Das Oberlandesgericht Hamm machte in seinem Beschluß vom 06.03.2012 (III-2 RVs 16/12) deutlich,daß an den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nicht zu strenge Anforderungen gestellt werden dürfen. Bleibe es zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt sei, seien die Voraussetzungen für die Verwerfung einer Berufung nicht gegeben.

Nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO könne die Berufung des Angeklagten nur verworfen werden, wenn dessen Ausbleiben nicht genügend entschuldigt sei, nicht hingegen, wenn sich der Angeklagte nur nicht genügend entschuldigt habe. Es sei allgemein anerkannt, daß eine Erkrankung des Angeklagten einen Entschuldigungsgrund i.S.d. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO darstelle

Dies gelte schon dann, wenn dem Angeklagten das Erscheinen vor Gericht wegen der Erkrankung unzumutbar sei. Denn der Begriff der genügenden Entschuldigung dürfe nicht eng ausgelegt werden. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO enthalte eine Ausnahme von der Regelung, daß ohne den Angeklagten nicht verhandelt werden dürfe, und berge die Gefahr eines sachlichen unrichtigen Urteils in sich. Deshalb sei bei der Prüfung der vorgebrachten oder vorliegenden Entschuldigungsgründe eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten angebracht. Ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, hat der Tatrichter aufgrund seiner Aufklärungspflicht von Amts wegen zu prüfen und ggf. im Wege des Freibeweises zu kläreb.

Diese Aufklärungspflicht hat die Vorinstanz verletzt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Hauptverhandlungstermin, der den Angeklagten vor dem Termin kurz im Gerichtsgebäude gesehen hatte, hatte die Strafkammer Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung, welchen sie im Wege des Freibeweises hätte nachgehen müssen. Würden Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vorliegen, so dürfe die Berufung nur verworfen werden, wenn sich das Gericht die Überzeugung verschafft habe, daß genügende Entschuldigungsgründe nicht vorliegen würden. Biebe zweifelhaft, ob der Angeklagte genügend entschuldigt sei, seien die Voraussetzungen einer Verwerfung der Berufung nicht gegeben. Allein aus den Angaben des Sachverständigen, der Angeklagte habe auf ihn nicht psychotisch gewirkt, habe sich die Strafkammer nicht die sichere Überzeugung verschaffen können, daß der Angeklagte nicht genügend entschuldigt sei. Aufgrund der bekannten längerfristigen psychiatrischen Erkrankung, welche immer wieder in Schüben auftrete und Krankenhausaufenthalte erforderlich mache, sowie der Tatsache, daß der Sachverständige auch ausgeführt habe, daß er gerade keine Angaben dazu machen könne, ob der Angeklagte verhandlungsfähig gewesen sei oder nicht sowie des Umstandes, daß der Angeklagte sich nach Verlassen des Gerichtsgebäudes in seinem Zimmer in der betreuten Wohneinrichtung eingeschlossen habe, habe es genügend Anhaltspunkte gegeben, daß zweifelhaft geblieben sei, ob der Angeklagte genügend entschuldigt sei. Diese Zweifel hätte die Kammer ohne zeitliche Verzögerungen im Freibeweisverfahren klären können, indem sie den Sachverständigen beauftragt hätte, den Angeklagten an seiner Wohnanschrift zu begutachten.