Das Oberlandesgericht Düsseldorf negierte in seinem Urteil vom 08.11.2011 (24 U 55/11) eine Verletzung der Pflichten aus dem mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsdienstvertrag gemäß §§ 611 ff., 675, 280 f. BGB.
In dem zugrundeliegenden Verfahren machte der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz geltend, nachdem die Beklagte ihn in den Jahren 2007 und 2008 im Zusammenhang mit der Scheidung von seiner Ehefrau anwaltlich beraten und vertreten hatte.
Die Ehe des Klägers war 1987 geschlossen worden. Aus der Ehe waren zwei gemeinsame Kinder hervorgegangen, der 1990 geborene Sohn B. und die 1994 geborene Tochter A.. Der Kläger war ferner Vater der 1997 außerehelich geborenen Tochter S., für die er Unterhalt zahlte. Frau H. war gelernte Zahntechnikerin und hatte bis zur Geburt des ersten Kindes 1990 vollzeitig in ihrem Beruf gearbeitet. Danach war sie bis zur Trennung der Eheleute im Januar 2007 Hausfrau. Seit August 2008 arbeitete sie zunächst teilschichtig, ab November 2008 vollschichtig als Verkäuferin, ab März 2010 als Kassiererin.
Die Beklagte vertrat den Kläger zunächst im Rahmen des Trennungs- und Kindesunterhaltsverfahrens vor dem Amtsgericht Neuss (Aktenzeichen: 48 F 43/07) und dem Oberlandesgericht Düsseldorf (Aktenzeichen: II-7 UF 70/08). Durch Teil-Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts Neuss vom 12. November 2007 wurde, beginnend mit November 2007, ein Unterhaltsanspruch für die beiden gemeinsamen Kinder in Höhe von monatlich jeweils 442,00 tituliert.
Die Beklagte hatte im Januar 2008 für den Kläger den Antrag auf Ehescheidung beim Amtsgericht Neuss gestellt und vertrat ihn auch in dem sich anschließenden Scheidungsverfahren vor dem Amtsgericht Neuss (Aktenzeichen 48 F 10/08), in dem die Ehefrau u.a. einen Anspruch auf Zahlung nachehelichen Unterhalts verfolgte. Der Kläger begehrte eine Begrenzung und Befristung des Ehegattenunterhalts ausgehend von einem aus seiner Sicht erzielbaren Nettoeinkommen als Zahntechnikerin in Höhe von 1.477, 53 . Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 8. Dezember 2008 unter Durchführung des Versorgungsausgleichs geschieden.
In dem Urteil wurde der Kläger unbefristet zur Zahlung eines nachehelichen Unterhalts an seine frühere Ehefrau in Höhe von monatlich 740,00 verurteilt.
Die Beklagte leitete das Urteil des Amtsgerichts Neuss im Dezember 2008 an den Kläger weiter. Am 18. Dezember 2008 fand eine gemeinsame Besprechung des Urteils in den Kanzleiräumen der Beklagten statt. Ein Berufungsverfahren gegen das Urteil führte der Kläger nicht durch.
Die geschiedenen Eheleute reduzierten den nachehelichen Unterhalt zum 1. Mai 2010 im Hinblick auf eine Einkommenserhöhung der Ehefrau einvernehmlich auf 575,00 .
Der Kläger behauptete, die Beklagte habe ihm ausdrücklich erklärt, eine Berufung wegen des nachehelichen Unterhalts habe keine Aussicht auf Erfolg. Er habe aufgrund dieser Einschätzung der Beklagten Berufung gegen das Urteil nicht eingelegt. Ein Berufungsverfahren wäre aber, so die Ansicht des Klägers, erfolgversprechend gewesen, weil hätte erwartet werden können, daß seine frühere Ehefrau in den alten Beruf zurückkehren würde, so daß ein ehebedingter Nachteil und damit der Unterhaltsanspruch insgesamt entfallen wäre.
