Bundessozialgericht, Urteil vom 29.07.2015 (B 12 KR 23/13 R):

Die Revision der Beklagten war begründet. Zu Unrecht haben das LSG das SG angenommen, dass der Kläger zu 1. in seiner Tätigkeit für die Klägerin zu 2. in der Zeit vom 1.5.2006 bis 17.8.2011 nicht als Beschäftigter versicherungspflichtig in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung war. Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist in Fällen wie dem vorliegenden vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Dazu haben Verwaltung und Gerichte zunächst deren Inhalt konkret festzustellen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Ernsthaftigkeit und Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgeblich, soweit sie rechtlich zulässig sind (vgl BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 16 mwN). Erst auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen.

Nach den Feststellungen des LSG zum Inhalt der zwischen den Klägern getroffenen vertraglichen Abreden, ist vorliegend von einer Beschäftigung des Klägers zu 1. auszugehen. Besondere Umstände, die abweichend von den festgestellten Vereinbarungen eine Beurteilung der Tätigkeit des Klägers zu 1. als selbstständig zuließen, liegen nicht vor: Entgegen der Auffassung des LSG war der Kläger zu 1. allein schon deshalb nicht im eigenen Betrieb tätig, weil er keinerlei Anteile an der alleinigen Betriebsinhaberin, nämlich der in der Rechtsform einer GmbH verfassten Klägerin zu 2. hielt. Damit fehlt es zugleich an einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht, die den Kläger zu 1. in die Lage versetzt hätte, ihm unangenehme Weisungen zu verhindern. Vor diesem Hintergrund begründen auch weitreichende Befugnisse und eine faktische Weisungsfreiheit in der betrieblichen Praxis selbst dann keine Selbstständigkeit, wenn diese Umstände auf besonderer Rücksichtnahme innerhalb eines Familienunternehmens beruhen (vgl BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17 -Schönwetter-Selbstständigkeit-). Ebenso hat der wirtschaftliche Einfluss, wie er hier durch eine hohe Bürgschaft, die Kundenbeziehungen und das überlegene Fachwissen des Klägers zu 1. besteht, regelmäßig keine entscheidende Bedeutung für die Statusfeststellung (zur Bürgschaft vgl BSG, aaO, RdNr 26 mwN; zur „faktischen Machtposition“ vgl BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 21 RdNr 28 f).

Vor diesem Hintergrund kann die von den für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung und das Recht der Unfallversicherung zuständigen Senaten entwickelte sog „Kopf und Seele“-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs 1 SGB IV, nicht herangezogen werden (zur kontextabhängigen, bereichsspezifischen Auslegung des Beschäftigungsbegriffs vgl bereits BSG GS Beschluss vom 11.12.1973 ‑ GS 1/73 ‑ BSGE 37, 10 = SozR Nr 62 zu § 1259 RVO). Soweit der Senat in der Vergangenheit vereinzelt hierauf zurückgegriffen hat (BSG Urteil vom 23.6.1994 ‑ 12 RK 72/92 ‑ USK 9448), wird hieran nicht festgehalten. Nach der „Kopf und Seele“-Rechtsprechung soll für einen Fremdgeschäftsführer einer Familiengesellschaft und ausnahmsweise auch für einen Angestellten unterhalb der Geschäftsführerebene, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist, eine Ausnahme von der Beschäftigtenstellung in Betracht kommen, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten (Nachweise bei BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17 RdNr 31). Eine solche vom rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten abhängige Statuszuordnung ist mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht vereinbar.

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