Mit dem Beschluß des Oberlandesgericht Hamm vom12.03.2012 (II-4 UF 232/11) steht die Aufnahme eines Studiums (erst) 5 Jahre nach dem Abitur der Verpflichtung zum Ausbildungsunterhalt nicht zwingend entgegen. In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte die 26jährige Antragstellerin vom Antragsgegner – ihrem Vater – Ausbildungsunterhalt für den Zeitraum ab März 2011 verlangt.

Die Antragstellerin war die am 12.02.1986 geborene eheliche Tochter des Antragsgegners und der Kindesmutter. Die Ehe der Eltern wurde 1990 geschieden. Die Antragstellerin lebte nach der Scheidung im Haushalt der Kindesmutter. Inzwischen wohnte sie in eigenem Haushalt mit ihrem Lebensgefährten.

Die Kindesmutter war Beamtin bei der U und befand sich seit Ende 1998 im (Vor-)Ruhestand. Sie war wieder verheiratet und hatte aus der neuen Ehe einen am 13.05.1996 geborenen Sohn.

Der in Vollzeit erwerbstätige Antragsgegner hatte eine weitere, am 05.09.1994 geborene, nichteheliche Tochter, der er Unterhalt zahlte. Er war erneut verheiratet und lebte mit seiner erwerbstätigen Ehefrau in einer eigenen Immobilie.

Die Antragstellerin bestand im Juni 2005 ihr Abitur mit einem Notendurchschnitt von 2,6. Mit Schreiben vom 21.07.2005 informierte sie den Antragsgegner über ihre Absicht, ein Studium der Zahnmedizin aufzunehmen und auch darüber, daß sie für den Fall der Versagung eines Studienplatzes durch die ZVS vorab am 01.10.2005 eine studienvorbereitende Ausbildung antreten werde. Tatsächlich erhielt die Antragstellerin trotz jährlicher Bewerbungen bei der ZVS erst zum Wintersemester 2010/11 einen Zahnmedizin-Studienplatz.

In der Zwischenzeit absolvierte die Antragstellerin bis zum 13.07.2007 wie angekündigt eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Angestellten und arbeitete danach bis zur Zulassung zum Studium in diesem Beruf; mit verringerter Stundenzahl war sie auch neben dem Studium im erlernten Beruf tätig. Während der Zeit bis zum Beginn des Studiums hatte sie vom Antragsgegner keinen Unterhalt verlangt oder bekommen.

Erst mit Schreiben vom 6.03.2011 hatte sich die Antragstellerin an den Antragsgegner gewandt und ihn gebeten, sich mit 170 €/mtl. an ihrem Unterhalt zu beteiligen.

Weil der Antragsgegner keine Zahlungen leistete, hatte die Antragstellerin das vorliegende Verfahren eingeleitet, ihren Unterhalt – nach Anrechnung ihres neben dem Studium erzielten Eigeneinkommens – nach Quoten berechnet und den Anteil des Antragsgegners mit 230 €/Monat beziffert.

Der Antragsgegner ist dem Anspruch entgegengetreten und hat geltend gemacht:

Die Antragstellerin gehe auf seiner Seite von zu hohen Einkünften aus und vernachlässige ihn treffende finanzielle Belastungen. Außerdem habe er nach über 5 Jahren fehlender Information durch die Antragstellerin nicht mehr damit gerechnet oder rechnen müssen, dass sie ihn noch einmal auf Unterhalt in Anspruch nehmen werde.

Im übrigen habe die Antragstellerin einen Beruf erlernt und darin auch drei Jahre gegen Entgelt gearbeitet; sie könne und müsse ihren Lebensbedarf jetzt selber decken. Jedenfalls hätte sie während ihrer Berufstätigkeit im Hinblick auf den fortbestehenden Studienwunsch Rücklagen für die Studienzeit bilden müssen, die sie hätte für den Lebensbedarf verwenden können und müssen.

Das Amtsgericht – Familiengericht – Siegen hatte dem Antrag der Antragstellerin in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hatte es ausgeführt: Der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt sei dem Grunde nach gegeben. Daß die Antragstellerin vor Beginn ihres Studiums eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten absolviert habe, stehe dem nicht entgegen; die Ausbildung stehe in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Studium.

