Das Landesarbeitsgericht Hamm befand in seinem Urteil vom 11.03.2011 (18 Sa 1170/10), daß eine zweistufige tarifliche Ausschlußfrist, die eine Frist von zwei Monaten zur gerichtlichen Geltendmachung auch solcher Ansprüche anordne, die – wie Ansprüche auf Annahmeverzugslohn – vom Ausgang eines Bestandsschutzrechtsstreits abhängen würden, das Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletze, da sich das Kostenrisiko des klagenden Arbeitnehmers im Bestandsschutzrechtsstreit unangemessen erhöhe, wenn ihn die Obliegenheit treffe, derartige Ansprüche während des noch laufenden Bestandsschutzverfahrens einzuklagen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 01.12.2010 – 1 BvR 1682/07).

Dies führe jedoch nicht dazu, daß die zweite Stufe der tariflichen Ausschlußfrist für Ansprüche, die vom Ausgang eines Bestandsschutzrechtsstreits abhängen würden, entfalle; vielmehr beginne die Frist zur Geltendmachung dieser Ansprüche mit dem rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzrechtsstreits. Die tarifvertragliche Regelung sei insoweit fortzubilden bzw. ergänzend auszulegen.

In dem Berufungsverfahren des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht stritten die Parteien darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Nachzahlung von weiterem Arbeitsentgelt für die Monate April 2008 bis September 2008 gegen die Beklagte zustehe.

Der am 14.08.1960 geborene Kläger war seit dem 29.01.2006 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin im Betrieb in E als Produktionsmitarbeiter beschäftigt gewesen. Die Beklagte hatte ihren Hauptsitz in O Hessen. Im Arbeitsvertrag vom 15.12.2006 war unter § 2 vereinbart, daß die tariflichen Bestimmungen der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen für das Arbeitsverhältnis gelten. § 8 des Rahmentarifvertrages für die Arbeitnehmer der Industrie der Steine und Erden im Lande Hessen vom 27.04.2005 (nachfolgend: RTV) lautet:

„1. Ansprüche aus Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit, auf Zahlung von Zuschlägen jeder Art verfallen, wenn sie nicht innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit bei dem Arbeitgeber geltend gemacht werden.

2. Alle sonstigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit schriftlich erhoben werden.

3. Werden die Ansprüche abgelehnt, so verfallen sie, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung gerichtlich geltend gemacht werden.“

Zwischen den Parteien war eine Befristung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2008 vereinbart. Über die Wirksamkeit dieser Befristung führten die Parteien einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Hagen. Mit dem Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 12.08.2008 (1 Ca 372/08) wurde festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung zum 31.01.2008 beendet worden sei. Das Urteil ist den Parteien am 29.08.2008 zugestellt und rechtskräftig geworden.

Am 22.02.2008 unterzeichnete der Kläger ein mit „Empfangsbestätigung-Ausgleichsquittung“ überschriebenes Dokument. Unter dem 11.03.2008 schlossen die Parteien eine Vereinbarung über ein befristetes Prozesßbeschäftigungsverhältnis ab. Am 13.04.2008 nahm Kläger die Arbeit auf.

Die Beklagte vergütete bis einschließlich September 2008 im wesentlichen nur die geleisteten Arbeitsstunden des Klägers ohne Zuschläge und Sonderzahlungen; der Kläger erhielt auch keine Entgeltfortzahlung für Feiertage und Urlaubstage. Ab Oktober 2008 wurde der Kläger wieder zu den ursprünglichen Bedingungen eingesetzt und vergütet.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.07.2008, welches vorab per Telefax an die Beklagte gesandt wurde, beanstandete der Kläger die zu niedrige Zahlung des Lohns für den Zeitraum von April bis Juni 2008 und machte die fehlenden Lohnbestandteile auch für die Zukunft geltend. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.07.2009 machte der Kläger Differenzlohnansprüche für die Zeit vom 01.02.2008 bis 30.09.2008 geltend und bezifferte diese Ansprüche. Mit Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten vom 10.08.2009 lehnte die Beklagte die geltend gemachten Ansprüche ab.

Mit seiner am 09.10.2009 beim Arbeitsgericht Hagen eingegangenen Klage forderte der Kläger Entgeltansprüche für den Zeitraum von 01.02.2008 bis zum 30.09.2008 ein. Innerhalb dieser Zeit hatte er Arbeitslosengeld in Höhe von 2.660,46 € sowie von der Beklagten Gehalt in Höhe von zuletzt unstreitig 10.780,00 € brutto erhalten. Diese Beträge ließ sich der Kläger auf seine Klageforderung anrechnen. In der Klageschrift hatte der Kläger einen Betrag in Höhe von 21.551,36 € brutto begehrt. Mit dem Schriftsatz vom 26.03.2010 reduzierte er die Forderung auf einen Betrag in Höhe von 20.011,89 € brutto abzüglich der von der Beklagten beziehungsweise der Bundesagentur für Arbeit erhaltenen Beträge.

