Nr. 1387 BGH-BGB §§ 1629, 1796, 1909; FamFG §§ 7, 9, 158

Der Bundesgerichtshof führte in seinem Beschluß vom 07.09.2011 (XII ZB 12/11), daß das minderjährige Kind im Verfahren zur Übertragung der elterlichen Sorge vom Familiengericht hinzuzuziehen sei und somit formeller Verfahrensbeteiligter („Muß-Beteiligter“) sei.

Sei das Kind nicht selbst verfahrensfähig und bedürfe es im Verfahren daher der gesetzlichen Vertretung, so sei diese grundsätzlich von den sorgeberechtigten Eltern ungeachtet ihrer eigenen Verfahrensbeteiligung wahrzunehmen.

Auch im Fall eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Eltern und Kind dürfe den Eltern die Vertretungsbefugnis im Zusammenhang mit einem Kindschaftsverfahren dann nicht entzogen werden, wenn bereits durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands für eine wirksame Interessenvertretung des Kindes Sorge getragen werden könne. Daß der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sei, stehe dem nicht entgegen.

In dem dem Bundesgerichtshof vorliegenden Fall begehrte die Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind. Das Kind lebte seit der Trennung der Parteien im Haushalt des Antragsgegners. Auf Veranlassung des Familiengerichts wurde ein Ergänzungspfleger für das minderjährige Kind bestellt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter hatte das OLG zurückgewiesen. Aufgrund der zugelassenen Rechtsbeschwerde hatte der BGH die Ergänzungspflegschaft aufgehoben.

Ausgangspunkt sei die formelle Verfahrensbeteiligung des minderjährigen Kindes nach § 7 FamFG. Da das Kind minderjährig und damit nicht verfahrensfähig sei, habe es im Verfahren gesetzlich vertreten werden müssen. Die gesetzliche Vertretungsbefugnis liege grundsätzlich gem. § 1629 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB bei den sorgeberechtigten Eltern. Diese seien nach Auffassung des Oberlandesgerichts wegen widerstreitender Interessen an einer Vertretung gehindert gewesen.

Der Bundesgerichtshof die Ansicht, das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern führe nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands sei als milderes Mittel zu betrachten, das eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft entbehrlich mache.

Zutreffend sei der rechtliche Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, daß das betroffene Kind im Unterschied zu der bis August 2009 bestehenden Rechtslage am Kindschaftsverfahren immer formell beteiligt sei und es, weil es nicht verfahrensfähig sei, zur Wahrung seiner (Verfahrens-)Rechte eines gesetzlichen Vertreters bedürfe. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG seien vom Familiengericht diejenigen als Beteiligte hinzuzuziehen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen werde. Das sei bei dem vom Sorgeverfahren betroffenen Kind der Fall, weil das Verfahren zu einer Änderung des zwischen Eltern und Kind bestehenden Sorgeverhältnisses führen könne. Gemäß § 9 Abs. 1 FamFG seien die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen nur ausnahmsweise verfahrensfähig, wenn sie als geschäftsfähig anerkannt seien (Nr. 2) oder soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet hätten und sie in einem Verfahren, das ihre Person betreffe, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machten (Nr. 3). Sei das Kind in diesem Sinne nicht verfahrensfähig, so würden für dieses gemäß § 9 Abs. 2 FamFG die nach bürgerlichem Recht dazu befugten Personen handeln, mithin im Regelfall seine sorgeberechtigten Eltern in gemeinschaftlicher Vertretung (§ 1629 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB).

Gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 3 1. Halbs. BGB könne das Familiengericht dem Vater und der Mutter nach § 1796 BGB – wie einem Vormund – die Vertretung entziehen. Nach § 1796 Abs. 1 BGB könne das Familiengericht dem Vormund die Vertretung für einzelne Angelegenheiten oder für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten entziehen. Die Entziehung solle nach § 1796 Abs. 2 BGB nur erfolgen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse des Vor-munds in erheblichem Gegensatz stehe.

Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts sei ein solcher Interessengegensatz gegeben, weil um den Aufenthalt des Kindes gestritten werde, die Wohnorte der Eltern weit voneinander entfernt seien und sich die für das Wohl des Kindes bedeutsamen Umstände vom Interesse eines Elternteils, zukünftig gemeinsam mit dem Kind in einem völlig neuen Umfeld einen eigen-ständigen Lebensmittelpunkt zu begründen, erheblich unterscheiden könnten.

Das sei als tatrichterliche Feststellung nicht zu beanstanden.

Die Beurteilung entspreche insbesondere dem Grundgedanken der verfassungsrechtlich begründeten Notwendigkeit einer eigenständigen Interessenvertretung für das Kind, wenn die Eltern über einen Aufenthaltswechsel des Kindes streiten würden. Dementsprechend sehe das Gesetz in § 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG in der Regel die Notwendigkeit einer gesonderten Interes-senvertretung für das Kind vor, wenn im betreffenden Verfahren eine Änderung des bestehenden Obhutsverhältnisses in Rede stehe. Eine solche Lage sei im vorliegenden Fall gegeben, denn die Mutter erstrebe mit ihrem Antrag einen Wechsel des Kindes in ihre Obhut. Demnach lägen im vorliegenden Fall nicht nur die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrensbeistands für das Kind vor, sondern im Ausgangspunkt auch die – übereinstimmenden – Voraussetzungen für eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3 1. Halbs., 1796 BGB.

Das Oberlandesgericht habe bei der Anordnung der Ergänzungspflegschaft die Interessenvertretung durch einen Verfahrensbeistand nicht als gleichwertige Maßnahme angesehen, weil das „Konstrukt“ der Bestellung eines Verfahrensbeistands die Notwendigkeit der gesetzlichen Vertretung des mit Inkrafttreten des FamFG formell am Verfahren beteiligten Kindes nicht zu ersetzen vermöge.

Dem könne, so der Bundesgerichtshof, nicht beigetreten werden.

Das Verhältnis von Verfahrensbeistandschaft und Ergänzungspflegschaft nach Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis ist allerdings umstritten.

Die Auffassung des Oberlandesgerichts, die dieses bereits in einer früheren Entscheidung vertreten habe, teilten eine weitere Entscheidung des OLG Oldenburg (11. Zivilsenat, Beschluß vom 8. Februar 2011 – 11 UF 195/10) sowie Stimmen in der Literatur. Die vom Oberlandesgericht als seiner Auffassung zustimmend aufgeführte Rechtsprechung sei aller-dings für Verfahren nach § 1671 BGB bereits nicht einschlägig. Denn die genannten Entscheidungen beträfen durchweg andere Fallkonstellationen.

Überwiegend sei die Ansicht des Oberlandesgerichts auf Ablehnung gestoßen. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands sei als milderes Mittel zu betrachten, das eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft entbehrlich mache.

Das Vorliegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Kind und Eltern führe nicht notwendigerweise zur Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis. Da es sich bei der Entziehung der Vertretungsbefugnis um einen Eingriff in das Elternrecht handele, sei vielmehr der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Daher habe das Gericht vor Entziehung der Vertretungsbefugnis in jedem Fall zu prüfen, ob dem Interessengegensatz nicht auf andere Weise Rechnung getragen werden könne. Wenn mildere Maßnahmen möglich seien, um dem Interessenkonflikt wirksam zu begegnen, sei die Entziehung der Vertretungsbefugnis übermäßig und daher rechtswidrig.

Davon sei im Ansatz auch das Oberlandesgericht ausgegangen. Es habe allerdings die Bestellung des Verfahrensbeistands nicht als gleich wirksame Maßnahme angesehen. Damit habe es die vom Gesetzgeber im Zuge der FGG-Reform getroffenen Wertungen und die darauf beruhende Gesetzessystematik nicht hinreichend beachtet.

Die Wahrnehmung der Kindesinteressen in einem auf die Person bezogenen Kindschaftsverfahren sei originäre Aufgabe des Verfahrensbeistands.

Auch wenn ursprünglich – unter anderem – die fehlende formelle Beteiligung des Kindes ein Beweggrund für die Einführung des Verfahrenspflegers gewesen sei, führe die Einbeziehung minderjähriger Kinder in den Kreis der notwendigerweise am Kindschaftsverfahren zu Beteiligenden („Muß-Beteiligte“) nicht dazu, daß nunmehr das Institut des Verfahrensbei-stands als Interessenvertreter („Anwalt“) des Kindes etwa durch den Ergänzungspfleger abgelöst werden sollte. Daß dies nicht in der Absicht des Gesetzgebers im Rahmen der FGG-Reform gelegen habe, werde dadurch verdeutlicht, daß er dem Verfahrensbeistand besondere Aufmerksamkeit gewidmet und dessen Stellung aufgrund der seit seiner Einführung im Jahr 1998 gewonnenen Praxiserfahrungen näher ausgeformt habe. Hierbei habe der Gesetzgeber unter anderem unterstrichen, daß die Bestellung des Verfahrensbeistands nicht im Ermessen des Familiengerichts stehe, sondern zwingend zu erfolgen habe (§ 158 Abs. 1 FamFG). Ferner seien die Aufgaben des Verfahrensbeistands, insbesondere Aufklärungspflicht und Interessenvertretung einschließlich der adäquaten Information des Kindes, näher konkretisiert worden. Und schließlich stelle das Gesetz nunmehr klar, daß der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sei (§ 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG) und daß seine Bestellung nicht selbständig anfechtbar sei (§ 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG).

Daß der Verfahrensbeistand nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes sei und sein Handlungsspielraum insoweit gegenüber dem des Ergänzungspflegers begrenzt sei, begründe entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht die Notwendigkeit, die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen. Gerade die der Regelung in § 158 Abs. 4 Satz 6 FamFG zugrunde liegenden Erwägungen zeigten vielmehr, daß es nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mit der Bestellung des Verfahrensbeistands als Interessenvertreter des Kindes selbst bei Interessenkonflikten regelmäßig auch bewenden solle.

