Oberlandesgericht Hamm befand durch Beschluß vom 16.06.2011 (III-1 Vollz (Ws) 216/11), daß die Fesselung von Strafgefangenen aufgrund des hiermit verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffs und ihres diskriminierenden Charakters regelmäßig ein besonderes Feststellungsinteresse i.S.v. § 115 Abs. 3 StVollzG begründe.
Besondere Fluchtgefahr i.S.v. § 88 Abs. 1 StVollzG setze eine an konkreten Anhaltspunkten belegte und individuelle zu beurteilende Fluchtgefahr voraus, die über die allgemein bei Gefangenen naheliegende Fluchtvermutung hinaus gehe und auch die gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehende Fluchtgefahr übersteige
Diese besondere Fluchtgefahr müsse im vorliegenden Fall verneint werden.
Das Gericht führte aus, daß die Fesselung der Betroffenen während der Ausführungen am 23.01., 24.01. und 25.01.2011 sowie während des Krankentransportes am 25.01.2011 rechtswidrig gewesen sei.
Die Voraussetzungen für eine Fesselung der Betroffenen hätten nicht vorgelegen.
Gemäß § 88 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6 StVollzG könnte gegen einen Strafgefangenen die Fesselung als besondere Sicherungsmaßnahme angeordnet werden, wenn nach seinem Verhalten oder aufgrund seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maße Fluchtgefahr bestünde. Für den vorliegenden Fall der Ausführung und des Transports von Strafgefangenen sei nach § 88 Abs. 4 StVollzG die Fesselung auch dann zulässig, wenn aus anderen Gründen als denen des Absatzes 1 eine derartige Fluchtgefahr abzuleiten sei. Bei der Feststellung, ob in erhöhtem Maße Fluchtgefahr vorliege, stehe der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, da es sich um eine Prognoseentscheidung handele. Die Prognoseentscheidung sei in entsprechender Anwendung des § 115 Abs. 5 StVollzG nur darauf zu überprüfen, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffend oder vollständigen Sachverhalt ausgegangen sei und ihrer Entscheidung den richtigen Begriff der Eingriffsvoraussetzung zugrundegelegt habe und die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten habe.
Vorliegend hätten die Vollzugsbehörde und auch die Strafvollstreckungskammer den Begriff der „besonderen Fluchtgefahr“ verkannt. Nach allgemeiner Ansicht in Rechtsprechung in Kommentarliteratur bedeute die qualifizierte erhöhte Fluchtgefahr gem. § 88 Abs. 1 StVollzG eine an konkreten Anhaltspunkten belegte und individuell zu beurteilende Fluchtgefahr, die über die allgemein bei Gefangenen naheliegende Fluchtvermutung hinaus gehe und auch die gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG der Gewährung von Vollzugslockerungen entgegenstehende Fluchtgefahr übersteige. Es müsse sich immer um eine im Zeitpunkt der Entscheidung nach dem möglichen Stand der Ermittlungen erkennbare, substantiierte und mit konkreten Anhaltspunkten belegbare Gefahr handeln, die aus dem Verhalten des Gefangenen zu entnehmen sei. Befürchtungen, Vermutungen oder gar nur ein bloßer Verdacht genügten hierzu nicht.
Eine solche mit konkreten Anhaltspunkten belegbare erhöhte Fluchtgefahr habe vorliegend nicht bestanden. Soweit die Strafvollstreckungskammer, der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt folgend, die Fluchtgefahr mit dem Verhalten der Betroffenen vor ihrer Selbststellung begründe, belege schon die Selbststellung, daß sich die Betroffene der Vollstreckung der Strafe gerade nicht mehr entziehen wollte.
Soweit das Landgericht die Annahme besonderer Fluchtgefahr auf die erlebten ersten Hafterfahrung der Betroffenen gestützt habe, stelle sie hiermit ausschließlich auf die bei Gefangenen allgemein naheliegende Fluchtvermutung ab. Diese reiche indes, wie ausgeführt, für die Annahme erhöhter Fluchtgefahr gerade nicht aus.
Die Fixierung der Betroffenen während des Krankentransportes am 25.01.2011 auf der Trage war unabhängig von dem zu 2.2. Ausgeführten auch deshalb und offensichtlich rechtswidrig, weil solche Fesselungsmaßnahmen gem. § 90 S. 2 StVollzG allein im Interesse des Gefangenen erfolgen dürfen.
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