Der Kläger war der Ansicht, die streitgegenständlichen Zahlungsansprüche stünden ihm unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zu. Die verspätete Aufnahme des Prozeßarbeitsverhältnisses könne nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden, da er vom 25.03.2008 bis zum 11.04.2008 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Auch die unterschriebene Ausgleichsquittung führe nicht zum Untergang des Anspruchs, da es sich insoweit um eine überraschende Klausel angesichts fehlender drucktechnischer Hervorhebung handele. Die Ausschlußfrist des Tarifvertrages sei unwirksam, da die einzelne Frist kürzer als 3 Monate sei. Im übrigen habe er durch das Anwaltsschreiben vom 08.07.2008 sowie durch die Entfristungsklage vom 19.02.2008 die tarifliche Ausschlußfrist eingehalten.

Das Landesarbeitsgericht bestätigte das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts und führte aus, daß der Kläger die zweimonatige Ausschlussfrist nach § 8 Nr. 3 RTV versäumt habe.

Er habe die streitgegenständlichen Ansprüche nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung durch die Beklagte gerichtlich geltend gemacht.

Zwar hat der Kläger die Frist zur schriftlichen Geltendmachung nach § 8 Nr. 1 RTV gewahrt, indem er Klage gegen die arbeitsvertragliche Befristungsabrede vor dem Arbeitsgericht Hagen erhoben habe.

Die Erhebung einer Kündigungsschutzklage sei grundsätzlich geeignet, die in Ausschlußfristenregelungen vorgesehene schriftliche außergerichtliche Geltendmachung zu erfüllen, soweit Ansprüche betroffen seien, die vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abhängen würden. Dies gelte auch bei zweistufigen Ausschlußfristen für die erste Stufe der außergerichtlichen Geltendmachung (BAG, Urteil vom 14.12.2005 – 10 AZR 70/05).

Der Kläger sei daher nicht gehalten gewesen, die streitgegenständlichen Ansprüche nach Erhebung der Entfristungsklage noch gesondert schriftlich geltend zu machen. Die streitgegenständlichen Ansprüche würden vom Ausgang des Bestandsschutzverfahrens abhängen. Die arbeitsvertraglich vereinbarte Entlohnung auch für Zeiten, in denen er seine Arbeitsleistung aufgrund von Urlaub und Feiertagen nicht erbracht habe, könne der Kläger nach Ablauf des Befristungszeitraumes nur verlangen, wenn die Befristung unwirksam sei und das Arbeitsverhältnis fortbestehe.

Die Beklagte habe mit dem Schriftsatz vom 04.03.2008 im Bestandsschutzverfahren Klageabweisung beantragt und damit auch die Ansprüche des Klägers abgelehnt.

Der vom Arbeitgeber im Bestandsschutzprozeß schriftsätzlich angekündigte und dem Arbeitnehmer oder seinem Prozeßbevollmächtigten zugegangene Klageabweisungsantrag stelle eine schriftliche Ablehnung der Vergütungsansprüche dar, die der Arbeitnehmer mit der Bestandsschutzklage geltend mache. Eine ausdrückliche Ablehnungserklärung sei nicht erforderlich (BAG, Urteil vom 17.11.2009 – 9 AZR 745/08). Lasse der Arbeitnehmer die Bestandsschutzklage durch einen Bevollmächtigten erheben und mache er damit seine Ansprüche aus Annahmeverzug geltend, sei der Vertreter zugleich bevollmächtigt, die Ablehnungserklärung des Arbeitgebers entgegenzunehmen (BAG, Urteil v. 26.04.2006 – 5 AZR 403/05).

Nach § 8 Nr. 3 RTV werde die zweite Stufe der Ausschlußfrist bereits mit der Ablehnung der Ansprüche in Gang gesetzt. Die Frist sei abgelaufen gewesen, als der Kläger seine Ansprüche mit der Klage, die am 09.10.2009 beim Arbeitsgericht einging, gerichtlich geltend gemacht habe.

Der Kläger habe die hier streitgegenständlichen Ansprüche nicht schon mit der Entfristungsklage im Sinne des § 8 Nr. 3 RTV gerichtlich geltend gemacht.

