In einem Verfahren vor dem Amtsgericht Paderborn ging es in dem Urteil vom 26.04.2011 (57 C 680/08) um die Frage, ob es im Falle der betreffenden Heimbewohnerin geboten gewesen sei, ein Bettgitter anzubringen oder andere Sicherungsmaßnahmen zu erwägen.

Das befand das Amtsgericht Paderborn den Feststellungen des Sachverständigen folgend nicht.

Die Anbringung eines Bettgitters für die Geschädigte sei zur damaligen Zeit medizinisch nicht geboten gewesen. Bei dem nachgewiesenen Bewegungsdrang und der mangelnden Einsicht der Geschädigten im Hinblick auf ihre Krankheitsbilder sei ein Bettgitter sogar kontraindiziert gewesen. Ein bis auf 25 cm hochgezogenes Bettgitter sei nur bei Patienten indiziert, die keinen Bewegungsdrang mehr zeigen oder ihre Bewegungen nicht mehr willkürlich steuern könnten.

Unstreitig sei bei der Geschädigten zeitweise versucht worden, ein Bettgitter zur Zeit ihres Aufenthaltes im Hause der Beklagten zu verwenden. Die Geschädigte habe sich hierbei aber nicht davon abhalten lassen, ihr Bett zu verlassen, sondern habe versucht, über das Bettgitter hinüber zu steigen. Die Geschädigte habe die Bettgitter zudem auf Befragung durch das Personal selbst als „schlecht“ bezeichnet und diese abgelehnt.

Diesen Umstand habe das Personal im Hause der Beklagten nach Auffassung des Gerichts zu Recht in die vor dem Einsatz bestimmter Sicherungsmaßnahmen zu treffende Abwägung mit eingestellt. Bei einem Patienten, der offensichtlich noch den Bewegungsdrang wie die Geschädigte verspüre, sei das Anbringen eines Bettgitters nicht angezeigt. Die nach den glaubhaften Bekundungen der Zeugen immer noch sehr selbstständig agierende Geschädigte sei durch das Anbringen eines Bettgitters einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt gewesen. Die Stürze, insbesondere die hier streitgegenständlichen, wären durch das Bettgitter nicht verhindert worden; die Verhinderung der Stürze wäre wohl nur unter einer ständigen Fixierung der Geschädigten möglich gewesen.

Diese Maßnahme erschien dem Gericht aber unter Berücksichtigung des geistigen und im übrigen körperlichen Zustandes der Geschädigten als zu weitgehend. Es stelle eine für den Patienten unzumutbare Einschränkung dar, wenn man zum Zwecke der Fortbewegung erst das Pflegepersonal mittels Klingel o.ä. um das Lösen der Fixierung bitten müsse. Da die Geschädigte insbesondere Wert darauf lege, ihre Toilettengänge allein vorzunehmen, habe weder ihr noch dem zuständigen Pflegepersonal ernsthaft eine ständige Fixierung zugemutet werden können. Auch die Tatsache, daß die Geschädigte immer noch selbstständig mit ihrem Rollator unterwegs gewesen sei, spreche dafür, daß diese bis zuletzt äußerst mobil gewesen. Dieser Umstand werde auch übereinstimmend von den gehörten Zeugen bestätigt. Bei einem derartig hohen Grad an Mobilität würden einengende Maßnahmen wie Bettgitter oder Fixierungsgurte nicht angezeigt erscheinen.

Dies gelte vor allem deshalb, da die vorliegenden Stürze nicht aus dem Bett heraus passiert seien, sondern bei der sonstigen alltäglichen Fortbewegung der Geschädigten. Auch insoweit könne der Beklagten daher keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Das Pflegepersonal habe diese Sicherungsmaßnahmen für entbehrlich halten dürfen.

Gleiches gelte für die von der Klägerin benannten Hüftprotektoren. Die Beweisaufnahme habe ergeben, daß der Geschädigten nahezu durchgehend das Anlegen von Hüftprotektoren angeboten worden sei. Die Geschädigte habe das Anlegen von Hüftprotektoren immer strikt abgelehnt. Sie habe sich dadurch insbesondere bei Toilettengängen zu stark eingeschränkt gefühlt.

Wenn die Patienten die ihnen angebotenen Sicherungsmaßnahmen jedoch kategorisch -mit im übrigen auch nachvollziehbarer Begründung- ablehnen würden, bleibe dem Pflegepersonal vor dem Erlaß eines entsprechenden betreuungsgerichtlichen Beschlusses nur die Möglichkeit, freiheitsentziehende Maßnahmen nach Maßgabe von § 1906 Abs. 2, 4 BGB bei Gefahr im Verzug unmittelbar selbst einzuleiten. Hierzu habe aber für die Beklagte keine Veranlassung bestanden. Denn es könne vorliegend auch insofern nicht festgestellt werden, daß der Beklagten bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen den Schutzinteressen und der Würde des Patienten ein Fehler unterlaufen sei.

Der Sachverständige habe in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Zeugen darüber hinaus festgestellt, daß die Niedrigpflegebetten, deren fehlender Einsatz von der Klägerin gerügt worden sei, im streitgegenständlichen Zeitraum 2006/2007 nicht zum pflegetechnischen Standard gehört hätten.

Der Sachverständige habe ferner erklärt, daß er sogar bis zum Jahr 2009 nicht ein einziges dieser Betten zu Gesicht bekommen hätte.

