Bundesverfassungsgericht – Pressestelle – Pressemitteilung Nr. 109/2010 vom 30. November 2010, Beschluß vom 9. November 2010 (2 BvR 2101/09)
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der für eine Wohnungsdurchsuchung erforderliche Anfangsverdacht ohne Verfassungsverstoß auf Daten gestützt werden kann, die ein Informant aus Liechtenstein auf einem Datenträger an die Bundesrepublik Deutschland verkauft hat.
Gegen die Beschwerdeführer wird wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung in den Veranlagungszeiträumen 2002 bis 2006 ermittelt. Das Amtsgericht ordnete die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführer an. Den erforderlichen Anfangsverdacht stützte es darauf, dass im Rahmen der Ermittlungen gegen einen Liechtensteiner Treuhänder bekannt geworden sei, daß die Beschwerdeführer über Vermögensanlagen in Liechtenstein verfügten. Aus diesem Vermögen seien Kapitalerträge nicht erklärt und dadurch voraussichtlich Steuern in den Jahren 2002 bis 2006 zwischen 16.390 € und 24.270 € verkürzt worden.
Auf Antrag der Beschwerdeführer gewährte die Staatsanwaltschaft ihnen Akteneinsicht in die bei ihr vorhandenen Ermittlungsakten und teilte mit, daß die Daten aus Liechtenstein der Steuerfahndung im Wege der Amtshilfe durch den Bundesnachrichtendienst zur Verfügung gestellt worden seien. Eine Einsichtnahme in das Sicherstellungsverzeichnis bezüglich des Datenträgers und in Protokolle über die Vernehmung des Informanten könne nicht gewährt werden, da diese Unterlagen bei den Ermittlungsbehörden nicht vorhanden seien.
Die Beschwerdeführer legten gegen die Durchsuchungsanordnung Beschwerde ein, die sie damit begründeten, daß die der Durchsuchung zugrundeliegenden Erkenntnisse unverwertbar seien, da die Erhebung der verfahrensgegenständlichen Daten gegen das Völkerrecht und deren Verwendung gegen innerstaatliches Recht verstoße.
Das Landgericht verwarf die Beschwerden als unbegründet. Der für die Durchsuchung erforderliche Tatverdacht dürfe auf die strittigen Daten gestützt werden. Ein Beweisverwertungsverbot bestehe selbst dann nicht, wenn bei der Datenbeschaffung nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt worden sein sollte. Auch wenn völkerrechtliche Übereinkommen umgangen worden sein sollten, sei dies unschädlich, weil sich aus der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrages, der keine persönlichen Rechte gewähre, kein Verwertungsverbot ergebe.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Rechte auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren,
ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und der Rechtsschutzgarantie sowie ihres verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie teilweise unzulässig ist und im Übrigen keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Soweit die Beschwerdeführer beanstanden, das Gericht hätte aufklären müssen, wie die Strafverfolgungsbehörden in den Besitz der Daten gelangt seien und welche Rolle der Bundesnachrichtendienst dabei gespielt habe, ist ihre Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Beschwerdeführer haben im fachgerichtlichen Verfahren weder ausdrücklich noch konkludent von den Strafverfolgungsbehörden verlangt, den Sachverhalt in Bezug auf die Beschaffung der Datenträger aufzuklären, sondern lediglich die Einsicht in die bei den Strafverfolgungsbehörden befindlichen Unterlagen begehrt. Damit haben sie den Fachgerichten die Möglichkeit genommen, dazu Stellung zu nehmen oder die entsprechenden Ermittlungen anzustellen, so daß sie mit dieser Rüge im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden können.
2. Im ürigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß die Fachgerichte den für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht auch auf die Erkenntnisse der Daten aus Liechtenstein gestützt haben.
Bei der Frage, ob die aus Liechtenstein stammenden Daten für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts für eine strafprozessuale Durchsuchung zugrunde gelegt werden dürfen, geht es nicht um die unmittelbare Geltung eines Beweisverwertungsverbotes, denn dieses betrifft grundsätzlich lediglich die unmittelbare Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln im Strafverfahren zur Feststellung der Schuldfrage. Ob und inwieweit Tatsachen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, zur Begründung eines Anfangsverdachts einer Durchsuchung herangezogen werden dürfen, betrifft vielmehr die Vorauswirkung von Verwertungsverboten und gehört in den größeren Zusammenhang der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten. Insoweit ist anerkannt, daß Verfahrensfehlern, die ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne weiteres Fernwirkung für das gesamte Strafverfahren zukommt.
Unabhängig davon besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz des Inhalts, daß im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnen Beweise stets unzulässig wäre. Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Beweisverwertungsverbot zählt, obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten und ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Dies gilt auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung. Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten. Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist.
Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit Amtsträger bei der Beschaffung der Daten nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt oder gegen völkerrechtliche Übereinkommen verstoßen haben. Denn die Gerichte haben für ihre Bewertung, ob die Daten einem für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht nicht zugrunde gelegt werden dürfen, solche Verstöße unterstellt. Soweit die angegriffenen Entscheidungen nach Abwägung der verschiedenen Interessen zu dem Ergebnis gelangen, daß die Daten aus Liechtenstein verwendet werden dürfen, um den Anfangsverdacht für die Durchsuchung zu begründen, ist dies nachvollziehbar und lässt eine verfassungsrechtlich relevante Fehlgewichtung nicht erkennen. Die Verwendung der Daten berührt nicht den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Diese betreffen lediglich geschäftliche Kontakte der Beschwerdeführer mit Kreditinstituten. Des weiteren sind Beweismittel, die von Privaten erlangt wurden, selbst wenn dies in strafbewehrter Weise erfolgte, grundsätzlich verwertbar, so dass allein von dem Informanten begangene Straftaten bei der Beurteilung eines möglichen Verwertungsverbotes von vornherein nicht berücksichtigt werden müssen.
Auch die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Gerichte, daß eine von den Beschwerdeführern gerügte Verletzung des Trennungsgebots ausscheide, ist nicht zu beanstanden. Dieses Gebot besagt, daß Geheimdienste keine polizeilichen Zwangsbefugnisse besitzen, also keine Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen durchführen und somit nicht zur gezielten Erlangung von Zufallsfunden für nichtnachrichtendienstliche Zwecke eingesetzt werden dürfen. Die Gerichte sind davon ausgegangen, daß der Bundesnachrichtendienst die Daten im Wege der Amtshilfe lediglich entgegengenommen und weitergeleitet, nicht aber ihre Herstellung, Beschaffung oder Erfassung veranlaßt habe, sondern sich der Informant von sich aus an den Bundesnachrichtendienst gewandt habe. Die entgegenstehende Behauptung der Beschwerdeführer, der Bundesnachrichtendienst sei nur eingeschaltet worden, um dessen besondere Möglichkeiten auszunutzen, ist durch nichts belegt. Schließlich ist nicht erkennbar, dass es sich bei den unterstellten Rechtsverletzungen um schwerwiegende, bewußte oder willkürliche Verfahrensverstöße handelt, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind.