Erscheine es, daß der Vorsitzende eine schnelle Prozeßerledigung ohne Beachtung der Rechte der Verfahrensbeteiligten einer sachgemäßen Aufklärung de Anklagevorwürfe vorziehe, begründet dies mit dem Urteil des  Bundesgerichtshof Urteil vom 29.03.2012 (3 StR 455/11).

Dem Befangenheitsantrag lag im wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde:

Am 7. Juni 2011, dem ersten Tag der auf vier Tage anberaumten Hauptverhandlung, kam es während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung zu einem Gespräch über die Möglichkeit einer einvernehmlichen Verfahrenserledigung. Die Vorstellungen der Verfahrensbeteiligten stimmten hinsichtlich der drei Nichtrevidenten, nicht aber hinsichtlich des Angeklagten überein. Nach den vollgeständigen Einlassungen der Nichtrevidenten verlas der Verteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung. Zudem beantwortete der Angeklagte Fragen des Gerichts. Sein Verteidiger erklärte danach, der Angeklagte wolle keine weiteren Fragen beantworten. Während einer anschließenden Unterbrechung regte der Vorsitzende gegenüber dem Verteidiger des Angeklagten und dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft an, bereits am folgenden Tag den die Ermittlung führenden Kriminalbeamten KOK Ho. als Zeugen zu hören und dann die Hauptverhandlung zu beenden. Der Staatsanwalt erklärte, es sei ihm voraussichtlich nicht möglich, bis dahin seiner Meinung nach wichtige Unterlagen vom Angeklagten zu erlangen und zu bewerten. Zudem sei er mit der Beschränkung der Zeugen auf KOK Ho. nicht einverstanden, zumal dieser – anders als etwa der Zeuge H. – kein unmittelbarer Tatzeuge sei. Ferner habe er Bedenken gegen das Vorhaben des Vorsitzenden, die Beweisaufnahme dadurch abzukürzen, daß das gegen den Mittäter B. ergangene Urteil verlesen werde und die Angeklagten sich dazu äußern.

Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung kündigte der Verteidiger an, sein Mandant werde in begrenztem Umfang Fragen des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft beantworten und versuchen, eine von diesem gewünschte Steuererklärung beizubringen. Der Vorsitzende teilte mit, daß die Kammer beabsichtige, sämtliche Zeugen mit Ausnahme des KOK Ho. sowie – mit Blick auf den Staatsanwalt – des Zeugen H. abzuladen und Auszüge aus dem gegen B. ergangenen Urteil im Selbstleseverfahren einzuführen. Es folgte eine Erörterung, inwieweit weitere Zeugen in der Hauptverhandlung gehört werden müßten.

Während die Verteidiger auf die Vernehmung weiterer Zeugen verzichteten, erklärte der Staatsanwalt, sich dazu erst nach Befragung des Angeklagten äußern zu können. Der Vorsitzende beharrte darauf, daß weitere Zeugen für die Schuldfrage nicht erforderlich seien und abgeladen werden könnten. Als daraufhin der Staatsanwalt seine abweichende Auffassung wiederholte, warf der Vorsitzende ihm ungehalten vor, sich „unanständig“ zu verhalten und die anderen Verteidiger „in Sippenhaft zu nehmen“.

Nachdem sich der Staatsanwalt gegen die Diktion verwahrt hatte, erklärte der Vorsitzen-de, das Wort „unanständig“ in Anführungszeichen gesprochen zu haben. Anschließend belehrte er den Angeklagten über die Regelung des § 231 Abs. 2 StPO und fügte hinzu, diese gelte auch für die Mitangeklagten. Dann wollte er die Verhandlung unterbrechen. Davon sah er auf Wunsch des Staatsanwalts zunächst ab und ermöglichte diesem, Fragen an den Angeklagten zu stellen, begrenzte die Fragezeit aber wegen eines – zu diesem Zeitpunkt erstmals mitgeteilten – Termins eines Kammermitglieds auf zehn Minuten. Nach dieser Zeit beendete er die Fragen des Staatsanwalts und wies darauf hin, die Kammer werde nach eigenem Ermessen über die Abladung von Zeugen entscheiden und erwarte für den nächsten Sitzungstag die Schlußvorträge. Unmittelbar danach unterbrach er die Sitzung bis zum eine Woche später liegenden nächsten Verhandlungstag.

Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft reichte noch am selben Tag außerhalb der Hauptverhandlung ein schriftliches Ablehnungsgesuch unter näherer Darstellung des vorstehenden Sachverhalts bei Gericht ein und lehnte darin den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab. Der abgelehnte Richter äußerte sich am Folgetag schriftlich zu dem Gesuch und bestätigte darin den äußeren Verfahrensablauf im wesentlichen. Die Kammer wies – ohne Beteiligung des abgelehnten Vorsitzenden – mit Beschluß vom 10. Juni 2011 das Ablehnungsgesuch mit der näher ausgeführten Begründung zurück, die Verhandlungsführung des Vorsitzenden sei nicht zu beanstanden und könne die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.

Das sah der Bundesgerichtshof keineswegs so.

Die Verfahrensrüge habe in der Sache Erfolg, weil die Ablehnung des Kammervorsitzenden zulässig und bei verständiger Würdigung aus Sicht der Staatsanwaltschaft die Besorgnis der Befangenheit gegeben gewesen sei.

Das Ablehnungsgesuch genüge den Zulässigkeitsanforderungen und sei insbesondere unverzüglich i.S.d. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO angebracht worden. Daß dies nicht bereits in der Hauptverhandlung selbst geschehen sei, sei nach den gegebenen Umständen nicht maßgeblich. Dem zur Ablehnung Berechtigten sei eine gewisse Zeit zum Überlegen und zum Abfassen des Gesuchs zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1995 – 2 StR 19/95, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 3 mwN).

Diese Zeit sei hier bei dem noch am selben Tag eingereichten Gesuch nicht überschritten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß der Eindruck einer Voreingenommenheit, der sich schon aus dem nachhaltigen und intensiven Hinwirken auf einen Verzicht der Vernehmung von Zeugen habe ergeben können, durch das weitere Verhalten des Vorsitzenden gestützt und verstärkt worden sei (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1988 – 3 StR 567/87, StV 1988, 281).

Die Verhandlungsführung des Kammervorsitzenden am ersten Hauptverhandlungstag stelle bei einer Gesamtschau einen Grund dar, der aus Sicht der Staatsanwaltschaft bei verständiger Würdigung geeignet gewesen sei, Mißtrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Dazu sei entscheidend auf den nach außen deutlich gewordenen Eindruck von der inneren Haltung des Richters abzustellen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1991 – 3 StR 365/90, BGHSt 37, 298, 302 f.), ohne daß es maßgeblich darauf ankomme, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich der inneren Haltung des Richters entspreche. Nach dem Verlauf des ersten Hauptverhandlungstages habe sich der Staatsanwaltschaft die Besorgnis aufdrängen müssen, der Vorsitzende ziehe eine schnelle Prozeßerledigung ohne Beachtung ihrer prozessualen Beteiligtenrechte einer sachgemäßen Aufklärung der Anklagevorwürfe vor (vgl. BGH, Beschluß vom 11. März 2003 – 3 StR 28/03, NStZ 2003, 666, 667; Urteil vom 9. März 1988 – 3 StR 567/87, StV 1988, 281 f.).

Dies ergebe sich aus Folgendem:

Bereits die beharrlichen und intensiven Versuche des Kammervorsitzenden, den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft zu einem Verzicht auf die Vernehmung des überwiegenden Teils der Zeugen zu drängen, obwohl der Angeklagte – wie sich aus den Urteilsgründen ergebe – das Gewicht seiner Tatbeiträge zu den ihm zur Last liegenden Straftaten nicht in vollem Umfang eingeräumt gehabt hätte und insbesondere für eine schuldangemessene Sanktion wesentliche Umstände noch klärungsbedürftig gewesen seien, sowie seine Wortwahl habe den Eindruck hervorrufen können, ihm fehle gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität.

Zwar könne ein Vorsitzender zur Verfahrensförderung bestimmte Prozesshandlungen der Verfahrensbeteiligten anregen, habe dabei aber die gebotene Zurückhaltung zu wahren (BGH, Urteil vom 5. September 1984 – 2 StR 347/84, NStZ 1985, 36, 37). Eine solche Zurückhaltung habe der Kammervorsitzende vermissen lassen.

