Oberlandesgericht Hamm, 2 WF 98/13, Beschluß vom 29.5.2013, OLG-PM vom 2.7.2013:

Der Umstand, daß ein volljähriges Kind bei der Großmutter lebt und keine Zahlungen für Verpflegung und Wohnen erbringt, rechtfertigt keine Verringerung seines Bedarfs. Seine Lebenssituation entspricht derjenigen eines Kindes mit eigenem Hausstand.

Der am 2.9.1994 geborene Antragsteller beabsichtigte, den Antragsgegner, seinen Vater, auf Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 486,- € ab Erreichen der Volljährigkeit im September 2012 in Anspruch zu nehmen und suchte um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nach. Der Antragsteller lebte seit Jahren bei seiner Großmutter und deren Ehemann. Kosten für Verpflegung und Wohnen hatte er nicht zu tragen. Er war Schüler und besuchte ein Berufskolleg im Bildungsgang zweijährige Berufsfachschule (Höhere Handelsschule). Ein Antrag auf Bewilligung von BAföG-Leistungen war zurückgewiesen worden. Der Antragsteller hatte gegen den ablehnenden Bescheid Klage erhoben, über die noch nicht entschieden war. Die Mutter des Antragstellers bezog SGB II-Leistungen.

Der Antragsgegner erzielte ein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen von 1.894,38 € monatlich und war einem weiteren Kind, das der ersten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle unterfile, unterhaltspflichtig. Er hatte für den Zeitraum ab September 2012 Kindesunterhalt in Höhe von fortlaufend 304,- € monatlich an den Antragsteller gezahlt und hatte am 28.1.2013 für den Zeitraum ab dem 1.2.2013 eine Jugendamtsurkunde über monatlich 304,- € errichten lassen.

Der Antragsteller war der Auffassung, sein Bedarf richte sich nicht gem. Nr. 13.1.1 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm zum Unterhaltsrecht (HLL) nach der Düsseldorfer Tabelle, sondern es sei gem. Nr. 13.1.2 HLL ein Bedarf von 670,- € monatlich zugrunde zu legen. Abzüglich des Kindergeldes von 184,- € verbleibe ein offener Bedarf in Höhe von 486,- €.

Das Amtsgericht hatte den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragstellers mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Der Antragsteller habe keinen eigenständigen, auswärtigen Haushalt. Vielmehr sei seine Lebenssituation vergleichbar mit derjenigen eines volljährigen Kindes, das bei dem anderen Elternteil, hier der Mutter, lebt. Die Großeltern treffe eine Unterhaltspflicht. I. Ü. bestünde bei auswärtiger Unterbringung ein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG.

Mit seiner Beschwerde verfolgte der Antragsteller sein Begehren unter Modifizierung seines ursprünglich angekündigten Antrags weiter. Die Großmutter sei nicht leistungsfähig; deren Ehemann, mit dem er nicht verwandt sei, erbringe an ihn freiwillige Leistungen.

Das Amtsgericht hatte der Beschwerde durch Beschluss vom 8.5.2013 nicht abgeholfen. Der Antragsteller erspare durch das Zusammenleben mit der Großmutter Aufwendungen; die Situation sei vergleichbar mit derjenigen, dass er mit seiner Mutter und deren neuem Lebenspartner zusammenlebt.

Das sah das Oberlandesgericht Hamm anders. Aus den Gründen:

Der Bedarf des Antragstellers ist nach Nr. 13.1.2 HLL mit 670,- € zu bemessen. Der volljährige Antragsteller unterfällt nicht der Regelung in Nr. 13.1.1 HLL, da er nicht mehr im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils lebt. Vielmehr entspricht seine Lebenssituation derjenigen eines Kindes mit eigenem Hausstand. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antragsteller bei seiner Großmutter und deren Ehemann lebt und keine Zahlungen für Verpflegung und Wohnen zu leisten hat. Eine Unterhaltspflicht der – ohnehin leistungsunfähigen – Großmutter besteht jedenfalls im Umfang der Leistungsfähigkeit der Kindeseltern nicht. Die Gewährung von Verpflegung und Unterkunft durch sie und ihren Ehemann stellt sich daher als freiwillige Leistung Dritter dar, die keinen Einfluss auf den Bedarf des Antragstellers hat. Auszugehen ist daher von einem Bedarf von 670,- € (vgl. zum Bedarf des volljährigen Kindes mit eigenem Hausstand auch Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 8. Aufl. § 2 Rn. 515 m. w. N. sowie OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.12.2006, Az. 9 UF 67/06, NJW-RR 2007, 794 für ein bei den Pflegeeltern lebendes volljähriges Kind).Abzüglich des Kindergeldes von 184,- € verbleibt damit ein offener Bedarf in Höhe von monatlich 486,- €. BAföG-Leistungen (vgl. Nr. 2.4 HLL) bezieht der Antragsteller jedenfalls derzeit noch nicht; über seine Klage ist noch nicht entschieden.Auf Seiten des Antragsgegners ist nach bisheriger Aktenlage von einem unterhaltsrelevanten Nettoeinkommen von 1.894,38 € monatlich auszugehen, von dem nach Abzug der Unterhaltspflicht gegenüber dem vorrangigen minderjährigen weiteren Kind in Höhe von 241,- € ein monatlicher Betrag von 1.653,38 € verbleibt.

Bei einem Selbstbehalt von 1.150,- € gegenüber dem volljährigen, nicht privilegierten Kind im Jahr 2012 (Nr. 21.3.1 HLL a. F.) war der Antragsteller danach in jenem Jahr in Höhe von 503,- € und somit in vollem Umfang leistungsfähig. Für die Monate September bis November 2012 (Antrag aus dem Schriftsatz vom 3.12.2012) ergibt sich danach unter Berücksichtigung der für diese Monate geleisteten Zahlungen von jeweils 304,- € eine offene Forderung in Höhe von monatlich (486 – 304 =) 182,- €, für die drei Monate mithin insgesamt 546,- €.

Im Jahr 2013 besteht aufgrund des auf 1.200,- € erhöhten Selbstbehalts (Nr. 21.3.1 HLL) lediglich noch eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners in Höhe von (1.653,38 – 1.200 =) gerundet 453,- €.