Im Hinblick auf Zahlungsansprüche sei diese Klage nicht geeignet, eine tarifliche Ausschlußfrist zu wahren, mit der die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen verlangt werde. Die Bestandsschutzklage enthalte auch dann keine gerichtliche Geltendmachung von Zahlungsansprüchen, wenn diese Ansprüche vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängen würden (BAG, Urteil vom 17.11.2009 – 9 AZR 745/08). Die gerichtliche Verfolgung von Vergütungsansprüchen setze die Einreichung einer Klage voraus, deren Streitgegenstand diese Ansprüche seien. Gegenstand einer Entfristungsklage sei demgegenüber die Wirksamkeit einer Kündigung.

Es sei festzustellen, daß der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche durch die Erhebung der Zahlungsklage am 08.03.2010 nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht habe.

Dies gelte im Ergebnis auch dann, wenn man berücksichtige, daß der Kläger Ansprüche einfordere, deren Bestehen, wie bereits dargelegt, vom Ausgang des Bestandsschutzrechtsstreits abhängig gewesen sei.

Die zweimonatige Frist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 8 Nr. 3 RTV sei bereits abgelaufen gewesen, als der Kläger die Zahlungsklage am 09.10.2010 erhoben habe.

Die Frist habe am 30.09.2009 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt sei das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 12.08.2008 rechtskräftig geworden.

Rechtsfolge der Fristversäumung sei das Erlöschen der streitgegenständlichen Ansprüche.

Der Beklagten sei es nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB nicht verwehrt, sich darauf zu berufen, daß die Ansprüche des Klägers erloschen seien

Zwar sei es denkbar, daß eine Partei, die sich auf den Verfall von Ansprüchen nach tariflichen Ausschlussfristen berufe, rechtsmißbräuchlich handele und ihr dieser Einwand daher zu versagen sei. Das könne der Fall sein, wenn der Anspruchsberechtigte seine Ansprüche nicht erheben könne, weil der Anspruchsschuldner keine Abrechnung erteile oder diese verzögere, oder wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlaßt worden sei, insbesondere wenn ein Arbeitnehmer auf Grund von Zusicherungen des Arbeitgebers darauf habe vertrauen dürfen, dieser werde den Anspruch auch ohne fristgerechte Geltendmachung erfüllen (BAG, Urteil vom 13.12.2007 -6 AZR 222/07 m.w. N.).

Die Beklagte handele indes nicht treuwidrig, wenn sie sich auf den Standpunkt stelle, die Ansprüche des Klägers seien verfallen. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, daß er seine Forderungen auch noch außerhalb der tariflichen Ausschlußfrist habe geltend machen dürfen. Die Beklagte habe zugunsten des Klägers keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Sie habe weder ausdrücklich noch konkludent erklärt, sie wolle die Ansprüche des Klägers ohne Rücksicht auf den Ablauf der Frist des § 8 Nr. 3 RTV erfüllen, sofern der Kläger im Bestandsschutzrechtsstreit obsiege. Die Beklagte habe dem Kläger auch nicht durch ihr Verhalten die Möglichkeit genommen, seine Ansprüche zu beziffern und einzuklagen. Die Entgeltansprüche des Klägers für den streitgegenständlichen Zeitraum seien anhand der geleisteten Arbeitsstunden (die der Kläger kenne) und anhand der vertraglichen Abreden (die der Kläger gleichfalls kenne) zu berechnen. Der Erteilung einer besonderen Abrechnung durch die Beklagte habe es nicht bedurft. Der Kläger habe seine Zahlungsklage letztlich auch ohne eine weitere Mitwirkungshandlung der Beklagten erhoben.

Darüber hinaus seien die Ansprüche des Klägers auch dann verfallen, wenn man zu seinen Gunsten annähme, er habe darauf vertrauen dürfen, die Beklagte werde das Arbeitsverhältnis nach Beendigung des Entfristungsrechtsstreits für den Zeitraum nach Ablauf der Befristung neu abrechnen. Denn ein etwaiger Vertrauenstatbestand sei jedenfalls mit dem Schreiben vom 10.08.2009 wieder beseitigt worden. Mit diesem Schreiben hätten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten es ausdrücklich unter Hinweis auf die tarifliche Ausschlussfristen abgelehnt, die Ansprüche des Klägers zu erfüllen. Der Kläger hätte danach binnen kurzer Zeit Klage erheben müssen, es laufe nicht etwa eine neue Ausschlussfrist (BAG, Urteil vom 13.02.2003 – 8 AZR 236/02). Dies habe der Kläger nicht getan. Seine Klage sei erst am 09.10.2009 beim Arbeitsgericht eingegangen.

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