Mit dem Beschluß des Oberlandesgericht Hamm vom 16.11.2011 (II 8 UF 96/11) kann gemäß § 239 Abs. 1 FamFG bei einer einseitig erstellten Jugendamtsurkunde jeder Teil eine Abänderung beantragen. Dies gelte auch für die Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, da der Unterhaltsanspruch des minderjährigen mit demjenigen des volljährigen Kindes identisch sei, so daß statische Titel über den Kindesunterhalt nach Erreichen der Volljährigkeit bis zu einer eventuellen Abänderung fortbestehen. Für dynamische Titel sei dies inzwischen ausdrücklich in § 244 FamFG geregelt.

Fehle es an einer Vereinbarung der Beteiligten bei der Errrichtung der Jugendamtsurkunde, da diese einseitig erstellt worden sei, so könne sich der Unterhaltspflichtige von seiner titulierten Unterhaltspflicht nur dann lösen, wenn sich eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Umstände, des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die Höhe seiner Unterhaltspflicht auswirken würden. Der Unterhaltspflichtige müsse deshalb nicht nur vortragen, daß die bisherige Unterhaltsleistung für ihn wegen Änderung der Verhältnisse nach § 242 BGB unzumutbar geworden sei, sondern auch die seiner damaligen Verpflichtung nach Grund und Höhe zu Grunde liegenden Umstände darlegen.

Habe bereits zur Zeit der Errichtung der Jugendamtsurkunden eine Unterschreitung des Selbstbehalts vorgelgen, sei der Unterhaltspflichtige hieran auch bei einer Anpassung an die geänderten Verhältnisse festzuhalten.

Verpflichtee sich der Unterhaltsschuldner in den Jugendamtsurkunden trotz aktuell nicht ausreichender Leistungsfähigkeit zu künftig steigenden Unterhaltsbeträgen, liege in diesem Anerkenntnis regelmäßig eine Prognose dahingehend, daß er zur Zahlung der aufgrund der Titulierung zukünftig fälligen Unterhaltsbeträge in der Lage sein werde. Würden sich jedoch die tatsächlichen Verhältnisse entgegen der prognostizierten Erwartung nicht mit der Folge ändern, daß für zukünftige Zeiträume eingegangene höhere Unterhaltsverpflichtungen nicht geleistet werden könnten, so erweise sich die Prognose als nicht mehr tragfähig. In einem solchen Fall sei eine Bindungswirkung an die für deutlich erst in der Zukunft liegende Zeiträume eingegangene Unterhaltsverpflichtung nicht mehr gegeben.

In dem zugrundeliegenden Verfahren stritten die Parteien um die Abänderung der durch Jugendamtsurkunde jeweils titulierten Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers gegenüber seinen 3 Kindern für die Zeit ab Februar 2009.

Der am 16.1.1963 geborene Antragsteller und die am 18.6. 1964 geborene Q Q1 schlossen am 17.8.1990 die Ehe, die mit Urteil vom 3.5.2006 – rechtskräftig seit dem 20.6.2006 – geschieden wurde, nachdem sich die Eheleute im Februar/ März 2005 getrennt hatten. Aus dieser Ehe gingen 3 Kinder hervor, nämlich die am 13.7.1992 geborene L N und die am 12.3.1997 geborenen Zwillinge Q2 und N1 (Antragsgegnerinnen zu 1. bis 3.). Für sämtliche Kinder wurde der Kindesmutter durch das Scheidungsurteil das alleinige Sorgerecht übertragen.

Der Antragsteller war gelernter Bäcker- und Konditormeister. Durch Jugendamtsurkunden des Kreises D vom 20.2.2006 – Urkundennummer 27/2006, 26/2006 und 25/2006 – verpflichtete er sich, an L N zunächst monatlichen Kindesunterhalt von 282,67 € und ab dem 1.9.2006 in Höhe von 316 €, an die Kinder N1 und Q2 zunächst je 223,76 €, ab 1.9.2006 dann jeweils 257 € und ab März 2009 ebenfalls jeweils 316 € zu zahlen, wobei die einzelne Beträge in den jeweiligen Urkunden beziffert aufgeführt wurden.

Die Tochter L, die im Haushalt ihrer Mutter lebte, besucht das Gymnasium, ihr Schulabschluß würde voraussichtliche im Juni 2012 erreicht. Die beiden anderen Töchter lebten ebenfalls im Haushalt ihrer Mutter und ware ebenfalls noch Schülerinnen.

Der Antragsteller begehrte mit Antragschrift vom 1.9.2009 die Abänderung der vorstehend genannten Unterhaltsverpflichtungen. Zur Begründung führte er aus, im Zeitpunkt der Errichtung der Jugendamtsurkunden habe er ein monatliches Nettoeinkommen von 1691,23 € erzielt und berufsbedingte Fahrtkosten für eine einfache Entfernung über 21 km aufwenden müssen. Aufgrund des Altersstufenwechsels der Antragsgegnerinnen sei er nun nicht mehr in der Lage, den titulierten Unterhalt in voller Höhe zu zahlen. Sein Einkommen belaufe sich auf lediglich noch 1445,79 € netto, von dem Fahrtkosten für eine einfache Entfernung von 10 km zur Erreichung der Arbeitsstelle abzusetzen seien. Weiterhin bediene er seit Juni 2008 einen Konsumentenkredit mit einer monatlichen Rate von 100 €, den er über einen Nettobetrag von 5.820 € zur Ablösung von Altschulden aufgenommen habe. Bei Trennung der Eheleute im Februar 2005 sei das frühere gemeinschaftliche Konto mit 4135,28 € überzogen gewesen; wegen der für ihn anfallenden Umzugskosten habe sich dieser Sollsaldo bis zum 16.6.2008 auf 6182,93 € erhöht. Zudem habe er zum 1.8.2008 den Arbeitsplatz gewechselt und sei seitdem bei der Firma M in C beschäftigt. Zuvor sei er bei der Firma X in I2 beschäftigt und in der Produktion als Quasi-Abteilungsleiter mit 19 ihm unterstellten Mitarbeitern angestellt gewesen. Dort sei die Lohnzahlung schleppend erfolgt, der Arbeitgeber habe den Mitarbeitern Schecks ausgestellt, welche diese erst zur Einziehung bei der Bank hätten einreichen müssen. Er habe von seinen Warenlieferanten nur noch gegen Barzahlung Rohmaterial beziehen können. Das Unternehmen habe sich in einer tiefen Krise befunden und es sei mit einem kurzfristigen Verlust des Arbeitsplatzes zu rechnen gewesen. Deshalb habe er sich nach einer neuen Arbeitsstelle umgesehen, um nicht von einer Kündigung überrascht zu werden. Inzwischen habe er seine Arbeitsstelle erneut gewechselt und arbeite seit dem 1.4.2010 bei der Firma L in O/T. Die einfache Strecke zu seiner Arbeitsstelle belaufe sich nunmehr auf 11 km. Diese könne er auch nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln von X2 aus erreichen, da er montags bis freitags von 3:00 Uhr morgens bis 12:30 Uhr arbeite und freitags von 23:00 Uhr bis zum nächsten Morgen um 7:30 Uhr. Eine Bahnverbindung nach T sei nicht vorhanden, auch sei die Arbeitsstelle um diese Uhrzeit nicht mit dem Bus zu erreichen. Seine Lebensgefährtin Frau M4, die als Reinigungskraft tätig sei, verdiene lediglich monatlich netto 920 €, wovon sie noch eine Darlehensrate an ihren eigenen Vater in monatlicher Höhe von 300 € zurückzahlen müsse.

