfalls im Sinne von § 8 SGB VII. Denn es fehle insoweit an der Unmittelbarkeit des Weges im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr.1 SGB VII. Voraussetzung hierfür sei, daß der Weg notwendig sei, um sich nach dem Ende der versicherten Tätigkeit in den privaten Bereich zurückzubegeben. Dies sei jedenfalls dann nicht der Fall, wenn es sich um privat bedingte Wege(teile) handele, die in die entgegengesetzte Richtung führten.

Die Klägerin habe zunächst einen Weg in die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen.