Mit dem Urteil des Landgericht Gießen vom 15.10.2010 (1 S 210/10) besteht kein Recht der Mietminderung wegen Baulärms und Pumpgeräuschen während einer Baumaßnahme auf dem Nachbargrundstück, wenn bereits beim Einzug erkennbar war, daß das Nachbargrundstück bebaut werden könnte, was insbesondere angenommen werden müsse, wenn es sich um ein Grundstück im Stadtkern handele.

In dem zugrundeliegenden Verfahren verlangte die Klägerin von den Beklagten die Zahlung rückständiger Miete.

Die Parteien hatten am 21.10.1998 einen Mietvertrag über die im zweiten Obergeschoss des Hauses … in … gelegene Wohnung geschlossen. Die vereinbarte Kaltmiete betrug für den Zeitraum September 2008 bis Juni 2009 monatlich 869,20 €. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags befand sich das unmittelbar an das Grundstück … angrenzende Grundstück … in einem verwahrlosten Zustand. Die vorhandene Bebauung, die lediglich von Obdachlosen genutzt wurde, war abrißreif.

Nachdem die auf dem Grundstück … befindlichen Gebäude in den Jahren 2003 und 2004 abgerissen und eine Baugrube ausgehoben worden war, begannen im Jahr 2008 erneut Bauarbeiten zur Errichtung eines großen Wohn- und Gewerbekomplexes.

Mit Schreiben vom 17.08.2008 kündigten die Beklagten wegen einer baubedingten Lärm- und Schmutzbelastung die Minderung der Miete an.

Die Klägerin machte geltned, die Beklagten hätten vor der Anmietung der Wohnung den Zustand des Nachbargrundstücks erkennen können und unter Berücksichtigung der Lage des Grundstücks in der Innenstadt davon ausgehen müssen, daß dieses nicht unbebaut bleiben würde.

Sie brachten vor, daß zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses nicht abzusehen gewesen sei, daß das Grundstück … bebaut werden würde. Insbesondere sei nicht vorauszusehen gewesen, daß ein derart voluminöser Baukörper nebst Tiefgarage entstehen würde, dessen Bau den Einsatz von motorbetriebenen Wasserpumpen rund um die Uhr erforderlich machte.

Das Landgericht Gießen urteilte, eine Minderung der Miete gem. § 536 Abs. 1 S. 2 BGB sei nicht eingetreten. Die von den Beklagten vorgetragene Lärm- und Staubbelastung der Mietwohnung durch die Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück stelle keinen Mangel der Mietsache dar. Unter einem Mangel i. S. v. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB sei die für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Mietsache von dem vertraglich geschuldeten zu verstehen (BGH v. 21.09.2005, Az. XII ZR 66/03, Juris Rdnr. 19). Eine solche Abweichung läge während der Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück nicht vor. Vielmehr habe auch zu dieser Zeit die Mietsache der vertraglich bestimmten Sollbeschaffenheit entsprochen.

Bei der Bestimmung der Sollbeschaffenheit der Mietsache sei in erster Linie auf den vereinbarten Mietzweck, daneben aber auch auf alle für den Vertragsinhalt bedeutsamen Umstände, über die sich die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend geeinigt haben, abzustellen.

Sei keine ausdrückliche Regelung zum „Soll-Zustand“ getroffen, müsse anhand von Auslegungsregeln (§§ 133, 157, 242 BGB) geprüft werden, was der Vermieter schulde. Dabei sei auch die Verkehrsanschauung als Auslegungshilfe heranzuziehen (BGH v. 07.06.2006, Az. XII ZR 34/04, Juris Rdnr. 13). Hier hätten die Parteien bei Abschluß des Mietvertrags stillschweigend eine Beschaffenheitsvereinbarung geschlossen, die die Möglichkeit der Bebauung des Nachbargrundstücks in einer ortsüblichen Art und Weise und die damit verbunden Belastungen für den Mieter einschließe.

Nach einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung sei regelmäßig davon auszugehen, daß die Mietvertragsparteien das mit einer Bebauung eines Nachbargrundstücks einhergehende Risiko des Auftretens von baubedingten Gebrauchsbeeinträchtigungen des Mietobjekts bei Vertragsabschluß stillschweigend vorausgesetzt hätten, wenn für beide Vertragsparteien aufgrund des Zustands des Nachbargrundstücks erkennbar gewesen sei, daß es auf diesem Grundstück in Zukunft zu Bautätigkeiten kommen werde. In einem solchen Fall schulde der Vermieter dem Mieter nur die um das Risiko derartiger baulicher Maßnahmen verminderte Gebrauchsgewährung (OLG München v. 26.03.1993, Az. 21 U 6002/92, Juris Rdnr. 4; KG v. 03.06.2002, Az. 8 U 74/01, Juris Rdnr. 4; LG Berlin v. 28.08.2006, Az. 62 S 73/06, Juris Rdnr. 14; LG Berlin v. 17.03.2009, Az. 63 S 397/08, Juris Rdnr. 17; LG Bonn v. 25.03.1985, Az. 6 S 2/85, Juris Rdnr. 4; LG Leipzig v. 08.06.2005, Az. 3 O 4016/04, Juris Rdnr. 14 ff.; AG Pankow-Weißensee v. 21.04.2009, Az. 102 C 11/09, Juris Rdnr. 1; Emmerich in: Staudinger, BGB, Stand: 2006, § 536 Rdnr. 29; Börstinghaus, juris-PR-MietR 22/2009, Anm. 2; Klose, IBR 2004, 51; a. A.: Blank in: Blank/Börstinghaus, Miete, 3. Aufl., § 536 Rdnr. 14; Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Aufl., § 536 Rdnr. 122; Deppen/Heilmann, Prozesse in Mietsachen, § 3 Rdnr. 46; zweifelnd: Kraemer in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III. B Rdnr. 1344; differenzierend: Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., VIII Rdnr. 391, 393).

Die Kammer schließe sich dieser Ansicht an.

Soweit von der Gegenauffassung teilweise das Argument ins Feld geführt werde, auf die Erkennbarkeit zukünftiger Mängel könne es nicht ankommen, da nach § 536 b BGB dem Mieter lediglich die Kenntnis bereits vorhandener Mängel schade (Deppen/Heilmann, Prozesse in Mietsachen, § 3 Rdnr. 46), überzeuge dies nicht.

Gegenstand von Beschaffenheitsvereinbarungen könnten auch zukünftige Entwicklungen sein. Insoweit greifen Beschaffenheitsvereinbarungen weiter als der Gewährleistungsausschluß nach § 536 a BGB (Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., VIII Rdnr. 390). Freilich genüge die bloße Erkennbarkeit einer künftigen Entwicklung nicht, sofern eine Vertragspartei entweder die auf eine zu erwartende Bautätigkeit hinweisenden Umstände nicht wahrgenommen oder hieraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen habe (insoweit zutreffend Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Aufl., § 536 Rdnr. 122). Allerdings stelle der Umstand, daß die Bautätigkeit aufgrund bekannter Umstände objektiv zu erwarten gewesen sei, ein starkes Beweisanzeichen dafür dar, daß diese Entwicklung von den Vertragsparteien auch tatsächlich in Betracht gezogen worden sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn bei zutreffender Bewertung der bekannten Tatsachen zwingend auf ein hohes Baurisiko zu schließen sei. Insofern bestehe eine rechtliche Parallele zur Feststellung der inneren Tatbestandsvoraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO. Diesbezüglich sei höchstrichterlich anerkannt, daß die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hinweisen würden, der Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit gleichstehe, so daß es für eine Vorsatzanfechtung in subjektiver Hinsicht genüge, daß der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kenne, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die drohende Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folge (vgl. BGH v. 01.07.2010, Az. IX ZR 70/08, Juris Rdnr. 9).

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß den Beklagten die drohende Bautätigkeit auf dem Nachbargrundstück aufgrund der ihnen bekannten objektiven Tatsachen bekannt gewesen sein müsse. Die … in … gehöre zum unmittelbaren Stadtkern. Der Bereich zwischen der … und der … sei geprägt durch drei- bis vierstöckige, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzte Gebäude. Teilweise seien niedrigere Nebengebäude (Garagen etc.) vorhanden. Die Bebauung sei dicht. Größere Freiflächen zwischen den Gebäuden seien nicht vorhanden. Lediglich das Grundstück … sei im hinteren Teil mit niedrigeren Gebäuden, die offensichtlich abrißreif gewesen seien, bebaut gewesen. Der vordere Teil zur … hin sei frei von Bebauung gewesen.

Eine solche Baulücke bleibe im Stadtkern einer mittelgroßen Universitätsstadt nach der Lebenserfahrung nicht über viele Jahrzehnte, die ein unbefristetes Mietverhältnis andauern könne, bestehen. Vielmehr sei aufgrund der Gegebenheiten in der Tat „für jeden klar“ gewesen, daß das Grundstück in absehbarer Zeit bebaut werden würde, wie dies die Klägerin vortrage. Daß sich diese Erkenntnis den Beklagten als hochgebildete Akademiker verschlossen haben solle, erscheine unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Falles fernliegend (§ 286 ZPO).

Eine Mietminderung komme auch nicht deshalb in Betracht, weil die Beklagten mit dem konkreten Ausmaß der Bautätigkeit und der daraus resultierenden Gebrauchsbeeinträchtigung ihrer Wohnung nicht hätten rechnen müssen. Wie bereits ausgeführt, sei eine Bebauung im ortsüblichen Umfang zu erwarten gewesen. Da auch die angrenzenden Grundstücke mit mehrgeschossigen Gebäuden bebaut seien, sei vorauszusehen gewesen, daß das zu errichtende Gebäude ebenfalls aus mehreren Geschossen bestehen würde.

Angesichts der exponierten Lage des Grundstücks und des dadurch bedingten Quadratmeterpreises sei auch zu erwarten gewesen, daß der Bauherr das Grundstück für die Errichtung des neuen Gebäudes maximal ausnutzen würde. Mit einer Höhe von mindestens 4 Stockwerken, einer erheblichen Grundfläche und einer Tiefgarage sei daher zu rechnen gewesen.

Schließlich habe angesichts der Nähe des Grundstücks zum Fluß … die naheliegende Möglichkeit bestanden, daß bei Errichtung der Tiefgarage eindringendes Wasser permanent abgepumpt werden müsse. Nach der Lebenserfahrung sei bei derartigen Bauprojekten mit der Erforderlichkeit einer Wasserhaltung zu rechnen. Aber selbst dann, wenn die Geräuschbelastung durch den Pumpenbetrieb nicht vorauszusehen gewesen wäre, wovon die Kammer jedoch nicht ausgehe, rechtfertige dies keine Minderung der Miete. Nach § 536 Abs. 1 S. 3 BGB bleibe eine Minderung der Tauglichkeit dann außer Betracht, wenn sie unerheblich sei. Um eine solche unerhebliche Tauglichkeitsminderung handele es sich hier. Nach den Feststellungen des in erster Instanz beauftragten Sachverständigen … liege das auf dem Balkon der Mietwohnung wahrnehmbare Pumpengeräusch von zwei betriebenen Pumpen im Vollbetrieb bei 46 dB(A) + 3 dB(A) = 49 dB(A) und damit selbst des Nachts nur um 4 dB(A) über dem Richtwert von 45 dB(A). Tagsüber werde der Richtwert nicht überschritten. Vielmehr überlagere der Straßenlärm das Pumpengeräusch deutlich. Eine höhere Lärmbelastung durch die Pumpen hätten die Beklagten nicht nachweisen können.