In seinem Beschluß vom 17.11.2011 (3 StR 359/11) befaßte sich der Bundesgerichtshof  mit den objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der sexuellen Nötigung unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und befand das die Urteilsgründe des Landgerichts die Entscheidung nicht trugen. Das landgerichtliche Urteil wurde daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Landgericht hatte den Angeklagten (einen Polizeibeamten) wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts erschien die Nebenklägerin auf Vorladung zu einer Zeugenaussage auf der Polizeidienststelle B. , in der der Angeklagte als Polizeihauptkommissar am Nachmittag allein seinen Dienst verrichtete. Nach Abschluß der Vernehmung lud der Angeklagte die Nebenklägerin auf eine Tasse Kaffee in den angrenzenden Sozialraum ein. Im Verlauf des nachfolgenden Gesprächs ergriff der Angeklagte die Hand der Nebenklägerin und küßte sie zuerst auf die Wange, später auch auf den Mund. Die Nebenklägerin erkannte die sexuellen Absichten des Angeklagten, mit denen sie nicht einverstanden war, hatte aber den Eindruck, sie käme nicht aus dem Raum; sie war unsicher, ob sie die Dienststelle ohne weiteres Zutun des Angeklagten würde verlassen können, und befürchtete zudem, daß dieser bei einer Gegenwehr zornig würde und sie unter Anwendung von roher Gewalt vergewaltige. Sie versuchte, den Angeklagten abzulenken und beschränkte sich deshalb auf sanfte Abwehrbewegungen sowie die Mahnung, der Angeklagte solle „nicht so stürmisch“ sein oder er „solle das lieber lassen“. Als der Angeklagte ihr wiederholt den Reißverschluß der Jacke herunterzog und ihr unter dem T-Shirt an die Brust griff, schubste sie ihn „nun deutlich energischer mit den Worten ‚Schluss jetzt!‘ und ‚Ich muss jetzt los.‘ weg, bot ihm aber gleichzeitig aus Angst, die Situation könne eskalieren, und in der Hoffnung, ihn dadurch besänftigen zu können, ein Treffen zu einem späteren Zeitpunkt an“. Daraufhin ließ der Angeklagte von ihr ab. Die Nebenklägerin konnte die Polizeidienststelle ohne weiteres verlassen.

Zur subjektiven Tatseite hatte das Landgericht festgestellt, der Angeklagte habe „die Abgeschlossenheit der Räumlichkeit und seine offensichtliche körperliche Überlegenheit sowie die dadurch gegebene schutzlose Lage und deren Bedeutung für das Verhalten der Zeugin“ erkannt und dies ausgenutzt.

Der Bundesgerichtshof befand hingegen, daß die Voraussetzungen für eine sexuelle Nötigung unter Ausnutzen einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nicht dargetan seien.

Dieser Tatbestand setzte zunächst voraus, daß sich das Opfer in einer Lage befinden würde, in der es möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre. Hierfür komme es auf eine Gesamtwürdigung aller tatbestandsspezifischen Umstände an, die in den äußeren Gegebenheiten, in der Person des Opfers oder des Täters vorliegen würden. Neben den äußeren Umständen, wie etwa die Einsamkeit des Tatortes und das Fehlen von Fluchtmöglichkeiten, könne auch die individuelle Fähigkeit des Opfers, in der konkreten Situation mögliche Einwirkungen abzuwehren, wie zum Beispiel eine stark herabgesetzte Widerstandsfähigkeit aufgrund geistiger oder körperlicher Behinderung, von Bedeutung sein. Diese spezifische Schutzlosigkeit gegenüber nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters müsse ferner eine Zwangswirkung auf das Opfer dahin entfalten, daß es solche Einwirkungen fürchtet und im Hin-blick hierauf einen – ihm grundsätzlich möglichen – Widerstand unterlasse und entgegen seinem eigenen Willen sexuelle Handlungen vornehme oder dulde.

Weiterhin müsse der Täter das Ausgeliefertsein des Opfers dazu ausnutzen, dieses zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zu nötigen. Dies bedeute, daß er die tatsächlichen Voraussetzungen der Schutzlosigkeit auch als Bedingung für das Erreichen seiner sexuellen Handlungen erkennen müsse, so daß der subjektive Tatbestand zumindest bedingten Vorsatz dahin voraussetze, daß das Opfer in die sexuellen Handlungen nicht einwillige und daß es gerade wegen seiner Schutzlosigkeit auf einen grundsätzlich möglichen Widerstand verzichte, das Opfer also die Handlungen nur wegen seiner Schutzlosigkeit vornehme oder geschehen lasse (Ausnutzungsbewußtsein – vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2009 – 3 StR 479/09).

Nach diesen Maßstäben bestünden schon Zweifel daran, daß die Feststellungen für die Annahme einer schutzlosen Lage ausreichen würden.

Das Landgericht hebe allein auf die Vorstellungen der Nebenklägerin ab, „die nur aufgrund der aus ihrer Sicht hilflosen Lage und aus Angst vor Schlägen und einer gewaltsamen Vergewaltigung von einer über ein Wegdrücken hinausgehenden Gegenwehr absah“. Danach meinte die Nebenklägerin, sie sei eingesperrt und fürchtete, ohne Unterstützung des Angeklagten das Gebäude nicht mehr verlassen zu können.

Festgestellt sei hingegen nur, daß es der Betätigung eines Türöffners vom Schreibtisch des Polizeibeamten bedurft habe, um von außen das Gebäude zu betreten. Es reiche indes nicht aus, daß das Opfer sich schutzlos fühle. Für das Tatbestandsmerkmal komme es vielmehr allein darauf an, „daß das Tatopfer nach objektiver ex-ante-Prognose möglichen nötigenden Gewalteinwirkungen des Täters schutzlos ausgeliefert wäre“ (BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362).

Das Urteil lasse jedenfalls eine Beweiswürdigung vermissen, welche die Feststellung vom Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten tragen könnte.

Der Angeklagte habe das äußere Tatgeschehen eingeräumt und sich im übrigen dahin eingelassen, man sei sich während der schon angenehmen Vernehmung der Zeugin sympathisch gewesen, man habe sich sodann bei der Tasse Kaffee über Privates unterhalten und sei sich näher gekommen; eine Gegenwehr der Nebenklägerin gegen seine Zärtlichkeiten habe er nicht bemerkt.

Das Landgericht begründe ausführlich, warum es der Nebenklägerin in deren Aussage zu den – überwiegend zurückhaltenden – Versuchen, den Angeklagten von weiteren Übergriffen abzuhalten, folge. Dies trage die tatrichterliche Überzeugung, daß die Nebenklägerin mit den Handlungen des Angeklagten nicht einverstanden gewesen sei und ihm dies – wenn auch in zurückhaltender Weise – deutlich gemacht habe. Zur subjektiven Seite des Nötigungsdelikts nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verhalte sich die Beweiswürdigung indes nicht. Ein Ausnutzungsbewußtsein des Angeklagten habe auch nicht in der Weise auf der Hand gelegen, daß eine Erörterung ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre.

Nach den Urteilsfeststellungen liegt es nahe, daß der Angeklagte wußte, daß die Nebenklägerin die Dienststelle jederzeit hätte verlassen können. Insbesondere hätte es der Auseinandersetzung mit dem Umstand bedurft, daß der Angeklagte in dem Augenblick, als die Nebenklägerin erstmals energischer ein Ende der Zudringlichkeiten des Angeklagten verlangt habe, von weiteren sexuellen Handlungen sofort Abstand genommen habe.