Der Bundesgerichtshof war bislang – die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Urteil vom 29. März 1909 – III 877/08, RGSt 42, 278, 282; aA indes RG, Urteil vom 22. Dezember 1938 – 2 D 581/38, RGSt 73, 68, 70) fortführend – in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß der Geschäftsführer einer GmbH sich wegen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB nur strafbar machen könne, wenn er die Tathandlung für die GmbH und (zumindest auch) in deren Interesse vorgenommen habe (vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. Mai 1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128; vom 5. Oktober 1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314, 316 f.; vom 6. November 1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223; Beschluss vom 14. Dezember 1999 – 5 StR 520/99, NStZ 2000, 206, 207, jeweils mwN; s. auch LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 79 ff.; Arloth, NStZ 1990, 570 ff.).

Dieser als „Interessentheorie“ bezeichneten Ansicht lag die Auffassung zugrunde, daß das Gesellschaftsorgan nicht in dieser Eigenschaft handele, wenn ein Bezug zum – durch den Interessenkreis bestimmten – Geschäftsbetrieb fehle (RG, Urteil vom 29. März 1909 – III 877/08, RGSt 42, 278, 282). Daher hatte die bisherige Rechtsprechung eine Strafbarkeit wegen Bankrotts abgelehnt, wenn der Vertreter ausschließlich im eigenen Interesse handelte.

Mit Beschluß vom 15.05.2012 3 StR 118/11 hält der Bundesgerichtshof an der Interessentheorie nicht weiter fest, da sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch nach dem Gesetzeszweck eine solche auf das Interesse des Vertretenen abstellende Einschränkung ergebe und sie berechtigte Kritik erfahren habe.

Der Gesetzeswortlaut stelle für die Zurechnung nicht auf das Interesse des Vertretenen ab: Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB komme die Strafbarkeit des Geschäftsführers einer GmbH bei Bankrotttaten in Betracht, wenn er „als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person“ gehandelt habe. Dies setze neben der Organstellung als solcher voraus, daß der Vertretungsberechtigte in seiner Eigenschaft als Organ gehandelt habe (vgl. BT-Drucks. 5/1319 S. 63; BT-Drucks. 14/8998 S. 8: “ ‚in Ausübung‘ seiner Funktion“). Eine nähere Konkretisierung, wann ein Vertretungsberechtigter gerade in dieser Eigenschaft handele, enthalte der Gesetzeswortlaut nicht.

Der vom Gesetzgeber mit der Regelung des § 14 StGB verfolgte Zweck bestehe – ebenso wie bei dem zuvor geltenden § 50a StGB – darin, den Anwendungsbereich von Straftatbeständen allgemein auf Personen zu erweitern, die in einem bestimmten Vertretungs- oder Auftragsverhältnis für den Normadressaten handeln würden, und die kriminalpolitisch nicht erträgliche Lücke zu schließen, die sich daraus ergebe, daß der Normadressat mangels Handlung und der Handelnde deshalb nicht zur Verantwortung gezogen werden könne, weil er nicht Normadressat sei (BT-Drucks. 5/1319 S. 62).

Dieser Regelungszweck spreche nicht für eine einschränkende Normauslegung.

Mit der dargelegten Intention des § 14 StGB lasse sich insbesondere nicht vereinbaren, daß die Interessentheorie im Ergebnis bei einer Vielzahl von Taten einer Strafbarkeit nach § 283 StGB entgegenstehe, weil der Vermögensträger als juristische Person und die handelnde natürliche Person auseinanderfallen würden.

So lasse die Interessentheorie für die Insolvenzdelikte nur einen geringen Anwendungsbereich, wenn Schuldner im Sinne des § 283 StGB eine Handelsgesellschaft sei; denn die in § 283 StGB aufgezählten Bankrotthandlungen widersprächen ganz überwiegend dem wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft.

Damit laufe bei Anwendung der Interessentheorie der vom Gesetzgeber intendierte Gläubigerschutz in der wirtschaftlichen Krise insbesondere von Kapitalgesellschaften bei Anwendung der Interessentheorie weitgehend leer (vgl. Winkler, jurisPR-StrafR 16/2009 Anm. 1). Besonders augenfällig werde dies in Fällen der Ein-Mann-GmbH, in denen der Gesellschafter/Geschäftsführer der Gesellschaft angesichts der drohenden Insolvenz zur Benachteiligung der Gläubiger Vermögen entziehe und auf seine privaten Konten umleite, nach wirtschaftlicher Betrachtung also aus eigennützigen Motiven handele. Nach der Interessentheorie sei er nicht des Bankrotts schuldig, obwohl er die Insolvenz gezielt herbeigeführt habe (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 f.; kri-tisch dazu LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 80, 85).