Das Amtsgericht habe zudem zur Berechnung des ehebedingten Nachteils seiner geschiedenen Ehefrau ein zu hohes Einkommen von 1.690,00 netto als fiktiven heutigen Verdienst im erlernten Beruf der Zahntechnikerin angesetzt und hiervon zudem fehlerhaft nicht die Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen abgesetzt. Das Amtsgericht habe im Rahmen der Berechnung des zur Verteilung zwischen den früheren Ehegatten vorhandenen Einkommens zudem nur einen Unterhalt von 700,00 für die beiden gemeinsamen Kinder abgezogen. Stattdessen hätte der durch das Teil-Anerkenntnisurteil vom 12. Dezember 2007 titulierte und tatsächlich gezahlte Kindesunterhalt von insgesamt 884,00 abgezogen werden müssen.
Die verklagte Rechtsanwältin behauptete, sie habe den Kläger im Rahmen des Gesprächs in ihren Kanzleiräumen über die gegen das Urteil eröffneten Rechtsmittel informiert und ihm mitgeteilt, daß sie das Scheidungsurteil des Amtsgerichts Neuss hinsichtlich des Ausspruchs zum nachehelichen Unterhalt für angreifbar halte. Sie habe klargestellt, daß sie zunächst eine globale Prüfung der Berufungsaussichten vorgenommen habe. Eine Berufung könne zunächst fristwahrend eingelegt werden, so daß dann eine genauere Einzelprüfung erfolgen könne. Sie habe dabei insbesondere darauf abgestellt, daß das Amtsgericht dem Vortrag zur zeitlichen Befristung und Begrenzung des Anspruchs der Höhe nach keine hinreichende Bedeutung beigemessen habe. Sie habe den Kläger auch darauf hingewiesen, daß zur Frage der Unterhaltsbegrenzung und -befristung angesichts des geänderten Unterhaltsrechts noch keine ausreichende höchstrichterliche Rechtsprechung vorliege, so daß im Falle einer Berufung mit der Zulassung der Revision gerechnet werden müsse.
Ferner habe sie den Kläger auf den ihrer Ansicht nach fehlerhaften Abzug des Kindesunterhalts bzgl. der ehelichen Kinder aufmerksam gemacht. Sie behauptete weiter, der Kläger habe sich daraufhin das Prozeßkostenrisiko zweier weiterer Instanzen erläutern lassen und erklärt, dieses Risiko nicht eingehen wollen. Er habe jedoch die Absicht bekundet, das Urteil noch durch einen anderen Rechtsanwalt prüfen lassen zu wollen. Hierzu habe sie ihm ausdrücklich geraten.
Das Landgericht gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagte, an den Kläger 844,50 nebst Zinsen sowie ab dem 1. Februar 2010 monatlich 84,50 zu zahlen. Eine Beratungspflichtverletzung sei der Beklagten nur insoweit anzulasten, als sie übersehen habe, daß das Amtsgericht das fiktive Einkommen der Ehefrau nicht um die fünfprozentige Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen gekürzt habe. Den hieraus resultierenden Schaden habe sie dem Kläger zu ersetzen. Im übrigen sei die Beklagte ihren anwaltlichen Pflichten nachgekommen.
Gegen dieses Urteil wandten sich beide Parteien.
Das Oberlandesgericht befand, daß dem Kläger kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus anwaltlicher Pflichtverletzung zustehe.
Grundsätzlich sei der Rechtsanwalt aufgrund des Anwaltsvertrages in den Grenzen des ihm erteilten Mandats verpflichtet, die Interessen seines Mandanten nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen und Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, zu vermeiden. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gebe, daß er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedürfe, sei der Rechtsanwalt zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet.
In den Grenzen des Mandats habe er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet seien, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar seien. Dazu habe er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage sei. Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richte sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falles (BGH WM 1996, 1824; 2008, 1560). Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung sei es, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund-) Entscheidungen („Weichenstellungen“) in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen.
Die Verpflichtung des mit der Prozeßführung erster Instanz beauftragten Rechtsanwalts, den Mandanten nach einem Instanzverlust über die Aussichten eines Rechtsmittels zu belehren, bestehe danach zunächst hinsichtlich der formellen Voraussetzungen des Rechtsmittels. In materieller Hinsicht sei eine Belehrungspflicht bei ohne weiteres erkennbarer Divergenz zur höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 1553; BGHZ 85, 252, 259 ff; BGH, WM 2002, 513, 515) sowie in den Fällen anerkannt, in denen der Fehler des Urteils (auch) darauf beruhe, daß der Rechtsanwalt nicht sachgerecht gearbeitet, er das unrichtige Urteil also mitverschuldet habe (BGH, WM 2002, 513, 515; vgl. auch BVerfG, NJW 2002, 2937, 2938). Unter solchen Umständen erfordere es die vorausgegangene Pflichtwidrigkeit, den Mandanten konkret auf die Umstände hinzuweisen, die ein Rechtsmittel aussichtsreich erscheinen ließen.
Dagegen gehöre es ohne gesonderten Auftrag nicht zu den Aufgaben eines erstinstanzlich tätigen Rechtsanwalts, die materiellen Gründe des ggf. anzufechtenden Urteils einer eingehenden Prüfung auf ihre Richtigkeit zu unterziehen, erfolgversprechende Angriffspunkte herauszuarbeiten und sie auf ihre Revisibilität hin zu untersuchen (BGH, NJW-RR 2007, 1553; WM 2003, 1146, 1148; NJW 2003, 2986, 2987).
Zu den formellen Voraussetzungen eines möglichen Berufungsverfahrens habe die nur mit der Prozessführung erster Instanz beauftragte Beklagte den Kläger unstreitig zutreffend beraten.
Eine besondere Pflicht, den Kläger auf materielle Fehler des erstinstanzlichen Urteils hinzuweisen, habe die Beklagte nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen nicht gehabt. Denn mögliche Angriffspunkte gegen die Unterhaltsberechnung hätten nicht auf pflichtwidriger Prozessführung oder Beratung der Beklagten beruht; auch habe die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts nicht in offenkundiger Divergenz zu obergerichtlicher Rechtsprechung gestanden. Die Beklagte habe danach ihre Beratung darauf beschränken dürfen, mögliche Angriffspunkte darzustellen, die sich bei erster Durchsicht des Urteils ergaben hätten, und die Punkte zu erörtern, die für die Unterhaltsbemessung erkennbar von zentraler Bedeutung gewesen seien. Hierbei habe es sich insbesondere um die Frage einer möglichen Befristung des Unterhaltsanspruchs gehandelt. Dagegen sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts im einzelnen nachzuvollziehen und detailliert auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
Ihrer danach bestehenden begrenzten Beratungspflicht sei die Beklagte nachgekommen.
Der Kläger könne in diesem Zusammenhang nicht mit seinem Vorbringen durchzdringen, die Beklagte habe einzelne Punkte mit ihm besprochen und daher den Eindruck einer vollständigen rechtlichen Überprüfung des Urteils erweckt. Denn unstreitig habe die Beklagte mit dem Kläger nur die wesentlichen für die Unterhaltsberechnung maßgeblichen Punkte erörtert und ihn ansonsten darauf verwiesen, daß eine eingehende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung eine gesonderte Beauftragung mit der entsprechenden Gebührenfolge voraussetze würde.
Der Beklagten sei im Zusammenhang mit der Tatsache, daß das Amtsgericht den für die beiden ehelichen Kinder des Klägers durch Teilanerkenntnisurteil titulierten Kindesunterhalt (monatlich je 442 ) nicht in voller Höhe in die Unterhaltsberechnung eingestellt hatte, keine Beratungspflichtverletzung vorzuwerfen.
Wie in der Anhörung der Parteien vor dem Landgericht unstreitig wurde, hatte die Beklagte die Abweichung zwischen dem titulierten und dem bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts berücksichtigten Kindesunterhalt anläßlich der Besprechung des Urteils mit dem Kläger thematisiert. Dazu, welche Auskunft sie im Hinblick darauf gegeben hatte, daß das Amtsgericht nur 700 als tatsächlich geschuldeten Kindesunterhalt bei der Berechnung des nachehelichen Unterhalts berücksichtigt hatte, sei die Darstellung der Parteien allerdings nicht einheitlich.
Darlegungs- und beweispflichtig für eine anwaltliche Pflichtverletzung sei im Regressprozeß der Anspruchsteller, dies grundsätzlich auch dann, wenn es sich um negative Tatsachen handele. Das Bestreiten des Beraters sei aber nur erheblich, wenn er konkret darlege, wie die Beratung ausgesehen habe, die er erbracht haben wolle. Ein Rechtsanwalt dürfe sich nicht damit begnügen zu behaupten, er habe den Mandanten ausreichend unterrichtet. Vielmehr müsse er den Gang der Besprechung im einzelnen schildern, insbesondere konkrete Angaben dazu machen, welche Belehrungen und Ratschläge er erteilt und wie der Mandant darauf reagiert habe.
Die Beklagte habe den Kläger nach ihren Angaben dahin beraten, daß wegen des Ansatzes zum Kindesunterhalt eine Berufung möglich sei; es sei erörtert worden, ob sich ein Rechtsmittel im Hinblick auf den zu erzielenden Unterschiedsbetrag lohne. Zudem könne zum Kindesunterhalt ein Abänderungsverfahren geführt werden. Damit habe sie ihrer sekundären Darlegungslast genügt. Entgegen der Auffassung des Klägers könne nicht unterstellt werden, daß er dahin beraten worden sei, ein niedrigerer Ansatz zum Kindesunterhalt bei der Unterhaltsberechnung sei nur im Wege der Abänderungsklage zum Kindesunterhalt zu erreichen.
Die von der Beklagten erteilte Beratung sei zutreffend und genügend gewesen. Eine weitergehende Beratung habe sie im Hinblick auf den Ansatz zum Kindesunterhalt nicht geschuldet.
Dem Kläger sei schließlich durch die von dem Amtsgericht gewählte Berechnungsweise zur Berücksichtigung des Kindesunterhalts im Ergebnis kein Nachteil entstanden.
Hänge im Regreßprozeß die Frage, ob eine für einen Schaden kausale Pflichtverletzung des Rechtsanwalts vorliege, vom hypothetischen Ergebnis des Ausgangsverfahrens ab, müsse das Regreßgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre. Dabei sei der Sachverhalt zugrundezulegen, der auch dem Ausgangsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden wäre. Die Darlegungs- und Beweislast im Regreßprozeß richte sich grundsätzlich nach der Darlegungs- und Beweislast im Ausgangsverfahren (vgl. BGHZ 163, 223 = NJW 2005, 3071, 3072; BGHZ 133, 110, 111 f. = NJW 1996, 2501, 2502; Senat, FamRZ 2010, 392).
Die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts enthalte verschiedene Unrichtigkeiten, die sich zu Gunsten des Klägers ausgewirkt hätten. Unter Berücksichtigung der ohnehin erfolgten Deckelung des Unterhalts auf 740 hätte daher auch eine Neuberechnung des Unterhalts, wie sie in der Berufungsinstanz vorgenommen worden wäre, keinen geringeren nachehelichen Unterhalt ergeben.
Im übrigen sei das Urteil des Amtsgerichts auch zu der Billigkeitsabwägung betreffend eine Begrenzung und Befristung insgesamt nicht zu beanstanden.
Der Beklagten sei auch keine Pflichtverletzung anzulasten, weil sie den Kläger nicht darauf hingewiesen habe, daß das Amtsgericht das fiktive Einkommen der Ehefrau ohne Abzug der Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen in die Berechnung eingestellt habe.
Im Rahmen der von der Beklagten allein geschuldeten Überprüfung der Eckpunkte der Unterhaltsberechnung habe ihr der fehlende Abzug der Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen nicht auffallen müssen. Es habe sich hierbei um einen bloßen Rechnungsposten ohne erhebliche Bedeutung gehandelt.
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