Das Oberlandesgericht Hamm befaßte sich in dem Beschluß vom 06.10.2011 (I-32 W 19/11) mit einem Fall der berechtigten Richterablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit.

In dem zugrundeliegenden Verfahren hatte der Kläger von dem Beklagten die Zahlung von Pachtzinsen nebst Nebenkosten verlangt. Nachdem die Anspruchsbegründung dem Beklagten Ende Februar 2011 zugestellt und seitens des Gerichts ein schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO) angeordnet worden war, hatte der Beklagte mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 04.03.2011 seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt und eine Klageerwiderung innerhalb der gesetzten Frist angekündigt.

Richter am Landgericht B als zuständiger Einzelrichter hatte daraufhin – nach einmaliger Terminsverlegung – Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 10.05.2011 anberaumt. Tatsächlich erfolgte die Klageerwiderung erst mit Schriftsatz vom 08.05.2011 erfolgt. In der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger die Klageerwiderung als verspätet gerügt, eine gütliche Einigung der Parteien war nicht zustande gekommen. Der persönlich anwesende Beklagte hatte über seinen Prozeßbevollmächtigten ein Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Landgericht B gestellt. Ausweislich der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters vom 24.05.2011, auf die sich der Beklagte zur Glaubhaftmachung seines Befangenheitsantrags berief (§ 44 Abs. 2 S. 2 ZPO), war davon auszugehen, daß der Richter in der Sitzung vom 10.05.2011 seinen Unmut über den erst kurz zuvor eingegangenen Schriftsatz „mit erhobener und lauterer Stimme“ bekundet und in diesem Zusammenhang geäußert hatte, „es sei schön, daß sich der Beklagtenvertreter noch am 08.05.2011, einem Sonntag und immerhin dem Jahrestag des Kriegsendes, die Mühe gemacht habe, einen Schriftsatz zu fertigen und diesen zum Gericht zu bringen“.

Nachdem der Beklagtenvertreter daraufhin beantragt hatte, ein Ablehnungsgesuch zu Protokoll zu nehmen, hatte sich der abgelehnte Richter zunächst geweigert, das Gesuch zu protokollieren und stattdessen den Beklagtenvertreter aufgefordert, den Antrag schriftlich auszuformulieren und anschließend als Anlage zum Protokoll zu reichen. Ausgehend von seiner dienstlichen Äußerung war der abgelehnte Richter zu diesem Zeitpunkt irrtümlich davon ausgegangen, der Antrag auf Ablehnung eines Richters müsse schriftlich eingebracht werden. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung hatte der Richter das Ablehnungsgesuch dann doch protokolliert.

Der Beklagte stützte sein Ablehnungsgesuch auf den vorbeschriebenen Verlauf der mündlichen Verhandlung, namentlich die mit lauter Stimme vorgetragenen Unmutsäußerungen des Richters über die späte Einreichung des Schriftsatzes vom 08.05.2011 („… immerhin dem Jahrestag des Kriegsendes …“) sowie die anfängliche Weigerung, den Befangenheitsantrag zu Protokoll zu nehmen.

Das Landgericht hatte das Ablehnungsgesuch unter Zugrundlegung der dienstlichen Äußerung vom 24.05.2011 als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, der das Landgericht mit Beschluß vom 12.09.2011 nicht abgeholfen hatte.

Das Oberlandesgericht Hamm gab der Beschwerde des Beklagten statt.

Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters sei anzunehmen, wenn Umstände vorliegen würden, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit aufkommen lassen würden. Geeignet, Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung des Richters zu rechtfertigen, seien nur objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht (mehr) unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge reichten nicht aus; auf eine tatsächliche Befangenheit oder auch die Selbsteinschätzung eines Richters komme es allerdings nicht an.

Da ein Richter zu einer objektiven und neutralen Amtsführung verpflichtet sei, kämen als Ablehnungsgründe Unsachlichkeit und unangemessenes Verhalten zu Lasten einer Partei in Betracht. Hierzu zählten unsachliche Äußerungen in der mündlichen Verhandlung, allgemein abfällige, höhnische, ironische oder kränkende Äußerungen des Richters, nicht aber eine sachlich begründete Unmutsäußerung. Es sei einem Richter sicher nicht verboten, sich wertend sowohl zum Sachvortrag eines Beteiligten als auch zu dessen Prozessführung zu äußern; er habe in der Ausdrucksweise einen erheblichen Verhaltensspielraum. Jedoch habe sich der Richter dabei in Wortwahl und Ton auf das sachliche Gebotene zu beschränken. Verbale Entgleisungen oder grobe Unsachlichkeiten würden die Besorgnis der Befangenheit begründen. Zudem sei die Behinderung der Parteirechte ein möglicher Befangenheitsgrund, sofern sich das prozessuale Vorgehen des Richters so weit von dem normalerweise geübten Verfahren entferne, daß sich für die hiervon betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge.

Unter Zugrundlegung vorstehender Grundsätze sei das Verhalten des abgelehnten Richters am Landgericht B aus Sicht des Beklagten geeignet gewesen, auch bei objektiver und ruhig abwägender Betrachtungsweise Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters zu rechtfertigen.

Bereits mit dem Hinweis, die Klageerwiderung sei „noch am 08.05.2011, einem Sonntag und immerhin dem Jahrestag des Kriegsendes“ gefertigt worden, habe der Richter seinen (weiten) Verhaltensspielraum verlassen. Die Herstellung eines – wie auch immer gemeinten – zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Fertigung eines Schriftsatzes im vorliegenden Rechtsstreit und dem Ende des 2. Weltkrieges, der unsäglich viel Leid hervorgerufen und Millionen Menschen das Leben gekostet habe, könne nicht mehr als ungeschickte oder auch unglückliche Formulierung verstanden, sondern müsse in aller Deutlichkeit als gänzlich sachwidrige, verbale Entgleisung bezeichnet werden. Von einem Richter könne und müss auch in der Einordnung historischer Ereignisse mehr Fingerspitzengefühl erwartet werden. Daß sich der Beklagtenvertreter entgegen seiner Ankündigung über die gerichtlich gesetzte Frist hinweggesetzt und mit der Einreichung der Klageerwiderung unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2011 letztlich eine deutliche Verzögerung des Rechtsstreits herbeigeführt habe, hätte der Einzelrichter unschwer in sachlicher Art und Weise beanstanden können.

Der Senat verkenne hierbei nicht, daß es bei einer verspäteten Vorlage von Schriftsätzen – insbesondere in oder unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung – zu Auseinandersetzungen zwischen Prozeßbevollmächtigten und Gericht kommen könne, die eine gereizte Reaktion verständlich machen können. Der Richter sei dann nicht verpflichtet, gänzlich emotionslos zu reagieren und kann seinen Unmut durchaus mit deutlichen Worten und offen zum Ausdruck bringen. Er müsse aber die Grenzen einer zulässigen Wortwahl beachten und dürfe sich nicht – wie im vorliegenden Fall geschehen – zu einer verbalen Entgleisung und groben Unsachlichkeit hinreißen lassen.

Die Befürchtung der Voreingenommenheit werde aus Sicht einer verständigen Partei dadurch bekräftigt, daß der Richter im Anschluß an seine verbale Entgleisung die Protokollierung des Befangenheitsgesuchs zunächst verweigert, die Partei auf die Einreichung eines Schriftsatzes verwiesen und damit gegen Vorgaben der Zivilprozessordnung verstoßen habe. Zwar mag sich der abgelehnte Richter diesbezüglich – ausweislich seiner dienstlichen Äußerung – in einem vermeidbaren Rechtsirrtum befunden haben, so daß es sich um einen unbeabsichtigt unterlaufenen Verfahrensfehler gehandelt haben dürfte, der ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermag. Jedoch würden im vorliegenden Fall derartige Umstände hinzutreten, weil eine Gesamtbetrachtung von Verfahrensfehler und verbaler Entgleisung geboten sei. Gerade vor dem Hintergrund der vorangegangenen verbalen Entgleisung wiege der Verfahrensfehler besonders schwer. In einer solchen Situation müsse der Richter, wenn er merke, daß er durch eine nach ihrer Wortwahl unangemessene Äußerung die Partei (oder ihren Prozessbevollmächtigten) gekränkt und darüber hinaus in deren prozessualen Rechte eingegriffen habe, klarstellen, daß sein Verhalten durch die angespannte Verhandlungssituation verursacht worden sei und keine Abwertung der Partei und ihres Vorbringens darstelle. Daran fehle es hier. Unter Zugrundlegung der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters habe dieser zwar letztlich doch den Befangenheitsantrag zu Protokoll genommen, die gebotene Klarstellung sei indes unterblieben.