In dem Beschluß des Oberlandesgericht Köln vom 28.10.2011 2 Ws 669/11 ging es um eine Haftbeschwerde, die u. a. darauf gestützt worden war, daß die Sachverständige eines Glaubwürdigkeitsgutachtens die Geschädigte nicht vorher über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt habe, als sie einer polizeilichen Vernehmung beigewohnt und einzelne Fragen gestellt hatte.

Der Beschuldigte war aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Köln vom 29.08.2011 – 502 Gs 2673/11 – am 30.08.2011 in Untersuchungshaft genommen worden. Ihm lag schwerer sexueller Missbrauch gem. § 176 a Abs. 2 Nr. 1 StGB zur Last, den er in den Jahren 2007 bis 2009 an seiner Tochter K., geb. 09.04.0000 verübt haben soll. Der Haftbefehl wurde auf Wiederholungsgefahr gestützt.

Das Amtsgericht hatte den Haftbefehl vom 28.08.2011 im Anschluß an eine Haftprüfung mit Beschluß vom selben Tage aufrechterhalten. Das Landgericht Köln hatte eine dagegen gerichtete Haftbeschwerde vom 12.09.2011 mit Beschluß vom 27.09.2011 verworfen. Dagegen hatte der Beschuldigte weitere Beschwerde eingelegt, der das Beschwerdegericht nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte.

Das Oberlandesgericht befand den Beschuldigten der im Haftbefehl vom 28.08.2011 zur Last gelegten Taten aufgrund der Angaben der zweimal ausführlich polizeilich vernommenen Geschädigten und der unter dem 23.09.2011 schriftlich mitgeteilten vorläufigen Einschätzung der Glaubhaftigkeit dieser Angaben durch die mit der Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens beauftragte Sachverständige Dr. L., die bei der polizeilichen Vernehmung am 09.08.2011 anwesend gewesen war und die Geschädigte befragt hatte, dringend verdächtig.

Die Sachverständige Dr. L. hatte weiter mitgeteilt, daß die Geschädigte im Rahmen ihrer Exploration am 14.10.2011 ihre früheren Angaben bestätigt habe, die sie für erlebnisbasiert halte, so daß mittlerweile 3 konstante Aussagen vorlägen, wobei Schwächen bei der zeitlichen Einordnung bei der intellektuell eher schwach ausgestatteten Zeugin die Glaubhaftigkeit der umfangreichen Schilderungen nicht beeinträchtigten würden.

Die Verteidigung erhob den Einwand, die Angaben der Geschädigten seien nicht verwertbar, weil die Geschädigte bei der polizeilichen Vernehmung am 09.08.2011 nicht auf ihr Recht zur Aussageverweigerung sowie zur Ablehnung an der Mitwirkung an der Glaubwürdigkeitsbegutachtung im Verhältnis zu der bei der Vernehmung anwesend gewesenen Sachverständigen Dr. L. belehrt worden sei.

Ein Verwertungsverbot oder ein Verstoß gegen das Gebot der Verfahrensfairneß sah das Oberlandesgericht hingegen nicht.

Die Verwertbarkeit der Angaben der Geschädigten im Rahmen der Gutachtenerstellung wäre auch ohne entsprechenden Hinweis nicht zweifelhaft, wenn die Vernehmung vom 09.08.2011 in Abwesenheit der Sachverständigen durchgeführt worden wäre und diese insoweit auf das Vernehmungsprotokoll hätte zurückgreifen müssen. Daß die Anwesenheit der Sachverständigen, die gerade bei einer aussagepsychologischen Begutachung eine ungleich breitere Beurteilungsgrundlage biete, zur Unverwertbarkeit führen solle, ergebe keinen Sinn.

Von dieser Erwägung abgesehen ging das Oberlandesgericht von einer ausreichenden Unterrichtung der Geschädigten aus.

Die vom Familiengericht Köln mit Beschluß vom 1.02.2011 zur Wahrnehmung des der Geschädigten nach § 52 Abs. 1 Ziff. 3 StPO zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts bestellte Ergänzungspflegerin Rechtsanwältin T. habe mit Schriftsatz vom 9.03.2011 erklärt, daß von dem Zeugnisverweigerungsrecht kein Gebrauch gemacht werde. Die derzeit in einem Kinder-und Jugendheim in M. untergebrachte Geschädigte selbst sei ausweislich der Vernehmungsprotokolle vom 10.05.2011 und 9.08.2011 durch den dazu berufenen Vernehmungsbeamten jeweils in kindgemäßer Weise über ihr Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Ziff. 3 StPO belehrt worden. Sie sei – in Anwesenheit der Gutachterin, über deren Rolle sie informiert gewesen sei zur Aussage bereit gewesen.

Die Teilnahme der Sachverständigen Dr. L. an der Vernehmung vom 09.08.2011 und die Befragung der Geschädigten durch die Sachverständige seien durch die Bestimmung des § 80 Abs. 2 StPO gedeckt. Das Fragerecht aus § 80 Abs. 2 StPO erlaube nur nicht, daß dem Sachverständigen die ganze Befragung überlassen werde, was zur Unverwertbarkeit der Zeugenaussage führen könne. Der Sachverständige sei zu eigenen Ermittlungen nicht befugt und dürfe nur für die Begutachtung erforderliche Fragen stellen.

Die Sachverständige Dr. L. habe die Vernehmung am 09.08.2011 nicht selbst geführt, sondern ausweislich des Protokolls lediglich einzelne, für die aussagepsychologische Begutachtung erforderliche Fragen zum Tatgeschehen an die Geschädigte gestellt. Eine Überschreitung der durch § 80 Abs. 2 StPO gezogenen Grenzen sei nicht ersichtlich.

Gesetzliche Belehrungspflichten träfen den Sachverständigen, der gem. § 80 Abs. 2 StPO einer Vernehmung beiwohne, nicht.

Der Sachverständige sei selbst im Rahmen von Explorationen, die verfahrensrechtlich polizeilichen, staatsanwaltlichen oder richterlichen Vernehmungen nicht gleichzusetzen seien (BGH NStZ 2003,101), befugt, aber nicht verpflichtet, Zeugen über ihre Weigerungsrechte zu belehren.

Im Haftbefehl und in der angefochtenen Entscheidung sei zurecht und mit zutreffender Begründung der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gem. § 112 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO angenommen worden.