Oberlandesgericht Hamm, Beschluß vom 10.07.2013 (II – 13 UF 39/13):
Es ist im Rahmen des § 1613 Abs.1 S.1 BGB unerheblich, ob die Bezifferung vorgerichtlich, außergerichtlich oder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens erfolgt. Weder der Wortlaut noch der Regelungszweck dieser Vorschrift beinhalten oder erfordern eine Einschränkung dahin, daß lediglich die Bezifferung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens die Begrenzungswirkung zugunsten des Unterhaltsschuldners und zulasten des Unterhaltsgläubigers entfaltet. Die Vorschrift regelt ausschließlich materiell-rechtliche Aspekte und gilt daher ausnahmslos sowohl innerhalb wie außerhalb von gerichtlichen Verfahren. Ausschlaggebend ist vielmehr allein, ob der Unterhaltsgläubiger den aus seiner Sicht bestehenden Unterhaltsanspruch bei der Bezifferung nach Auskunftserteilung vorbehaltlos und aus seiner Sicht abschließend berechnet und geltend macht oder ob er sich – in trotz der erfolgten Auskunftserteilung gerechtfertigter Weise – Korrekturen bzw. Nachforderungen vorbehält.
Die Beschränkung der Wirkungen des § 1613 Abs.1 S.1 BGB auf den konkret bezifferten Betrag beruht nicht darauf, daß der Unterhaltsgläubiger in Kenntnis der Möglichkeit einer höheren Forderung bewußt nur einen geringeren Betrag geltend macht, wie es bei einem Verzicht der Fall wäre. Die Begrenzung der Möglichkeit der Geltendmachung von Unterhaltsforderungen für die Vergangenheit durch diese Vorschrift erfolgt im Interesse des Unterhaltsschuldners, der vor dem unkontrollierten Anwachsen von Unterhaltsverpflichtungen für zurückliegende Zeiträume geschützt werden soll (vgl. dazu im einzelnen nachfolgend zu b). Die Begrenzung ist nicht davon abhängig, daß der Unterhaltsgläubiger sehenden Auges von Rechten absieht, wie es bei einem Verzicht der Fall wäre. Denn im Falle eines solchen Erfordernisses würde die Schutzfunktion des § 1613 Abs.1 S.1 BGB weitgehend ins Leere gehen. Im Hinblick auf diese Schutzfunktion sieht das Gesetz das Risiko dafür, Unterhalt für die Vergangenheit nachträglich geltend machen zu können, grundsätzlich auf Seiten des Gläubigers. Dementsprechend ist es grundsätzlich unerheblich, warum und auf welche Weise der Gläubiger einen Unterhaltsbetrag fordert bzw. gefordert hat, den er im Nachhinein für zu niedrig hält. Dementsprechend ist es für die Begrenzungswirkung einer im Nachhinein für zu niedrig gehaltenen Unterhaltsforderung in keiner Weise erforderlich, daß der Unterhaltsgläubiger zuvor einen höheren Betrag geltend gemacht hatte oder daß die Unterhaltsforderung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolgt ist.
§ 1613 BGB betrifft allgemein die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen für vergangene Zeiträume ohne Unterscheidung danach, ob die fragliche Unterhaltsverpflichtung dem Grunde nach zum Zeitpunkt der Geltendmachung noch fortdauert oder bereits beendet ist. Da der Unterhaltsanspruch seinem Sinn und Zweck nach der Sicherung des jeweils laufenden Lebensbedarfs dient, ist es sachgerecht, wenn der Unterhaltsschuldner die Unterhaltsansprüche nur aus seinen laufenden Einkünften bedient oder ggf. aus seinen laufenden Einkünften jeweils hierfür entsprechende Beträge zurücklegt. Es soll verhindert werden, daß der Unterhaltsschuldner seine gegenwärtigen Einkünfte angreifen muß, um Unterhaltsansprüche für in der Vergangenheit liegende Zeiträume zu bedienen, mit denen er nicht rechnete und auch nicht rechnen mußte. Diese aus der Natur des Unterhaltsanspruchs herrührende Zielrichtung besteht unabhängig davon, ob der Unterhaltsschuldner zusätzlich auch weiterhin und zukünftig unterhaltsverpflichtet ist oder nicht.
Beziffert der Unterhaltsgläubiger den ihm seiner Ansicht nach zustehenden Unterhaltsanspruch, trägt er nach allgemeinen Grundsätzen das Risiko von Berechnungs- und Bezifferungsfehlern. Ob sich etwas anderes ausnahmsweise dann ergeben kann, wenn und soweit es sich um offensichtliche oder zumindest erkennbare Fehler handelt, bedarf keiner Entscheidung. Denn ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben.