Das Oberlandesgericht Hamm befaßte sich in seinem Urteil vom 14.09.2011 mit den Thematiken Kindesbetreuung durch den Unterhaltsverpflichteten und dem Halbteilungsgrundsatz.

Mit dem Urteil des Oberlandesgericht Hamm vom 14.09.2011 (II-5 UF 45/11) muß sich der unterhaltsberechtigte betreuende Elternteil nicht darauf verweisen lassen, daß der unterhaltspflichtige Elternteil verstärkt die Übernahme der Kindesbetreuung übernehmen will, wenn dies nicht mit dem Kindeswohl im Einklang stehe.

Gegen eine erhebliche Ausweitung der Betreuung spräche in diesem Fall, daß der unterhaltspflichtige Elternteil nur zu einer schriftlichen Kommunikation mit dem andren Elternteil bereit sei.

Der Halbteilungsgrundsatz gebiete die hälftige Aufteilung des verteilungsfähigen Einkommens, d.h. des Teils der prägenden Einkünfte, der zur Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung stehe. Dabei verstoße es nicht gegen den Halbteilungsgrundsatz, wenn bei Erwerbseinkünften vorab der Erwerbstätigenbonus abgezogen werde.

In dem Verfahren hatte der Kläger begehrt die Abänderung zweier Titel über Kindes- und Scheidungsunterhalt begehrt.

Der Kläger und die Beklagte zu 5. hatten im Juni 1995 die Ehe geschlossen, aus der die Beklagten zu 1. bis 4. hervorgegangen waren. Die Kindeseltern waren seit dem 9.1.2007 rechtskräftig geschieden. Die Beklagten zu 1. bis 4. lebten bei der Beklagten zu 5., der durch das Scheidungsurteil auch die alleinige elterliche Sorge übertragen worden war. Der Kläger hatte damals regelmäßigen Umgang mit den drei jüngeren Kindern, nicht jedoch mit der ältesten Tochter G, die einen Umgang ablehnte.

Der Kläger war Arzt, jedoch bereits seit längerem krankheitsbedingt erwerbsunfähig. Er bezog entsprechende Renten der Ärzteversorgung, der kirchlichen ZVK und einer privaten Rentenversicherung bei der Q. Er bewohnte die vormalige Eheimmobilie, die nach Durchführung des Zugewinnausgleichs in seinem Alleineigentum stand. Die Immobilie war noch mit mehreren Krediten belastet. Darlehensschuldner war inzwischen allein der Kläger. Der Kläger hatte eine weitere Tochter aus einer anderen Beziehung – T – der gegenüber er aber nicht mehr unterhaltspflichtig war.

Die Beklagte zu 5. war gelernte Krankenschwester mit einer Zusatzausbildung als Stationsleitung. Vor der Eheschließung hatte sie teilweise auch als Stationsleitung gearbeitet, nicht jedoch während der Ehezeit. Nach der Eheschließung war sie noch bis zur Geburt des ersten Kindes im Oktober 1996 als einfache Krankenschwester auf einer Intensivstation in einem Krankenhaus in J tätig. Nach Beendigung des Erziehungsurlaubs kehrte sie trotz Anfrage des Krankenhauses nicht in ihren Beruf zurück, wobei die näheren Umstände zwischen den Parteien streitig waren. Sie übte zeitweise eine Tätigkeit bei der Fa. „Q2“ aus, für die sie telefonisch Verkaufsveranstaltungen organisierte. Aus dieser Tätigkeit erzielte sie durchschnittlich 20,00 € im Monat. Seit April 2010 war die Beklagte zu 5. als Haushaltshilfe teilschichtig mit 12 Wochenstunden erwerbstätig mit einem Bruttoverdienst von 420,00 €. Sie arbeitete vormittags in der Zeit von 9.30 Uhr bis 12.30 Uhr.

Die älteste Tochter, G, besuchte die Realschule nunmehr in der 9. Klasse. Diese Schule bot weder eine Ganztags-noch eine Übermittagbetreuung an, der Schulunterricht endet um 13.10 Uhr. Sohn N besuchte das X-Gymnasium. Sohn G2 und Tochter B2 besuchten zum Zeitpunkt der Einleitung des Abänderungsverfahrens noch die Grundschule in I. Diese lag ca. 500 m von der Wohnung der Kindesmutter entfernt und bot im Rahmen der Offenen Ganztagsschule eine Betreuung bis 16.30 Uhr an. Inzwischen ware G2 und zu Beginn des neuen Schuljahres nunmehr auch B2 auf das X-Gymnasium gewechselt. Am Gymnasium fand an drei Tagen Ganztagsunterricht bis 14.55 Uhr statt, an den anderen Tagen endete der Unterricht um 13.10 Uhr.

