Amtsgericht Solingen, Urteil vom 16.04.2014 (13 C 278/13):

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Unterlassung des Betriebs des Glockenspiels aus §§ 1004 Abs.1 Satz 1, 906 Abs. 1 BGB. Eine wesentliche unzumutbare Beeinträchtigung der Wohnung des Klägers durch das Glockenspiel liegt nicht vor.

Das Gericht hat bei der Beurteilung von Geräuschen von dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen unter Würdigung aller öffentlichen und privaten Belange auszugehen und sich dabei an den Richtwerten der TA Lärm zu orientieren. Dabei kann die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung nicht mathematisch exakt, sondern nur aufgrund Werten der Beurteilung festgelegt werden. Die Lästigkeit eines Geräuschs hängt nicht nur allein von Messwerten oder Beurteilungspegeln, sondern von einer Reihe anderer Umstände ab, für die es auf die Bewertung des Tatrichters ankommt (vgl. BGH Urteil vom 06.07.2001, NJW 2001, 3119, 3120). Dabei liegt unter Abwägung sämtlicher Umstände keine für den Kläger unzumutbare Beeinträchtigung vor. Der Immissionsrichtwert beträgt in Kerngebieten wie vorliegend tagsüber, also in der Zeit zwischen 6.00 und 22.00 Uhr, 60 Dezibel, wobei einzelne Geräuschspitzen nicht über 90 Dezibel betragen sollen, was sich aus Ziffer 6 der TA Lärm ergibt. Unterstellt man die von Klägerseite vorgetragenen Beurteilungspegel als wahr, so ergibt sich, dass der Spitzenwert nicht überschritten wird, dass jedoch Überschreitungen des Beurteilungspegels von bis zu 10 % vorliegen. Es liegt somit eine Überschreitung des in Innenstädten grundsätzlich zulässigen Lärmpegels vor. Diese relativ geringfügige Überschreitung des zulässigen Lärmpegels vor. Diese relativ geringfügige Überschreitung des zulässigen Lärmpegels muss jedoch im Rahmen der zivilrechtlichen Abwägung aller öffentlichen und privaten Interessen zurücktreten mit der Folge, dass eine unzumutbare Beeinträchtigung der Wohnung des Klägers nicht vorliegt. Dabei ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Lärmpegel vorliegend überschritten werden und das nach dem klägerischen Vortrag auch konstant.

Zu Gunsten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger die Situation vor Ort bekannt war. Bevor der Kläger seine Nutzung zu Wohnzwecken begann, nutzte er die Räumlichkeiten bereits über geraume Zeit gewerblich, so dass es ihm zuzumuten gewesen wäre, hier eine Einschätzung der Folgen der beabsichtigen Wohnnutzung durch das Glockenspiel vorzunehmen, auch wenn er es, was nachvollziehbar ist, beim Betrieb einer Zahnarztpraxis als noch nicht so störend empfand. Dennoch hätte dem Kläger bewusst sein müssen, dass das Glockenspiel vorhanden ist und er hätte insofern das Maß der Beeinträchtigung vorher abschätzen können.

Zudem spricht zu Gunsten der Beklagten der Innenstadtcharakter der Örtlichkeit. In einer Fußgängerzone ist es nicht ungewöhnlich, dass vielfache Geräuschemissionen auftreten und der Zuzug in die Innenstadt bringt entsprechende Geräuschemissionen regelmäßig mit sich. Ferner ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass das Glockenspiel bereits seit dem Jahre 1955 betrieben wird und insofern einen prägenden Gehalt für die Solinger Innenstadt beinhaltet und als prägendes Kulturgut nicht lediglich kommerziellen Interessen der Beklagten dient, sondern nach so langer Zeit auch ein anerkannter kultureller Bestandteil der Innenstadt von Solingen ist.

Zu Gunsten der Beklagten ist weiter zu berücksichtigen, dass es sich bei der vorliegenden Geräuschemission nicht um Industrielärm wie etwa dauerhaften Maschinenlärm handelt, der allgemein von Menschen als unangenehm empfunden wird, sondern es sich um das Schlagen von Glocken handelt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass auch das Schlagen von Glocken eine Lärmimmission ist, die selbstverständlich zu Beeinträchtigungen der Wohnung des Klägers führen kann. Jedoch muss in der Abwägung auch Berücksichtigung finden, dass es sich hier um ein grundsätzlich auch von vielen Personen als angenehm empfundenes Geräusch handelt.

Zudem kommt der Genehmigung von entsprechenden baulichen Anlagen wie dem Glockenspiel eine besondere Bedeutung zu, was insbesondere auch in § 14 BImSchG zum Ausdruck kommt.

Vor dem Hintergrund dieser bestehenden Belange der Beklagten und zum Teil auch entsprechenden öffentlichen Belange müssen im Rahmen einer Gesamtabwägung die privaten Belange des Klägers zurücktreten. Dabei kommt auch keine Unterlassung des Betriebs des Glockenspiels zu einzelnen Tageszeiten oder an Feiertagen in Betracht. Ziffer 6 Punkt 5 der TA Lärm bringt insofern zum Ausdruck, dass in Kerngebieten Besonderheiten hinsichtlich entsprechend empfindlicher Tageszeiten nicht in Betracht kommen.

Ein entsprechender Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten wäre darüber hinaus auch gemäß § 242 BGB verwirkt. Eine Verjährung des Anspruchs kommt zwar nicht in Betracht, da ein Anspruch aus § 1004 BGB mit jeder neuen Beeinträchtigung vorliegend mit jedem neuen Schlag des Glockenspiels neu beginnt (vergl. Bassenge in Palandt, BGB, 73. Auflage 2014, § 1004 Rndnr. 45). Dagegen liegt aber eine Verwirkung etwaiger Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten vor. Der Kläger nutzt bereits seit mehreren Jahren die streitgegenständliche Wohnung. Dass dabei zunächst eine gewerbliche Nutzung erfolgte, die erst später in eine Wohnnutzung umgewandelt wurde, ist unerheblich, da es lediglich darauf ankommt, dass der Kläger bereits über einen längeren Zeitraum der entsprechenden Lärmimmission ausgesetzt war. Während des Betriebs der Zahnarztpraxis hat der Kläger auch nichts für die Durchsetzung seiner etwaigen Rechte getan. Dadurch wurde bei der Beklagten ein Vertrauenstatbestand insofern geschaffen, als sie nicht mehr damit rechnen musste, dass der Kläger gegen das Glockenspiel rechtliche Einwände vorbringen werde.