In dem Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof NRW beschäftigte sich der Gerichtshof in seinem Urteil 07.01.2011 (2 AGH 48/10) mit den anwaltlichen Berufspflichten und insofern zunächst mit der Vorschrift des § 43 BRAO, wonach der Rechtsanwalt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben hat. Er hat sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen.

Der Gerichtshof vertrat des weiteren die Auffassung, daß § 43 BRAO für sich allein zu einer berufsrechtlichen Maßnahme führen könne und im Falle von Gesetzeslücken insoweit ein Auffangtatbestand sei .

Der Senat führte weiter aus, es gebe zahlreiche Lücken innerhalb der Normierung berufsrechtlicher Pflichten. Die Verpflichtung einer gewissenhaften Berufsausübung eines Anwalts lasse sich nicht nur über die BRAO bzw. BORA und über einige, ggf. einschlägige Vorschriften im Strafgesetzbuch (z.B. §§ 263, 352 StGB) erfassen.

Der Senat erläuterte, es werde nicht verkannt, daß bei der Anwendung des § 43 BRAO zurückhaltend vorzugehen sei. So könne diese Vorschrift nicht als Auffangtatbestand zum Zweck der Ahndung von beruflichen Pflichtverletzungen subsidiär herangezogen werden, wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber bewußt auf eine Statuierung einer Berufspflicht verzichtet habe, wobei auch aus einem Schweigen des Satzungsgebers noch nicht auf die unmittelbare Anwendbarkeit des § 43 BRAO geschlossen werden dürfe.

Ein Verstoß gegen § 43 BRAO – nämlich der Verpflichtung, seinen Beruf als Rechtsanwalt gewissenhaft auszuüben – liege unzweifelhaft dann vor, wenn durch das beanstandete Verhalten zugleich die Voraussetzungen eines Straftatbestandes erfüllt würden. In Betracht kämen bspw. versuchter Betrug/bzw. Beihilfe zum versuchten Betrug (§§ 263, 27 und 23 f StGB) und Gebührenüberhebung (§ 352 StGB).

Betrug i.S.d. § 263 StGB setze eine Täuschungshandlung voraus. Diese Täuschungshandlung könne sich nur auf Tatsachen beziehen.

Unter Tatsachen seien alle konkreten, vergangenen oder gegenwärtigen Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens zu verstehen, die sinnlich wahrnehmbar, empirisch überprüfbar und damit dem Beweis zugänglich seine.

Im Gegensatz zu Tatsachenbehauptungen würden bloße Annahmen, Schlußfolgerungen, Vermutungen, Urteile oder Meinungsäußerungen, bei denen durch die Mitteilung von subjektiven persönlichen Wertungen Tatsachen zu Normen in Beziehung gesetzt werden bilden.

Zu den Urteilen gehörten z.B. auch Rechtsauffassungen bzw. Rechtsbehauptungen einer Partei im Zivilprozess (vgl. BGH JR 1958, 106 und OLG Koblenz NJW 2001, 1364 und Schönke/Schröder-Cramer/Perron a.a.O., Rdnr. 9). Der Wahrheitspflicht nach § 138 ZPO unterliegen nur Tatsachen, keine Rechtsausführungen.

Indem der Kläger im Forderungsschreiben vom 19.10.2009 bestimmte Rechnungspositionen (Inkassovergütung, Geschäftsgebühr) als Verzugsschaden deklariert habe, habe er lediglich eine Rechtsbehauptung aufgestellt, keine Tatsachenbehauptung auf. Eine Rechtsbehauptung, selbst wenn sie falsch sei, könne eine Strafbarkeit wegen Betruges nicht begründen.

Die Tathandlung einer Gebührenüberhebung i.S.v. § 352 Abs. 1 StGB bestehe in der Erhebung einer Gebühr oder Vergütung, von der der Annehmende wisse, daß sie der Zahlende überhaupt nicht oder nur in geringerem Betrage schulde.

Erforderlich sei, daß der Täter gegen den angeblichen Schuldner ein eigenes Recht geltend mache. An dieser Voraussetzung fehle es, wenn ein Rechtsanwalt vom Gegner zu hohe Gebühren einfordere.

Es könne aber grds. § 43 BRAO als Auffangtatbestand subsidiär heranzuziehen sein.

Damit die Anwaltschaft die ihr im System der Rechtspflege zugewiesene Aufgabe wahrnehmen könne, hätten die Anwälte kompetent und integer aufzutreten. Die Generalklausel des § 43 BRAO und die einzelnen konkreten Normen des dritten Teils der BRAO würden bestimmte Standards festsetzen und wollten deren Einhaltung mit berufsrechtlichen Sanktionen durchsetzen. Dies sei die Basis für das der Anwaltschaft eingeräumte Monopol auf dem Gebiet der Rechtsdienstleistungen. Die Generalklausel diene also nicht dem Schutz von Individualinteressen, sondern schütze die Anwaltschaft und zugleich den Rechtsstaat. Daneben würden Mandanten, Gerichte und Behörden insoweit mittelbar geschützt, als ihnen gegenüber gewisse Mindeststandards festgelegt seien, die auch sanktionsbewehrt seien.