Durch Vergleich vom 5.7.2005 (AG Iserlohn 14 F 52/05) hatte sich der Kläger zur Zahlung von Kindesunterhalt für die Beklagten zu 1. bis 4. in Höhe von jeweils 160 % des Regelbetrags der jeweiligen Altersstufe abzüglich hälftigen Kindergeldes verpflichtet.

Diesen Vergleich wollte der Kläger mit seiner Abänderungsklage nun geändert wissen.

Mit dem am 25.1.2011 verkündeten Urteil hatte das Amtsgericht der Abänderungsklage nur teilweise stattgegeben. Auf Seiten der Beklagten zu 5. sei das derzeit tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde zu legen, dieses allerdings bereits schon für das Jahr 2009. Eine weitergehende Erwerbstätigkeit sei von der Beklagten zu 5. im Hinblick auf Anzahl und Alter der Kinder nicht zu verlangen. Insbesondere sei eine teilweise Übernahme der Betreuung durch den Kläger nicht möglich, da die Kindeseltern erklärtermaßen nicht miteinander sprechen würden.

Das Oberlandesgericht führte in seiner Entscheidung aus, daß bei der Ermittlung des Unterhaltsanspruchs auf Seiten der Beklagten zu 5. nicht von den seit dem 1.4.2010 tatsächlich erzielten Einkünften auszugehen sei. Vielmehr seien der Beklagten zu 5. für den fraglichen Zeitraum ab Juli 2009 fiktiv Einkünfte aus einer halbschichtigen Tätigkeit im Pflegebereich in Höhe von bereinigt 635,00 € monatlich zuzurechnen.

Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung des § 1570 BGB den nachehelichen
Betreuungsunterhalt grundlegend umgestaltet. Er habe einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann (BT-Drucks. 16/6980 S. 8 f.). Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidung seien nach dem Willen des Gesetzgebers kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen. Obwohl der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB als Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ausgestaltet sei, werde er vor allen Dingen im Interesse des Kindes gewährt, um dessen Betreuung und Erziehung sicherzustellen (BT-Drucks. 16/6980 S. 9).

Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres stehe dem betreuenden Elternteil nach der gesetzlichen Neuregelung nur dann ein fortdauernder Anspruch auf Betreuungsunterhalt zu, wenn und soweit dies der Billigkeit entspreche (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Damit verlange die Neuregelung allerdings regelmäßig keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit (BT-Drucks. 16/6980 S. 9). Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB) und elternbezogenen (§ 1570 Abs. 2 BGB) Gründe sei auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich.

Zugleich habe der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Neuregelung des § 1570 BGB dem unterhaltsberechtigten Elternteil die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus auferlegt. Kind- oder elternbezogene Gründe, die zu einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus aus Gründen der Billigkeit führen könnten, seien deswegen vom Unterhaltsberechtigten darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.

Die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes sei nach den individuellen Verhältnissen zu ermitteln. Nur wenn das betroffene Kind einen Entwicklungsstand erreicht habe, in dem es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zeitweise sich selbst überlassen bleiben könne, komme es aus kindbezogenen Gründen insoweit nicht mehr auf eine vorrangig zu prüfende Betreuungsmöglichkeit in einer kindgerechten Einrichtung an.

Kindbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts nach Billigkeit würden im Rahmen der Billigkeitsentscheidung das stärkste Gewicht entfalten und seien deswegen stets vorrangig zu prüfen (BT-Drucks. 16/6980 S. 9).

Allerdings habe der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Betreuungsunterhalts zum 1. Januar 2008 für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres grundsätzlich den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben. In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besuche oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, könne sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes und somit nicht mehr auf kindbezogene Verlängerungsgründe im Sinne von § 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB berufen. Das gelte sowohl für den rein zeitlichen Aspekt der Betreuung als auch für den sachlichen Umfang der Betreuung in einer kindgerechten Einrichtung.

Die Berücksichtigung elternbezogener Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts sei hingegen Ausdruck der nachehelichen Solidarität. Maßgeblich sei dabei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Betreuung (BT-Drucks. 16/6980 S. 9). Das Vertrauen des unterhaltsberechtigten Ehegatten gewinne bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung gemeinsamer Kinder weiter an Bedeutung (§ 1570 Abs. 2 BGB). Die ausgeübte oder verlangte Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils dürfe neben dem nach der Erziehung und Betreuung in einer Tageseinrichtung verbleibenden Anteil der persönlichen Betreuung nicht zu einer überobligatorischen Belastung des betreuenden Elternteils führen. Unter Berücksichtigung des konkreten Betreuungsbedarfs sei dann eine Prüfung geboten, ob und in welchem Umfang die Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Elternteils auch während der Zeit der möglichen Betreuung des Kindes in einer kindgerechten Einrichtung eingeschränkt sei.