Daß dem Verfahrensbeistand nicht die Befugnis zur gesetzlichen Vertretung zugedacht sei, beruhe auf der gesetzgeberischen Zielsetzung, den Eingriff in das Elternrecht möglichst gering zu halten (BT-Drucks. 16/6308 S. 240). Die gesetzliche Regelung beruhe daher auf der Annahme, daß die dem Verfahrensbeistand verliehenen Befugnisse zur effizienten Wahrung der Kindesinteressen ausreichend seien und gleichzeitig in die Befugnisse der Eltern nicht weiter eingegriffen werden solle, als es zur Erreichung dieses Ziels notwendig sei.

Dem würde es widersprechen, wenn durch die tatbestandlich unter denselben Voraussetzungen stehende und demselben Zweck dienende Entziehung der Vertretungsbefugnis gleichwohl noch weitergehend in das Elternrecht eingegriffen würde.
Auch mit dem Ausschluß der selbständigen Anfechtbarkeit (§ 158 Abs. 3 Satz 4 FamFG) habe der Gesetzgeber konkrete sachliche Wertungen verbunden. Dieser diene dem ausdrücklich genannten Zweck, Verfahrensverzögerungen zu verhindern (BT-Drucks. 16/6308 S. 239). Auch diesem Ziel würde es aber zuwiderlaufen, wenn entweder neben oder anstatt der Bestellung eines Verfahrensbeistands die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen wäre. Dann wäre ein gesondertes Verfahren erforderlich, welches rechtsmittelbewehrt wäre und die gesetzliche Vertretung im Kindschaftsverfahren in der Schwebe ließe. Der Gesetzgeber habe indessen im Gegenteil der Verfahrensbeschleunigung (vgl. § 155 FamFG) den Vorzug gegeben, was entwertet würde, wenn zugleich regelmäßig die elterliche Vertretungsbefugnis zu entziehen wäre.

Daß in Fällen des wesentlichen Interessengegensatzes von Eltern und Kind stets eine Entziehung der Vertretungsbefugnis angezeigt wäre, könne demnach nicht als Wille des Gesetzgebers unterstellt werden, schon weil er sich damit zu seiner abgewogenen eigenen Entscheidung zur Reichweite der Interessenvertretung des Kindes im Verhältnis zum Elternrecht und zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen in Widerspruch gesetzt hätte.

Schließlich sei der Ergänzungspfleger auch nicht mit der in § 158 Abs. 5 FamFG ausdrücklich genannten Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder anderen geeigneten Verfahrensbe-vollmächtigten vergleichbar. Denn hierbei handele es sich nicht um gesetzliche Vertreter, sondern um (rechtsgeschäftlich) Bevollmächtigte. Diese § 50 Abs. 3 FGG entsprechende Regelung gehe überdies davon aus, daß Vollmachtgeber gerade das – ausnahmsweise verfahrensfähige – Kind oder seine Eltern seien.

Selbst wenn man aber davon abweichend noch von einer Widersprüchlichkeit der Gesetzesmaterialien ausgehen wollte, so käme von mehreren sich – vordergründig – widerspre-chenden Aussagen derjenigen das ausschlaggebende Gewicht zu, welche mit bewußten gesetzgeberischen Wertungen verbunden sei. Die in diesem Sinne spezielleren Wertungen seien hier aber zweifellos zur Regelung des Verfahrens-beistands getroffen worden. Sowohl die bewusste Begrenzung des Eingriffs in das Elternrecht als auch das mit dem Ausschluß der Anfechtbarkeit verfolgte Ziel einer raschen und damit schonenden Konfliktlösung in Kindschaftssachen sprächen für den Verfahrensbeistand als vorrangigen Interessenvertreter des Kindes. Daß die Konsequenz der fortbestehenden Vertretungsbefugnis der Eltern vom Gesetzgeber gesehen und auch gewollt gewesen sei, belege abermals die Gesetzesbegründung, indem sie ausdrücklich herausgestellt habe, daß die Eltern auch nach der Bestellung des Verfahrensbeistands in vollem Umfang zur Vertretung des Kindes berechtigt seien (BT-Drucks. 16/6308 S. 239). Für diese Feststellung hätte keine Veranlassung bestanden, wenn unter denselben Vo-raussetzungen wie für die Bestellung des Verfahrensbeistands den Eltern außerdem noch ihre gesetzliche Vertretungsbefugnis entzogen werden müßte.

§ 1796 BGB sei demnach im Zusammenhang mit Kindschaftsverfahren dahin zu verstehen, daß eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis dann nicht angeordnet werden dürfe, wenn durch die Bestellung eines Verfahrensbeistands bereits auf andere Weise für eine wirksame Interessenvertretung des Kindes Sorge getragen werden könne. Das sei in Verfahren, welche die Person des Kindes beträffen, der Fall. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands sei dabei nicht auf Verfahren, die die Personensorge beträffen, be-schränkt, sondern erfasse alle Verfahren, die sich nicht ausschließlich auf Vermögensangelegenheiten beziehen würden

In dem vorliegenden Fall sei die Bestellung eines Verfahrensbeistands zulässig und ausreichend gewesen, die Bestellung eines Ergänzungspflegers durch das Amtsgericht und die damit ver-bundene Entziehung der Vertretungsbefugnis sei nicht geboten gewesen und demzufolge unzulässig.