Auch der Höhe nach stehe der Antragstellerin der geltend gemachte Unterhaltsanspruch zu. Das Eigeneinkommen der Antragstellerin sei als überobligatorisch anzusehen und reduziere ihren Bedarf deshalb nicht.

Im Verhältnis zur Kindesmutter schulde der Antragsgegner 79,9% des Gesamtbedarfs der Antragstellerin von 670 €. Leistungsfähig sei er iHv. 398 €/Monat, was deutlich mehr sei, als die Antragstellerin verlange.

Gegen den Beschluß wandte sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholte und vertiefte.

Ergänzend führte er aus : Die Antragstellerin habe ihre Bedürftigkeit nicht belegt. Ihre Nebeneinkünfte seien nicht überobligatorisch. Die Quote der Kindesmutter liege höher, als vom Amtsgericht angesetzt, denn sie müsse aus einer Nebentätigkeit Einkommen erzielen. Außerdem werde die Kindesmutter von ihrem jetzigen Ehemann unterhalten und könne ihr Einkommen voll für den Barunterhalt der Antragstellerin einsetzen. Zudem sei sie auch Eigentümerin von Immobilien.

Die Antragstellerin verteidigte die erstinstanzliche Entscheidung mit näheren Ausführungen.

Das Oberlandesgericht befand, daß der Antragstellerin dem Grunde nach aus §§ 1601 ff., 1610 Abs. 2 BGB nach wie vor ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt gegen den Antragsgegner zustehe.

Allerdings umfasst der gemäß § 1610 Abs. 2 BGB geschuldete Unterhalt eines Kindes in der Regel nur die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Wenn das Kind bereits einen Beruf erlernt habe und insbesondere, wenn die Eltern ihrem Kind diese finanziert hätten, seien sie grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, die Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen (vgl. zB. BGH in FamRZ 2006,1100). Ausnahmsweise gelte die Unterhaltspflicht der Eltern aber fort, wenn eine weitere Ausbildung sich als in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg darstelle und von vorneherein angestrebt gewesen sei. Diese Konstellation liege in der Regel vor, wenn das Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg eine praktische Ausbildung absolviert habe und danach ein schon früher angestrebtes Studium anschließe (sogenannte Abitur-Lehre-Studium-Fälle; BGH a.a.O).

Im Streitfall habe die Antragstellerin nach Erlangung der allgemeinen Hochschulreife im Jahr 2005 ein Studium der Zahnmedizin aufnehmen wollen. Das habe sie dem Antragsgegner im Schreiben vom 21.07.2005 ausdrücklich mitgeteilt. Daß sich die vorangestellte Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten angesichts der mit ihr einhergehenden Praxis- und Patientenerfahrung im Bereich der Zahnheilkunde zumindest als sinnvolle Ergänzung des intendierten Studiums darstelle und zu diesem sachlichen Bezug aufweise, liege auf der Hand ; es sei auch von dem Direktor der Zahnklinik bestätigt worden.

Der vom Bundesgerichtshof geforderte zeitliche Zusammenhang zwischen der Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten und dem Zahnmedizinstudium sei im Streitfall ebenfalls gegeben. Das liege allerdings nicht von vorneherein auf der Hand, weil die Antragstellerin eben nicht unmittelbar nach dem erfolgreichen Abschluß ihrer Ausbildung am 13.07.2007 das Studium angetreten habe, sondern erst knapp drei Jahre später. Diese durchaus beachtliche „Zeitlücke“ sei allerdings nicht von der Antragstellerin zu vertreten und ihr unterhaltsrechtlich nicht vorzuwerfen. Die Verzögerung beruhe allein darauf, daß die Antragstellerin trotz regelmäßiger Bewerbung von der ZVS keinen Studienplatz zugewiesen erhalten habe.