So hätte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft dem Vorsitzenden zuvor in einer Verhandlungspause unmißverständlich mit nachvollziehbarer Begründung mitgeteilt, er sei derzeit mit einer Beschränkung der Zeugenvernehmung auf KOK Ho. nicht einverstanden. Dies habe zwar den Vorsitzenden nicht gehindert, den Zeugenverzicht danach nochmals in der Hauptverhandlung anzusprechen. Der Umstand jedoch, daß er in diesem Zusammenhang den Vorwurf erhob, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft verhalte sich mit seiner Weigerung „unanständig“ und nehme die anderen Verteidiger „in Sippenhaft“, habe dieser als unzulässigen Druck verstehen müssen, zum Zwecke einer schnellen Verfahrenserledigung gegen seine Überzeugung bereits vor abgeschlossener Befragung des Angeklagten den vom Vorsitzenden gewünschten Zeugenverzicht zu erklären (s. dazu BGH, Beschluß vom 4. Oktober 1984 – 4 StR 429/84, wistra 1985, 27, 28).

Die anschließende Äußerung des Vorsitzenden, der Begriff „unanständig“ sei mit Anführungszeichen gesprochen gewesen, habe den durch die drastische Wortwahl hervorgerufenen Eindruck der Voreingenommenheit nicht beseitigen können, auch wenn die Abmilderung bei der Bewertung zu beachten sei (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Oktober 2011 – 5 StR 292/11 mwN).

Die Besorgnis, der Vorsitzende habe in erster Linie den schnellen Abschluß des Verfahrens und weniger die Ermittlung des wahren Sachverhalts im Blick, seien noch dadurch verstärkt worden, daß er zuvor in einer Verhandlungspause erwogen hatte, die Hauptverhandlung nicht erst am dafür vorgesehenen zweiten Verhandlungstag, sondern bereits am Folgetag fortzusetzen und abzuschließen. Ein solches Vorgehen, das im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen durchaus sinnvoll sei, habe hier im Hinblick auf den Umfang sowie die Komplexität der Anklagevorwürfe den Eindruck der Beschwerdeführerin von einer Voreingenommenheit vertiefen können. Dafür sei es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Vorsitzende salopp davon gesprochen habe, man könne am nächsten Tag „den Sack zumachen“.

Der weitere Verfahrensablauf habe aus Sicht der Staatsanwaltschaft nicht die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit des Vorsitzenden relativiert, sondern sei geeignet gewesen, diese sogar zu verstärken. Die Belehrung des Angeklagten, es könne nach § 231 Abs. 2 StPO auch in seiner Abwesenheit weiterverhandelt werden, weil er bereits zur Anklage vernommen worden sei, und die zunächst unmittelbar darauf beabsichtigte Unterbrechung der Hauptverhandlung hätten unter Berücksichtigung des vorangegangenen Geschehens aus Sicht der Beschwerdeführerin den Eindruck erwecken können, ein Ausbleiben finde die Billigung des Gerichts (vgl. RG, Urteil vom 11. April 1924 – I 180/24, RGSt 58, 149, 152 f.; OLG Köln, Beschluss vom 7. August 1984 – 3 Ss 242/84, StV 1985, 50; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 231 Rn. 22).

Daß der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sodann am ersten Hauptverhandlungstag noch Gelegenheit erhalten habe, den Angeklagten zu befragen, beseitigte den bis dahin hervorgerufenen Eindruck fehlender Neutralität nicht; denn die Fragemöglichkeit sei vom Vorsitzenden unvermittelt auf nur zehn Minuten beschränkt worden. Auch wenn der Zeitpunkt der Unterbrechung der Hauptverhandlung verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden sei, habe die Beschwerdeführerin diese bei einer Gesamtbetrachtung der Verhandlungsführung durchaus als Beschränkung ihres Fragerechts verstehen können, weil sie zuvor über die zeitliche Beschränkung nicht informiert gewesen sei.

Schließlich sei der Eindruck der Voreingenommenheit noch dadurch verstärkt worden, daß der Vorsitzende für den nächsten Sitzungstag die Schlußvorträge erwartet habe, obwohl sich bislang lediglich die Angeklagten zur Sache eingelassen hätten und der Verlauf sowie das Ergebnis der noch durchzuführenden Beweisaufnahme offen gewesen seien.

Das Ablehnungsgesuch habe nach alledem nicht zurückgewiesen werden dürfen, weil die Verhandlungsführung des Vorsitzenden in ihrer Gesamtheit bei der Staatsanwaltschaft den Eindruck der Voreingenommenheit hervorrufen mußte. Deshalb liege der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vor, der den Senat dazu zwinge, das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben.