Zu Recht wird in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit auf die Gefahren freiheitsentziehender Maßnahmen im Pflegebereich zunehmend hingewiesen.

Daher sehen wir uns veranlaßt auch auf eine schon ältere Entscheidung des Landgerichts Münster vom 03.05.2004 (11 O 477/02) und insbesondere auf die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen hinzuweisen.

In der Sache ging es zunächst erst einmal darum, daß die Krankenkasse gemäß § 116 SGB V übergegangene Ansprüche aus einem Altenheimvertrag geltend machte.

Das am 04.12.1903 geborene Mitglied der Krankenkasse (Klägerin), Frau Johanna H, hatte sich seit dem Jahre 1986 als Bewohnerin im Heim der Beklagten in E befunden, erstmalig 1996 erfolgte die Einstufung in die Pflegestufe O.

Frau H stürzte in den Monaten Januar bis März 2000 mehrfach, hierbei kam es jedoch zu keinerlei erheblichen Verletzungen. Wegen der Verschlechterung des Zustandes stellte die Beklagte am 13.03.2000 einen Antrag auf freiheitsentziehende Maßnahmen (Bettgitter) beim zuständigen Amtsgericht E. Die Einrichtung des Bettgitters bewilligte das Amtsgericht am 04.04.2000 zunächst befristet bis zum 05.05.2000. Gleichzeitig beantragte die Beklagte erneut die Gewährung von Pflegeleistungen für Frau H.

Die Erstbegutachtung des Medizinischen Dienstes erfolgte sodann am 24.03.2000. In dem Gutachten des Medizinischen Dienstes vom 20.04.2000 ist die Bestimmung der Pflegebedürftigkeit schließlich mit einem Gesamtzeitaufwand von 150 Minuten am Tag bewertet worden. Es erfolgte ein Einstufung in die Pflegestufe 2.

Am 31.03.2000 stürzte Frau H erneut in ihrem Zimmer und zog sich dabei eine Schenkelhals- und Beckenfraktur zu. Die Versicherte der Klägerin (Krankenkasse) wurde mit einem Krankentransport in Krankenhaus verbracht und verblieb dort stationär bis zum 14.04.2000. Der Rücktransport ins Pflegeheim erfolgte ebenfalls per Krankenwagen. Die diesbezüglichen Aufwendungen der Krankenkasse beliefen sich auf insgesamt 5.574,59 €.

Die Klägerin meinte nun, die Beklagte (das Altenheitm) müsse den Nachweis des pflichtgemäßen Verhaltens führen. Die Klägerin behauptete, die Beklagte habe die Schutzpflichten aus dem Heimvertrag verletzt, weil sie Frau H nicht ausreichend beaufsichtigt und gesichert habe. Insbesondere hätte Frau H eine Hüftschutzhose tragen müssen. Außerdem sei eine Fixierung durch einen Bauchgurt oder jedenfalls die Sicherung durch einen Vorstecktisch beim Sitzen angezeigt gewesen.

Das Seniorenheim hingegen meinte, die Klägerin habe die Beweislast und behauptete, es sei nicht zur Betreuung rund um die Uhr verpflichtet gewesen.

Das Gericht erhob Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und befand sodann, daß die Klage unbegründet sei.

Die von der Krankenkasse angesprochenen besonderen Sicherheitsmaßnahmen seien nicht geboten gewesen.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen wäre nur eine dauerhafte Fixierung von Frau H geeignet gewesen, den Sturz am 31.03.2002 zu verhindern. Eine solche Fixierung hätte jedoch – abgesehen von der Frage der Verhältnismäßigkeit – die Gefahr von Folgeerkrankungen wie drohende Dekubitalgeschwüre und Bett-Lungenentzündungen beinhaltet, so daß eine Vollfixierung entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen bei der hochbetagten Versicherungsnehmerin der Klägerin nicht angezeigt gewesen sei.

Als denkbare Alternative nannte der Sachverständige eine rund um die Uhr Dauerbeaufsichtigung, die aber schon aufgrund der begrenzten Personalkapazität keine realisierbare Alternative darstelle. Dadurch würden auch die Sorgfaltsanforderungen an das Pflegeheim überspannt. Außerdem spreche das Persönlichkeitsprofil von Frau H gegen eine solch intensive Überwachung, da diese als sehr selbstbestimmt, wehrig und mobilitätsorientiert in der Pflegedokumentation beschrieben werde.

Des weiteren beurteilte der Sachverständige eine Schutzmöglichkeit durch einen Hüftprotektor im März 2000 nicht als pflegerische Standartmaßnahme. Zum einen seien diese Hüfthosen aufgrund der zu erwartenden Verunreinigung insbesondere bei stuhl- und urininkontinenten Patienten wie Frau H jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht angezeigt gewesen. Hinzu komme, daß Frau H aufgrund ihrer selbstbestimmten Persönlichkeit und ihrer fortschreitenden Demenz mit dem Tragen eines Hüftprotektors nicht einverstanden gewesen wäre. Darüber hinaus folge – insbesondere nach Ansicht des Gerichts – bereits aus dem eigenen Verhalten der Klägerin, die diese Schutzschalen nicht als entsprechende Sachleistung gewähre, daß die Protektoren nicht zum pflegerischen Standart von Sicherungsmaßnahmen gehören könnten.

Schließlich erachtete der Sachverständige einen möglichen Schutz im Sitzen durch Gurtfixierung oder Vorstecktische nicht als geeignete Maßnahmen, die den Sturz von Frau H verhindert hätten. Eine Fixierung im Sitzen sei demnach nur dann geboten, wenn entsprechendes Spezialmobiliar vorhanden sei, denn ansonsten bestehe die Gefahr von Selbststrangulationsmanövern. Solche Spezialmöbel seien aber insbesondere im Jahr 2000 kein pflegerischer Standart gewesen. Auch die von der Klägerin angesprochenen Vorstecktische seien nur bei dem entsprechenden Mobiliar wirksame Sicherungsmethoden. Ansonsten könne sich die Sturzgefahr sogar noch erhöhen, wenn die Patienten versuchen würden, sich aus diesen Begrenzungen zu befreien.

Insbesondere nach der Darstellung des Persönlichkeitsprofils von Frau H war das Gericht der Überzeugung, daß die Beklagte alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, um den Sturz am 31.03.2000 zu verhindern. Welche Maßnahmen zum Schutze des einzelnen Heimbewohners zu bestimmen seien, richte sich insbesondere nach dessen Krankheitsbild, aber auch nach dessen Persönlichkeit. Der Sachverständige habe eindrucksvoll erläutert, daß die von der Klägerin angeführten Hilfsmittel hier aus verschiedenen Gründen nicht angezeigt gewesen seien. Auch wenn sich der Gesundheitszustand der Frau H spätestens Anfang des Jahres 2000 erheblich verschlechtert habe, habe die Beklagte daher nach Auffassung des Gerichts alles erforderliche zur Abwendung von Gefahren getan. Insbesondere sei die Einrichtung eines Bettgitters beim Betreuungsgericht beantragt worden. Eine darüber hinaus gehende dauerhafte Fixierung sei weder angezeigt noch gesetzmäßig gewesen. Neben den von dem Sachverständigen angesprochenen weiteren Gesundheitsgefahren einer Vollfixierung widerspreche eine dauerhafte Fixierung auch dem Grundrecht der Menschenwürde und der persönlichen Freiheit. Eine selbstbestimmte Persönlichkeit wie Frau H dürfe nicht allein um den Preis der völligen Sicherheit in ihrem Bewegungsdrang vollständig eingeschränkt werden, ansonsten ginge ein großes Stück Lebensqualität für alte und kranke Menschen verloren.