Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte sich in dem Verfahren 12 Sa 1454/10 mit der fristlosen Kündigung eines städtischen Friedhofsleiters zu befassen, der während seiner Arbeitszeit durch untergebene Mitarbeiter eine private Grabstätte pflegen ließ und jährlich Trinkgelder von 155,00€ von Hinterbliebenen entgegengenommen hatte. Das Landesarbeitsgericht gelangte in seinem Berufungsurteil vom 23.02.2011 zu dem Ergebnis, daß die außerordentliche Kündigung wirksam war und das Arbeitsverhältnis fristlos beendet hatte.

Das Gericht führte aus, nach höchstrichterlicher Spruchpraxis (BAG 26.11.2009 – 2 AZR 751/08 – Rn. 10) „kann eine schwere, schuldhafte Vertragspflichtverletzung die außerordentliche … Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach § 626 Abs. 1 BGB …. rechtfertigen. Ein Grund zur Kündigung kann nicht nur in der Verletzung einer vertraglichen Hauptleistungspflicht, sondern auch in der Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht liegen. … Dabei gilt das Prognoseprinzip. Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht eine Sanktion für die begangene Pflichtverletzung, sondern die Vermeidung künftiger Pflichtenverstöße – ggf. selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Die fragliche Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken …. Eine entsprechende Prognose ist berechtigt, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch künftig erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzten ….. Das ist häufig ungewiss. Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine solche Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer gleichwohl erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen … . Außerdem ist in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abmahnung als milderes Mittel einer Kündigung vorzuziehen, wenn schon durch ihren Ausspruch das Ziel, die künftige Einhaltung der Vertragspflichten zu bewirken, erreicht werden kann.“

Die Vorinstanz habe sich an diesen Rechtsgrundsätzen orientiert und sei unter der Annahme der fehlenden Wiederholungsgefahr nach Abwägung der wechselseitigen Interessen zu der Beurteilung gelangt, daß eine Abmahnung des Klägers ausgereicht hätte, um die inkorrekte Entgegennahme der „Trinkgelder“ des auf dem Friedhof beigesetzten ehemaligen Friedhofleiters T. zu ahnden.

In der Tat lasse sich, wenn man den Kündigungsschutz am „Prognoseprinzip“ ausrichte (vgl. BAG 19.04.2007 – 2 AZR 180/06 – Rn. 47) und eine Wiederholungsgefahr fordere, im Streitfall keine konkrete Wiederholungsgefahr ausmachen. Zum einen lägen den inkriminierten Vorgängen im Zusammenhang mit der Grabpflege T. besondere Einzelfallumstände zugrunde: Die auf dem Friedhof F. tradierte Pflege des Grabes eines ehemaligen Friedhofsleiters und dafür von der Tochter bzw. der Enkelin für die (angebliche) Kaffeekasse entgegengenommene Gelder beruhten auf in dieser Form singuläre Tatumstände. Es hieße, eine lebensfremde Spekulation als objektive negative Prognose vorzugeben, wenn man hieraus auf eine latente Veranlagung des Klägers zu einschlägigen Unkorrektheiten, die sich bei ähnlich „günstigen“ Gegebenheiten wiederholen könnten, schließen wollte. Zum einen dürfte die Aufdeckung des Vorgangs als solche den Kläger von einer wie auch immer gearteten „Wiederholung“ abhalten, denn nach den nur bei der Beklagten verbrachten Dienstjahren und aufgrund seines Lebensalters befinde er sich in einer Situation, die es ihm zumindest sehr erschwere, wenn nicht unmöglich mache, eine andere und gar adäquate Anstellung auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Auch die Rücksendung der 2008 und 2009 überwiesenen Beträge indiziere die inzwischen vom Kläger gewonnene Einsicht, künftig keine „Trinkgelder“ mehr anzunehmen und zu behalten.

Zum anderen sei – wie erwähnt – die Grabpflege T. durch besondere, mit dem Friedhof F. verbundene Einzelfallumstände gekennzeichnet gewesen, so daß die anderen Gegebenheiten auf dem Friedhof I. einen Wiederholungsfall sehr unwahrscheinlich machen würden.

Die Kammer halte dafür, daß das Kündigungsrecht vom „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ (ultima-ratio-Prinzip) beherrscht werde. Danach bleibe die „Wiederholungsgefahr“ zwar als wesentlicher Aspekt mit zu berücksichtigen und könne nach ihrer jeweiligen, geringen bis hohen Intensität auf die Beurteilung, ob die Kündigung eine unverhältnismäßige Maßnahme sei, durchschlagen. Indessen setze die Kündigung nicht stets eine Negativprognose voraus, sondern könne auch dann rechtens sein, wenn keine Wiederholungsgefahr bestehe, (im einzelnen: LAG Düsseldorf 21.07.2004 – 12 Sa 620/04). Nach Einschätzung der Kammer entspreche dieser Ansatz dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Verständnis des Kündigungsschutzrechts (BVerfG 22.10. 2004 ; BVerfG 15.12.2008).

Mit dieser Maßgabe sei der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beizupflichten, die eine vorherige Abmahnung für entbehrlich erachtee, wenn eine schwere Pflichtverletzung vorliege, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar sei und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen sei (BAG 23.06.2009, BAG 28.10.2010), wenn etwa der Arbeitnehmer mit besonderer Leichtfertigkeit seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setze und einen rücksichtslosen Vertrauensmissbrauch begehe (vgl. BAG 21.04.2005 ).