Während Einzelkaufleute in vergleichbaren Fällen regelmäßig wegen Bankrotts strafbar seien, entstünden so Strafbarkeitslücken für Vertreter oder Organe von Kapitalgesellschaften. Dies lasse sich nicht mit der Intention des Gesetzgebers vereinbaren, durch die Regelung des § 14 StGB Strafbarkeitslücken zu schließen. Zudem werde angesichts der besonderen Insolvenzanfälligkeit von in der Rechtsform der GmbH betriebenen Unternehmen der Schutzzweck der Insolvenzdelikte konterkariert (vgl. BGH, Beschluß vom 1. September 2009 – 1 StR 301/09, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Geschäftsführer 4; SK-StGB/Hoyer, § 283 Rn. 103

[Stand: März 2002]; MünchKommStGB/Radtke, 1. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 55). Das gelte insbesondere, wenn man die Interessenformel konsequent auch auf die Bankrotthandlungen anwende, die die Verletzung von Buchführungs- oder Bilanzierungspflichten sanktionieren würden (§ 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB): Entfalle wegen des fehlenden Interesses der Gesellschaft die Bankrottstrafbarkeit, scheitere eine Verurteilung wegen Untreue regelmäßig am nicht festzustellenden oder nicht nachzuweisenden Vermögensschaden der Gesellschaft (vgl. Arloth, NStZ 1990, 570, 572; LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 84).

Über die nicht gerechtfertigte Privilegierung von GmbH-Geschäftsführern gegenüber Einzelkaufleuten hinaus werde der Zweck der § 283 Abs. 1 Nr. 5-8, § 283b StGB unterlaufen, der Verstöße gegen Buchführungs- und Bilanzierungsvorschriften wegen der besonderen Gefahr von Fehleinschätzungen mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen als eigenständiges Unrecht erfassen wolle (vgl. Arloth, NStZ 1990, 570, 572). Angesichts der dort genannten objektiven Anforderungen wäre kaum verständlich, daß daneben noch auf ein – zudem oft schwerlich zu ermittelndes – subjektives Interesse abzustellen sein soll (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2011 – 5 StR 122/11, StV 2012, 216; S/S-Perron, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 26 mwN). Es bestehe auch kein Anlaß, bei der Auslegung des § 14 StGB im Hinblick auf § 283 Abs. 1 Nr. 5-7, § 283b StGB andere Anforderungen zu stellen als etwa im Rahmen des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, da § 14 StGB eine der Rechtsvereinheitlichung dienende allgemeine Vorschrift darstelle (BT-Drucks. 5/1319 S. 62).

Überdies erscheine es problematisch, bei Fahrlässigkeits- und Unterlassungstaten die Zurechnung davon abhängig zu machen, in wessen Interesse der Vertreter gehandelt habe oder untätig geblieben sei (vgl. S/S-Perron, StGB, 28. Aufl., § 14 Rn. 26).

Ähnliches gelte bei nicht eigennützigem Verhalten, etwa bei der Zerstörung von Vermögensbestandteilen (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 Var. 3 StGB), da ein solches bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise (vgl. BGH, Urteil vom 20. Mai 1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127, 128 mwN) weder im Interesse des Vertreters noch des Vertretenen liege (vgl. Brand, NStZ 2010, 9, 11).

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei die Interessentheorie bei Vertretern von Personengesellschaften für die praktisch relevanten Fälle, daß die Gesellschafter der Bankrotthandlung zustimmen würden (vgl. dazu Labsch, wistra 1985, 1, 7), zudem nicht durchgehalten worden; ein Handeln, das aus wirtschaftlicher Sicht im vollständigen Widerstreit zu den Interessen der vertretenen Gesellschaft stehe, solle etwa bei der Kommanditgesellschaft gleichwohl von dem durch das Einverständnis erweiterten Auftrag des Schuldners – also der Gesellschaft – gedeckt sein, wenn der Komplementär zustimme (BGH, Urteil vom 6. November 1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 223 f. = BGH StV 1988, 14, 15 m. Anm. Weber). Die Einschränkung der Interessentheorie sei insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes geboten (BGH, Urteil vom 6. November 1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221, 224).

Diese Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof in der Folge auch auf Fälle der GmbH & Co. KG erstreckt, in denen der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH die Bankrotthandlungen mit Zustimmung der Gesellschafter dieser Kapitalgesellschaft und damit der Komplementärin vorgenommen hatte (BGH, Urteil vom 12. Mai 1989 – 3 StR 55/89, wistra 1989, 264, 267; aA BGH, Urteil vom 29. November 1983 – 5 StR 616/83, wistra 1984, 71; BGH, Urteil vom 17. März 1987 – 5 StR 272/86, JR 1988, 254, 255 f. m. abl. Anm. Gössel; offen gelassen von BGH, Urteil vom 3. Mai 1991 – 2 StR 613/90, NJW 1992, 250, 252). Der Gläubigerschutz habe aber bei den in der Rechtsform der GmbH betriebenen Gesellschaften kein geringeres Gewicht als bei Personengesellschaften oder insbesondere der Mischform der GmbH & Co. KG, so daß mit dieser Argumentation nicht nachvollziehbar erscheine, warum die Zustimmung der Gesellschafter einer Komplementär-GmbH den Auftrag des Geschäftsführers erweitern könne, das Einverständnis der Gesellschafter bei einer reinen Kapitalgesellschaft für die Frage, ob der Geschäftsführer als Organ oder im Auftrag der Gesellschaft handele, hingegen bedeutungslos sein soll.

Auch in Bezug auf die Buchführungs- und Bilanzdelikte habe der Bundesgerichtshof nicht einheitlich an der Interessentheorie festgehalten, sondern diese – teils ausdrücklich, teils stillschweigend – in Frage gestellt.