In dem Verfahren Landessozialgericht NRW bestätigte das LSG den ablehnenden PKH-Bewilligungsbeschluß des Sozialgerichts Münster(Beschluß vom 03.08.2011; L 19 AS 1097/11 B ER).
Der Antragsteller begehrte die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, seine Umschulung zum Physiotherapeuten zu fördern.
Der am 1975 geborene Antragsteller absolvierte eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Nach Abschluß der Ausbildung im Jahr 2003 war er durchgehend arbeitslos. Der Antragsteller bezog mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Durch Bescheid vom 11.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.08.2009 lehnte die Rechtsvorgängerin des Antragsgegners den Antrag des Antragstellers auf Förderung der Umschulung zum Physiotherapeuten nach § 16 SGB II ab. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage, S 3 (15) AS 179/09.
Am 19.05.2011 beantragte der Antragsteller, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, seine Umschulung zum Physiotherapeuten zu fördern.
Durch Beschluss vom 31.05.2011 hat das Sozialgericht Münster den Antrag abgelehnt.
Hiergegen legte der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
Das LSG befand, daß die Beschwerde unbegründet sei.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheine.
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setze das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt werde) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit seine glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).
Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht.
Nach § 16 Abs 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland (vom 2.3.2009, BGBl I 416) könne die Agentur für Arbeit als Leistungsträger i.S.v. § 6 SGB II zur Eingliederung in Arbeit nur die im Dritten Kapitel, im Ersten und Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels, im Fünften Kapitel, im Ersten Abschnitt des Sechsten Kapitels und die in den §§ 417, 421f, 421g, 421k, 421o, 421p, 421q und 421t Abs 4 bis 6 des SGB III geregelten Leistungen erbringen. Daher könne der Leistungsträger Leistungen zur beruflichen Weiterbildung i.S.v. § 77 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) als Leistungen nach dem Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III – nicht aber berufliche Ausbildungsleistungen i.S.v. § 60 SGB III, die im Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelt und damit nicht von § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfasst seien – als Eingliederungsmaßnahme gewähren.
Die Qualifizierung einer Maßnahme als Aus- oder Weiterbildung sei jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Abgrenzungskriterien vorzunehmen. Maßgeblich für die Beurteilung sei nicht die Bezeichnung als „Ausbildung“; die Abgrenzung sei ausschließlich unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Entscheidend für die Abgrenzung sei nicht das Ziel der Maßnahme, sondern der Weg auf dem das Ziel erreicht werden solle.
Weiterbildungsangebote sollen grundsätzlich auf dem bereits vorhandenen beruflichen Wissen aufbauen. Es handele sich insoweit um die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach dem Abschluß der ersten Ausbildungsphase oder sonstiger beruflicher Betätigung ohne vorherigen Berufsabschluß, die deswegen vielfach mit einer verkürzten Ausbildungsdauer einhergehe.
Dabei sei zur Beurteilung, ob ein bestimmtes Lernziel im Wege der Ausbildung oder der Weiterbildung erreicht werde, nicht allein auf die Vorschriften einer Ausbildungsverordnung abzustellen. Es sei vielmehr eine Gesamtbetrachtung der konkreten Maßnahme angezeigt, die sowohl die einschlägigen Ausbildungsvorschriften als auch die Ausbildungswirklichkeit in den Blick nehme, insbesondere, ob Vorkenntnisse eines Lernwilligen verwertbar seien und die Ausgestaltung der konkreten Ausbildung mitbeeinflußt hätten.
Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Bildungsmaßnahme des Hilfebedürftigen im konkreten Fall etwa auf einen kürzeren Zeitraum als nach der Ausbildungsordnung vorgesehen angelegt gewesen sei oder andere Veränderungen des Lehrstoffs auf Grund von beruflicher Vorbildung erfolgt seien.
Bei der vom Antragsteller angestrebten Ausbildung zum Physiotherapeuten handele es sich nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Erkenntnisstand nicht um eine Maßnahme der Weiterbildung, sondern um eine Zweitausbildung, die allenfalls nach den Vorschriften des § 60ff SGB III, nicht aber als Maßnahme der Weiterbildung nach § 77 SGB III gefördert werden könne. Nach dem Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (Gesetz vom 26.05.1994, BGBl. 1994, 1084 – MPhG -) und der dazu ergangenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV) handele es sich bei der Ausbildung zum Physiotherapeuten um eine bundesweit einheitlich geregelte schulische Ausbildung von drei Jahren, die einen mittleren Bildungsabschluss und gesundheitliche Eignung voraussetze (§§ 9 Abs. 1, 10 MPhG). Weitere Voraussetzungen, insbesondere besondere berufliche Vorkenntnisse oder Erfahrungen, würden nicht gefordert. Es handele sich um eine umfassende Berufsausbildung für nicht beruflich Vorgeschulte/Erfahrene. Der Lehrstoff und die Dauer dieser Fachschulausbildung werde nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte durch die vorhandenen beruflichen Vorkenntnisse des Antragstellers nicht beeinflußt. Soweit das MPhG die Möglichkeit der Verkürzung der Ausbildunszeit bei einer Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister (§ 12 Abs. 1 MPhG) oder bei einer Ausbildung zum Turn-, Sport- oder Gymnastiklehrer (§ 12 Abs. 2 MPhG) vorsehe, verfüge der Antragsteller nicht über die erforderliche Vorbildung. Ebenso sei nicht ersichtlich, daß es sich bei der Ausbildung des Antragstellers zum Industriekaufmann um eine gleichwertige Ausbildung im Sinne von § 12 Abs. 3 MPhG handele. Demnach handele es sich bei der vom Antragsteller begehrten Ausbildung zum Physiotherapeuten um eine Zweitausbildung i.S.v. § 60 Abs. 2 SGB III, die entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II gefördert werde. Denn bei der Förderung einer Zweitausbildung handele es sich nicht um eine Leistung nach dem Dritten Kapitel oder nach dem Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III, sondern nach dem Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III.
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