Der Arbeitnehmer, der bei der Ausführung von vertraglichen Aufgaben sich Vorteile versprechen lasse oder entgegennehme, die dazu bestimmt oder auch nur geeignet seien, ihn in seinem geschäftlichen Verhalten zugunsten Dritter und zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen, handele grob den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gebe diesem damit regelmäßig einen Grund zur fristlosen Kündigung.

„Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist. Es reicht vielmehr aus, dass der gewährte Vorteil allgemein die Gefahr begründet, der Annehmende werde nicht mehr allein die Interessen des Geschäftsherrn wahrnehmen. In Fällen dieser Art liegt die eigentliche Ursache dafür, dass ein solches Verhalten die außerordentliche Kündigung rechtfertigt, nicht so sehr in der Verletzung vertraglicher Pflichten, sondern in der damit zu Tage getretenen Einstellung des Arbeitnehmers, unbedenklich eigene Vorteile bei der Erfüllung von Aufgaben wahrnehmen zu wollen, obwohl er sie allein im Interesse des Arbeitgebers durchzuführen hat. Durch sein gezeigtes Verhalten zerstört er das Vertrauen in seine Zuverlässigkeit und Redlichkeit“ (BAG 21.06.2001).

Bei derartigen Pflichtverletzungen sei eine Abmahnung grundsätzlich entbehrlich (BAG 21.06.2001). Insbesondere stellt die fortgesetzte und vorsätzliche Ausübung offensichtlich nicht genehmigungsfähiger Nebentätigkeiten in Unkenntnis des öffentlichen Arbeitgebers regelmäßig bereits ohne das Hinzutreten besonderer Umstände an sich einen wichtigen Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar.

Der Kläger habe schwerwiegend gegen seine Vertragspflichten dadurch verstoßen, daß er von 2004 bis 2007 jährlich € 155,00 als Gegenleistung dafür, daß er als kommissarischer Leiter des Friedhofs F. für die Pflege des Grabes T. entgegen nahm.

Für den Kläger sei ohne Weiteres erkennbar gewesen, daß sein Verhalten flagrant pflichtwidrig gewesen sei.

Wenn – wie hier – ein an sich geeigneter Grund zur Rechtfertigung einer Kündigung vorliege, könne eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis gleichwohl nur dann beenden, wenn sich bei einer umfassenden Interessenabwägung ergebe, daß das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Verhältnis zu dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiege. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar sei, sei in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

Dem Kläger sei ein gravierendes Fehlverhalten anzulasten. Angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzung brauchte die Beklagte es nicht bei einer mit einer sozialen Auslauffrist versehenen außerordentlichen Kündigung oder nur bei einer Abmahnung oder Ermahnung zu belassen. Das Interesse der Beklagten an der sofortigen Vertragsauflösung überwiege auch unter Berücksichtigung des erworbenen „Vertrauenskapitals“ und der fehlenden Wiederholungsgefahr das beruflich existentielle Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger habe seine arbeitsvertragliche Hauptpflicht als (kommissarischer) Leiter des Friedhofs F. verletzt, indem er seit 1995 dafür gesorgt habe, daß das Grab T. von den Friedhofsmitarbeitern weitergepflegt wurde.

Die besondere Schwere der Pflichtwidrigkeit des Klägers ergebe sich aus der zugestandenen Entgegennahme höherer Bargeldbeträge und den angenommenen jährlichen Überweisungen von € 155,00 ab 2004. Die Kammer werte die Zahlungen als Schwarzgeld für die fortlaufend erbrachte und vom Kläger anläßlich der jeweiligen Geldübergabe und in dem Gespräch im Jahr 2004 zumindest konkludent zugesagte Weiterführung der Grabpflege.

Wie dem privaten Arbeitgeber sein Geschäftsbereich voll und ohne die Gefahr nachteiliger, zweifelhafter oder zwielichtiger Beeinflussung durch den Arbeitnehmer offen stehen solle, dürfe der öffentliche Arbeitgeber von seinen Bediensteten erwarten, daß sie das Vertrauen der Öffentlichkeit und auch des Arbeitgebers in eine saubere, an sachlichen Kriterien orientierte Ausübung der Dienstpflichten der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bewahren, insbesondere bereits den bösen Schein vermeiden, der Mitarbeiter könne aufgrund ihm gewährter Vorteile oder durch einen aufgrund der ausgeübten Nebentätigkeit hervorgerufenen Interessenkonflikt in seiner Amtsführung beeinflussbar sein.

Die Beklagte habe dem Kläger als kommissarischem Leiter des Friedhofs F. eine besondere Vertrauensstellung übertragen. Diese habe der Kläger durch die unter seiner Leitung ab 1995 fortgeführte schwarze Grabpflege mißbraucht. Sein Fehlverhalten wiege um so schwerer, als er eine Vorgesetztenfunktion innegehabt hätte. Indem er ihm unterstellte Mitarbeiter veranlaßt habe, die Grabpflege T. durchzuführen, habe er sie in das fortgesetzte pflichtwidrige Tun einbezogen. Die Mitarbeiter seien damit darauf angewiesen, gegenüber der Beklagten zu reklamieren, daß sie entweder guten Glaubens gewesen seien oder sich der Anordnung der Friedhofsleitung praktisch nicht hätten widersetzen können.

Das Bestandsschutzinteresse des Klägers habe bei Abwägung aller Umstände hinter dem Auflösungsinteresse der Beklagten zurückzutreten.

Die Pflichtverletzungen des Klägers würden so schwer wiegen, daß auch einem vergleichbaren, mit der Höchstfrist ordentlich kündbaren Angestellten aufgrund derartiger Pflichtverletzungen fristlos gekündigt werden müsste. Der Beklagten sei daher hier nicht die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist entgegenzuhalten.