Darüber hinaus habe der Sachverständige in nachvollziehbarer Weise geschildert, daß Niedrigpflegebetten zwar verhindern könnten, daß sturzgefährdete Patienten tief fallen würden, es aber dann in aller Regel dazu komme, daß diese nicht wieder aufstehen könnten. Auch insoweit wäre durch die Nutzung eines Sicherheitssystems gleichzeitig wieder ein neues Risiko im Hinblick auf die Sicherung der Fortbewegung der Pflegebedürftigen geschaffen.

Auch unter Berücksichtigung des von der Klägerin ins Feld geführten „elektronischen Patienten-Überwachungssystem“ ergebe sich hier nichts anderes. Auch insoweit sei durch das Unterlassen des Einsatzes der Beklagten keine Pflichtverletzung anzulasten. Zum einen sei das angesprochene Überwachungssystem, welches dem Pflegepersonal im Einzelfall per Signal Nachricht davon gebe, wenn die zu überwachende Person sich in Bewegung setze, keineswegs als medizinischer und pflegerischer Standard in vergleichbaren Pflegeeinrichtungen anzusehen. Dies ergebe sich ebenfalls aus den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen. Dieser habe in seiner mündlichen Befragung schlüssig dargelegt, daß dieses System im hier fraglichen Zeitraum zur Jahreswende 2006/2007 zwar theoretisch schon vorhanden gewesen sei, jedoch nicht als medizinischer und pflegetechnischer Standard habe angesehen werden können. Im übrigen habe der Sachverständige ausgeführt, daß in keinem der von ihm betreuten Heimen –und davon gebe es nach seinen expliziten Bekundungen immerhin einige- ein solches System vorhanden sei.

Dieser Umstand spreche in erhöhtem Maße dafür, daß viele Heime die Möglichkeiten und Nachteile dieses Überwachungssystems bereits hinreichend abgewogen hätten, jedoch zu dem Schluß gekommen seien, daß durch den Einsatz des Systems zum einen eine unzumutbare Dauerüberwachung des Patienten stattfinde, zum anderen aber insbesondere Stürze durch das System auch nicht immer verhindert werden könnten. Immerhin gelange die technische Benachrichtigung erst dann an das Pflegepersonal, wenn der Patient das Bett verlassen habe (bei einer anderen technischen Alternative erst, wenn der Patient sich im Zimmer bewege). Dann könne es bei sturzgefährdeten Patienten aber bereits zum Sturz gekommen sein, bevor das Pflegepersonal helfend eingreifen könne.

Nach Auffassung des Gerichts dürfte dies sogar in einer Vielzahl der Fälle gelten (so auch schon OLG Sachsen-Anhalt v. 31.03.2005, 2 U 96/04).

Auch insoweit könne der Beklagten kein Vorwurf von Versäumnissen im Hinblick auf die Betreuung der Geschädigten gemacht werden, da eine Rundumüberwachung der Geschädigten weder geboten noch unter angemessenem Aufwand realisierbar gewesen wäre. Eine lückenlose Überwachung sei auch bereits nach der Rechtsprechung nicht finanzierbar und würde eine erhebliche Überdehnung der Pflichten des Pflegepersonals bedeuten (vgl. OLG Hamm in ZfS 2003, 279 f.; OLG Schleswig, Urteil v. 17.12.2003, AZ: 9 U 120/02).

Das Verlegen von Fallschutz-Abrollmatten sei ebenfalls keine Maßnahme gewesen, welche das Personal der Beklagten bei der Pflege der Geschädigten hätte ernsthaft in Erwägung ziehen müssen.

Die Zeuginnen hätten übereinstimmend und unabhängig voneinander erklärt, daß sich die Geschädigte bis zuletzt mit einem Rollator fortbewegt habe, welcher immer direkt an ihrem Bett gestanden habe.

Es erschien dem Gericht äußerst nachvollziehbar, wenn sowohl die Zeuginnen als im übrigen auch der Sachverständige zu erkennen geben würden, daß das Verlegen von Matten vor dem Bett bei der Geschädigten auf Grund des Rollators die Sturzgefahr unnötig erhöht hätte.

Eine andere Betrachtungsweise ergebe sich auch nicht unter Heranziehung der „Expertenstandards zur Sturzprophylaxe„. Der Sachverständige habe hierzu ausgeführt, daß dieses Werk erst acht Wochen vor den hier streitgegenständlichen Stürzen der Geschädigten in der endgültigen Fassung veröffentlicht worden sei, wobei die Implementierung der vorgeschlagenen Standards aber ein mehrmonatiges Zeitfenster benötige. Von der Beklagten habe man eine Umsetzung der „Expertenstandards zur Sturzprophylaxe“ daher im streitgegenständlichen Zeitraum noch gar nicht erwarten können.

An dieser Stelle sei überdies bereits fraglich, ob die „Expertenstandards zur Sturzprophylaxe“ unmittelbare Schutzpflichten auf Seiten der Beklagten hätten begründen können. Denn es sei zu berücksichtigen, daß es sich bei den „Expertenstandards zur Sturzprophylaxe“ nur um „Leitlinien“ und nicht um zur Umsetzung verpflichtende „Richtlinien“ handele. Auch insoweit verbleibe es bei einer vom Pflegepersonal vorzunehmenden Abwägung zwischen Schutzinteressen und Freiheitsinteressen des jeweiligen Patienten. Diese Abwägung habe die Beklagte -wie dargelegt- in beanstandungsfreier Weise durchgeführt und sei zu vertretbaren Ergebnissen gelangt. Eine Pflichtverletzung liege jedenfalls nicht vor.