Die Antragsgegnerinnen traten dem Vorbringen entgegengetreten und führten aus, der Antragsteller könne die Entfernung zu seiner neuen Arbeitsstelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Außerdem lebe er seit Juli 2008 mit seiner neuen Lebensgefährtin zusammen, so dass sein Selbstbehalt um 13,5 % abzusenken sei. Diese könne ohne weiteres eine vollschichtige Erwerbstätigkeit aufnehmen und sich dann an den Lebenshaltungskosten beteiligen. Im Übrigen habe er nicht hinreichend nachvollziehbar dargelegt, warum er seine frühere Arbeitsstelle bei der Firma X, bei der er mehr verdient habe, überhaupt aufgegeben habe. Deshalb sei ihm nach unterhaltsrechtlichen Kriterien sein damals erzieltes Einkommen weiterhin zuzurechnen. Ihre Mutter verfüge als Justizangestellte über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1666,99 €, von dem Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz beim Amtsgericht I für eine einfache Entfernung von 36 km in Abzug zu bringen seien. Für das Jahr 2009 habe sie eine Steuerrückerstattung von 2066,98 € erhalten. Für die Betreuung der Kinder stehe deren Großmutter, die von ihr als Honorarkraft eingestellt worden sei, zur Verfügung. Diese erhalte hierfür 380 €. Eine Betreuung sei notwendig, weil die Kindesmutter bereits morgens um 7:30 Uhr an ihrer Arbeitsstelle sein müsse und ihre Arbeitszeit erst zwischen 13 und 16:00 Uhr ende. Sie verlasse ihre Wohnung spätestens um 6:30 Uhr morgens. An den von den Antragsgegnerinnen besuchten Schulen gebe es keine Übermittagsbetreuung, es bestehe lediglich die Möglichkeit, dass die Kinder ein Mittagessen zu sich nähmen, wenn sie nach 13:00 Uhr noch Schulunterricht hätten. Regelmäßige Busverbindungen zwischen T3 und P gebe es nicht, der Bus fahre um 13:00 Uhr und dann wieder um 17:00 Uhr. Deshalb hole die Großmutter die Kinder mit dem Pkw ab, versorge diese bei Krankheit und während der Ferienzeit. An monatlichen Prämien zahle sie in eine Rentenversicherung 69,46 €, in eine Riester-Rente 55,20 €, in eine Lebensversicherung bei der M2 AG 40,84 €, in eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung 15,58 € und in eine Unfallversicherung 5,78 €. Für eine Zahnbehandlung habe sie ein Darlehen über 2300 € bei ihren Eltern aufgenommen, das sie mit monatlich 100 € zurückzahle. Mithin verbleibe ihr von ihrem Einkommen lediglich 820 €.

Mit Beschluß vom 27.1.2011 hatte das Amtsgericht die Jugendamtsurkunde betreffend die Antragsgegnerin zu 1. – L N Q1 – für die Zeit ab dem 1.7.2010 dahingehend abgeändert, daß nur noch monatlicher Kindesunterhalt in Höhe von 238 € und für die Zeit ab dem 1.1.2011 nur noch von 224 € zu zahlen waren. Den weitergehenden Abänderungsantrag hatte es zurückgewiesen.

Die Beschwerde des Antragstellers hatte nur teilweis Erfolg.

Das Oberlandesgericht Hamm befand den gestellten Abänderungsantrag als zuläsig, da der Antragsteller Abänderungsgründe vorgetragen habe, die bei tatsächlichem Vorliegen eine Abänderung rechtfertigen würden.

Der Abänderungsantrag sei gem. § 239 II FamFG begründet, wenn dem Unterhaltschuldner ein Festhalten an den veränderten Verhältnissen gem. §§ 313, 242 BGB nicht mehr zugemutet werden könne.

Die einseitige Verpflichtungserklärung der Jugendamtsurkunde stelle aber ein Schuldanerkenntnis gem. § 781 BGB dar. Danach seien die bei Abgabe der Verpflichtungserklärung zugrunde liegenden Umstände bindend. Der Unterhaltspflichtige müsse deshalb nicht nur vortragen, daß die bisherige Unterhaltsleistung für ihn wegen Änderung der Verhältnisse nach § 242 unzumutbar geworden sei, sondern auch die seiner damaligen Verpflichtung nach Grund und Höhe zu Grunde liegenden Umstände darlegen.

Sofern der Selbstbehalt des Antragstellers bereits im Zeitpunkt der Errichtung der Urkunden unterschritten gewesen sei, könne er sich nicht später aufgrund veränderter rechtlicher oder tatsächlicher Umstände auf eine Unterschreitung des Selbstbehalts berufen. Die Bindungswirkung eines Anerkenntnisses könne aber dann nicht durchgreifen, wenn bei Errichtung der Urkunde zwar eine Entwicklung prognostiziert worden sei, sich die Verhältnisse aber tatsächlich anders entwickelten.

Soweit der Antragsteller vor dem Jugendamt Unterhaltsbeiträge für weit in der Zukunft liegende Zeiträume anerkannt habe, habe er durch seine tatsächlich niedrigeren Einkünfte die in den Urkunden implizierte Einkommensentwicklung widerlegt, so daß die Bindungswirkung entfalle.