Sie habe nach Aktenlage alles ihr Zumutbare getan, um zeitnah studieren zu können. Sie habe nachgewiesen, sich durchgängig und ortsoffen bei der ZVS beworben zu haben. Darüber hinaus habe sie nachweislich – erfolglos – versucht, im angrenzenden Ausland einen Studienplatz zu erhalten. Sie habe die Zeit zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Studienbeginn nicht tatenlos verstreichen lassen, sondern im erlernten Beruf gearbeitet und damit das in der Ausbildung Erarbeitete weiter ausgebaut. Gerade auch die durchgehende Beschäftigung der Antragstellerin in dem studienvorbereitenden Beruf der zahnmedizinischen Fachangestellten schlage nach Auffassung des Senats eine Brücke zwischen Lehre und Studium und führe dazu, daß der zeitliche Zusammenhang im Streitfall (noch) zu bejahen sei.

Der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin besteht auch in der geltend gemachten Höhe.

Im Unterhaltszeitraum lebt(e) die Antragstellerin durchgängig in einer eigenen Wohnung. Ihr steht daher der feste Bedarfssatz nach Ziffern 13.1.2 der Hammer Leitlinien zu, der seit 2011 durchgehend 670 €/Monat beträgt.

Auf den Bedarf sei grundsätzlich das Einkommen des unterhaltsberechtigten Kindes anzurechnen, weil es seine Bedürftigkeit mindere.

Die Antragstellerin arbeite neben dem Studium in einer Zahnarztpraxis. Sie verdiene – ausgehend von den eingereichten Belegen aus dem Jahr 2011 – monatsdurchschnittlich aufgerundet 392 € brutto, die nicht zu versteuern seien. Dieses grundsätzlich auf den Bedarf anrechenbare Einkommen reduziere sich nicht um berufsbedingte Aufwendungen, da diese nicht konkret dargelegt seien (HLL Ziffer 10.2.1) und auch nicht um einen Erwerbstätigenbonus.

Allerdings beschränkte der Senat das anrechenbare Nebeneinkommen der Antragstellerin auf 2/3 des Monatsverdienstes. Denn eine allgemeine Verpflichtung des Studenten, durch eigene Erwerbstätigkeit zu seinem Unterhalt beizutragen, bestehe nicht. Deshalb seien gleichwohl erzielte Einnahmen in der Regel überobligatorisch und nur unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten mit dem Prüfungsmaßstab des § 1577 Abs. 2 BGB anzurechnen (BGH in FamRZ 1995,475). Weil im Streitfall die Besonderheit vorliege, daß die Antragstellerin schon seit 2007 der jetzigen Erwerbstätigkeit im erlernten Beruf nachgehe und bei ihrem jetzigen Arbeitgeber vor Studienbeginn bereits beschäftigt gewesen sei, sei es ihr zuzumuten, diese Tätigkeit auch während des Studiums mit reduzierter Stundenzahl weiterzuführen und so ihren Bedarf teilweise zu reduzieren. Der besonderen Belastung, die eine Erwerbstätigkeit neben dem (Vollzeit-)Studium gleichwohl mit sich bringe, werde angemessen Rechnung getragen, wenn der Antragstellerin 1/3 des erzielten Verdienstes anrechnungsfrei verbleibe.

Über weiteres Einkommen verfüge die Antragstellerin nicht. Kindergeld erhalte sie aus Altersgründen nicht (mehr). Ein Anspruch auf Leistungen nach dem BaföG stehe ihr nicht zu, so daß sie entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch keinen Antrag auf Bewilligung hätte stellen müssen. Die Voraussetzungen für eine elternunabhängige Förderung (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BaföG – dreijährige Ausbildung und drei Jahre Berufstätigkeit bzw bei kürzerer Ausbildung entsprechend längere Berufstätigkeit) lägen nicht vor. Ein Anspruch auf elternabhängiges BaföG scheitere am Einkommen der Eltern.

Der ungedeckte Bedarf der Antragstellerin belaufe sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen nach Abzug von 1/3 ihres Nebenverdienstes auf (670 € abzgl. 261 € =) 409 €.

(…)

Vom ungedeckten Bedarf der Antragstellerin in Höhe von rund 409 € habe der Antragsgegner rechnerisch einen Unterhaltsanteil von rund 267 €/Monat (2011) bzw 268 €/Monat (2012) zu tragen, der den vom Amtsgericht titulierten Betrag von 230 €/Monat übersteige.